Die unterschätzte Gefahr
Die Corona-Krise hat die Vereine finanziell arg gebeutelt. Im Norden und Westen gibt es Vereine, die nur noch aufgrund einer Länderbürgschaft Kredite zur Finanzierung der laufenden Kosten erhalten und selbst Branchenprimus Bayern München spricht von rund 100 Millionen Euro Umsatz, die durch fehlende Einnahmen aus Ticketing, Hospitality, sowie einem geringer dotierten TV-Vertrag weniger auf dem Konto landen. Kein Wunder, dass man vor einem halben Jahr davon sprach, dass sich im Profifußball einiges ändern müsse. Allerdings scheinen die Verantwortlichen die Lage immer noch zu rosig zu sehen.
Gleichzeitig verhandeln die Bayern beispielsweise mit David Alaba um eine Vertragsverlängerung, die ihn dann wohl auch in die Ränge der mannschaftsinternen Spitzenverdiener katapultieren würde. Eine Nummer kleiner bastelt der BVB an einer vorzeitigen Verlängerung mit Gio Reyna. Dessen neues Gehalt dürfte zwar für unsere Verhältnisse sogar moderat ausfallen, aber trotzdem einen immer noch nicht volljährigen Spieler zum mehrfachen Gehaltsmillionär machen. Letztendlich schimmert bei dieser Geschäftspolitik die Hoffnung durch, dass das alles nur eine längere Durststrecke sei und man „danach“ wieder zum business as usual übergehen kann. Das kann sich als ziemlich fatale Fehleinschätzung herausstellen.
Die gesellschaftliche Relevanz des Fußballs bröckelt
Ein erster Fingerzeig hätte die, freundlich gesagt, zurückhaltende Reaktion der Öffentlichkeit zu Beginn des Lockdowns sein müssen, die auf die salbungsvolle Selbstdarstellung der Bundesligavereine folgte, dass eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs ein sehnsüchtig erwartetes Zeichen der Hoffnung und Normalität sei. Der Profifußball wurde mit recht deutlichen Worten auf seinen Platz verwiesen.
Es ist noch kaum absehbar, was für langfristige Folgen die lange Zeit der Unterbrechung und der dann folgenden Geisterspiele für die Clubs noch haben wird. Wenn man mit regelmäßigen Stadiongängern spricht, kann man den Eindruck bekommen, dass die Begeisterung für den Fußball und ihren Verein an der Basis erodiert. Sie haben nämlich gemerkt, dass man den Samstag auch gut anders verbringen kann. Bei vielen Fans steht im Laufe der Zeit das Gemeinschaftsgefühl höher im Kurs als das eigentliche Geschehen auf dem Rasen. Der Spieltag als „Jour fixe“ zum Treffen mit dem Freundeskreis. Und viele haben festgestellt, bzw. feststellen müssen, dass man dieses soziale Leben auch ohne den Stadionbesuch organisieren kann. Mit dem netten Nebeneffekt, dass man einiges an Zeit, Geld und auch Ärger über unbequeme Anstoßzeiten und Repressalien vor Ort spart. Teilweise werden die Spieltage nicht einmal mehr am TV mitverfolgt, weil die leeren Ränge bei Geisterspielen für ein Gefühl der Unwirklichkeit und Distanz sorgen. Fußball ohne Fans wirkt einfach nicht komplett und echt.
Verliert der Fußball an Attraktivität als Werbeträger?
Die Vereine sollten den Effekt dieser Entfremdung nicht unterschätzen. Es ist sehr gut möglich, dass die Zeiten, in denen man permanente Zuschauerrekorde vermelden konnte und ein „ausverkauft“ in den Stadien eher die Regel denn die Ausnahme waren, vorbei sind. Damit verlöre der Fußball auch den Status des „Events“, bei dem man dabei gewesen sein muss und somit einen weiteren Anziehungspunkt. Für manchen Stadionbesucher ist die Eintrittskarte auch eine Art Statussymbol, mit dem man sich von all denjenigen abheben kann, die im Vorverkauf leer ausgingen. Steigt die Anzahl der verfügbaren Karten, sinkt die Attraktivität für den Kartenkauf bei dieser Klientel. Wenn jeder, der möchte, ins Stadion kann, dann ist die Eintrittskarte nichts Besonderes mehr.
Für die Vereine langfristig eine echte Gefahr. Volle Ränge sind der sichtbarste Gradmesser für die Wichtigkeit des Fußballs und der Attraktivität als Werbeträger. Größere Lücken auf den Tribünen würden sofort als Argument möglicher Sponsoren und Ausrüster bei Neuverträgen genutzt und zu sinkenden Einnahmen führen. Das wiederum in der Folge zu sinkenden Transfergeldern unterhalb der Topriege von Vereinen, deren Finanzmittel nur bedingt mit der Umsatzsituation korrelieren. Den Vereinen, die ihre Etats schon vor der Corona-Krise auf Kante genäht hatten und auf Transfererlöse dringend angewiesen sind, würde das den Boden unter den Füßen wegziehen.
Die Bundesligaclubs wären gut beraten, ihre Kostenstruktur auch unabhängig von pandemiebedingten Kürzungen nach unten zu korrigieren und auf eine Zukunft zu trimmen, in denen die rosigen Zeiten ständiger Rekordmeldungen zu TV- und Sponsorenverträgen vorbei sind. Stattdessen vermittelt man den Eindruck, sich einfach irgendwie durchzuwurschteln und darauf zu setzen, dass vielleicht zur nächsten Saison wieder alles ist, wie es vorher war. Vielleicht gibt es aber ein relativ böses Erwachen.