Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben - Von Schnelligkeit, Leichtfüßigkeit und deren Risiken
Wo ist der Fußballer besonders verletzungsanfällig und welche Probleme gibt es bei der Erstellung von Statistiken dazu? Die Antworten und welche Rolle der Schuh dabei spielt, findet Ihr in diesem Text
Dieser legendäre Satz des früheren Präsidenten Michael Gorbatschow, den er angeblich im Jahre 1989 beim Besuch der DDR in Ostberlin gesagt haben soll, ist als prophetischer Satz in die Geschichtsbücher eingegangen.
Jeder von uns hat ihn schon einmal in irgendeinem Zusammenhang benutzt und es stellt sich natürlich die Frage, was dieser Satz mit unserer Passion Fußball und der Kickerei zu tun hat.
Schaut man sich diverse Verletzungsstatistiken im Fußball an, so kann man sagen, dass sich fast 80 Prozent aller eingesetzten Profisportler in einer Saison verletzen. Dieses Resultat wird auch durch Untersuchungen der für Profis zuständigen Unfallversicherung VBG (Verwaltungs-Berufsgenossenschaft) bestätigt. Etwas überraschend zeigt das Ergebnis aber auch, dass sich im Fußball, Basketball und Handball fast zwei Drittel der Verletzungen im Training ereignen.
Betrachtet man nun die einzelnen Körperregionen, so machen Unterschenkel, Sprunggelenk und Fuß zusammen ungefähr ebenfalls genau ein Drittel aus. An zweiter Stelle folgen mit mehr als 20% Verletzungen des Oberschenkels, wobei es sich in der Mehrzahl um Muskelverletzungen handelt. Diese beiden Regionen haben also einen Anteil von mehr als 50 Prozent der Verletzungen. Das Kniegelenk mit einem Anteil von ca. 15 Prozent Verletzungen wirkt da schon eher bescheiden.
Von der UEFA wurde eine Verletzungsstudie für Eliteclubs eingeführt und finanziell gefördert. Unter den teilnehmenden Clubs wird auch unser BVB aufgeführt. Analysiert werden Verletzungen im Training und Spiel aber auch Verletzungsmuster und Verteilung der Verletzungen. Interessant ist auch die Relation der Verletzungen im Verhältnis zur Belastung in Einsatzstunden ausgedrückt.
Schon bei der Interpretation der Ergebnisse wird allerdings darauf hingewiesen, dass sehr unterschiedliche Verletzungszahlen durch die Vereine gemeldet wurden und auch die Interpretationen, was die Schwere der Verletzungen angeht, sehr subjektiv sind. Erschwerend kommt hinzu, und dies bestätigt meine persönliche Erfahrung, dass bei Mannschaftsärzten gerne die Tendenz besteht, den Schweregrad einer Verletzung und die entsprechende Diagnose höher anzusiedeln, um bei einer kurzen Rehabilitationszeit zum Helden zu werden. So wird schnell aus einer Muskelzerrung ein Muskelfaserriss und jeder ist überrascht, dass nach 10-14 Tagen alles vorbei ist. So mancher Aschenplatzkicker hat sich hier schon gewundert, wenn er bei gleicher Verletzung an seine eigene, durchaus längere Genesungszeit erinnert wurde. Auch diese Tatsache ist für eine UEFA Statistik natürlich tödlich.
Kehren wir zum gesunden Menschenversand zurück und zum wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Ein Kollege von mir hat es einmal so formuliert: Wenn du heute nicht schnell genug bist kommst du nicht mehr zum Schießen. Und dies ist sicher ein Grund für die Zunahme der Oberschenkelverletzungen. Das Spiel ist deutlich schneller geworden und Sprintfähigkeit ist gefragt, aber auch Sprintausdauer und Laufleistung haben zugenommen. Und dies kann dann auch mal schnell in die Hose gehen bzw. in den Muskel und die Frage aufwerfen, ob die Trainingssteuerung in der Vorbereitungsphase, aber auch während der Saison, vielleicht nicht ganz so optimal war. Schaue ich mir als ehemaliger Leichtathlet und Leistungssportler das Aufwärmprogramm mancher Bundesligisten an, so habe ich oft meine Zweifel, ob hier allgemein genügend für die Bereiche Schnelligkeit, Koordination, Kraft und Kondition getan wird bzw. getan worden ist. Manchmal bekomme ich sogar Gänsehaut. Hier handelt es sich aber um fundamentale Voraussetzungen um zum Beispiel Muskel-und Gelenkverletzungen zu reduzieren.
Ein weiterer Faktor spielt bei den Verletzungen von Fuß-und Sprunggelenksverletzungen eine nicht unerhebliche Rolle und das ist die Entwicklung der Fußballschuhe. Diese Entwicklung ist sicher teilweise notwendig, um der zunehmenden Geschwindigkeit gerecht zu werden, aber sie birgt natürlich auch Gefahren. Über viele Jahre habe ich an der Entwicklung des Laufschuhes teilgenommen, mit dem Ergebnis, dass es einen optimalen Laufschuh nicht gibt. Ziel ist es letztendlich einen gesunden Kompromiss zwischen Flexibilität, Stabilität, Gewicht und Rückfußführung (Fersenführung) zu finden. Schaue ich mir die Entwicklung des Fußballschuhes und die aktuellen Top-Modelle aller Hersteller an, so geht diese in Richtung einer Zunahme der Flexibilität bei gleichzeitiger Reduzierung des Gewichtes. Was aber noch viel problematischer erscheint, ist die fehlende Fersenführung, denn diese bestimmt die gesamte Fußabwicklung. Resultat ist eine zunehmende Instabilität und eine vorzeitige Ermüdung. Die Folge sind Verletzungen des oberen und unteren Sprunggelenkes und der Bänder. Aus all diesen Gründen mussten auch keniatische Langstreckler und Marathonläufer erkennen, dass man, auch wenn Barfußlaufen gesund ist, diese Strecken nicht ohne Fußbekleidung und nur mit einer gewissen Stabilität durch den Laufschuh bewältigen kann kann.
Für diese Analyse braucht man keine UEFA Statistik und vieles auf den mehr als 30 Seiten ist sicher auch schwer zu verstehen. Damit es aber auch weiterhin Spieler gibt wie der Norweger Iver Fossum, der für Hannover 96 in einem Spiel 14,05 km unverletzt zurücklegte, bedarf es neben anderem die Verbesserung der Prophylaxe und eine Optimierung des Trainings zur Verbesserung von Koordination, Beweglichkeit und Stabilität aber auch Geschwindigkeitsausdauer. Das alleinige Messen von Blutwerten mit umstrittener Aussagekraft ist hier nicht förderlich. Es gibt hier was die Betreuung der Profisportler im Fußball angeht sicher noch viel Luft nach oben und neben Punkten und Torverhältnis kann auch dieser Faktor ein kleiner Mosaikstein auf dem Weg zur Deutschen Meisterschaft sein.