„Sport & Politics“ – Ein neues Magazin mit Mehrwert
Jens Weinreich startet mit Sport & Politics ein neues kritisches Sportmagazin. Wir haben es für Euch gelesen.
Nordrhein-westfälische Sportpolitiker haben einen Traum: Olympia 2032 in Rheinland und Westfalen. Sie träumen von modernen Gladiatoren, die um sportlichen Ruhm kämpfen und denen es doch nur um das Dabeisein geht. Von Bildern fröhlich feiernder Menschen, die hinaus in die Welt gehen und die Geschichte von einem erfolgreichen Strukturwandel sowie einer optimistisch in die Zukunft schauenden Region erzählen. Sie träumen von neu errichteten Sportstätten, die eine Infrastruktur für Spitzen- und Amateursportler bieten, von denen die Menschen noch jahrzehntelang profitieren werden. Und sie prophezeien einen Werbeeffekt, der Unternehmen und Touristen anlocken wird
Dass der Traum in Erfüllung gehen wird, ist kaum anzunehmen, denn immer skeptischer betrachtet vor allem die Bevölkerung in den westlichen Demokratien das Treiben der Herren der Ringe. Volksabstimmungen haben zuletzt die deutschen Bewerbungen von München und Hamburg scheitern lassen, und es ist nicht anzunehmen, dass das Gelsenkirchener Bedürfnis, auch mal guten Sport zu sehen, für eine Mehrheit bei einer landesweiten Abstimmung ausreichen würde. Wer sich jedoch für die Frage interessiert, warum sich immer mehr Menschen vom Olympischen Sport abwenden und warum er dennoch für Politiker attraktiv ist, der wird nun bei dem von dem Journalisten Jens Weinreich neu gegründeten Magazin „Sport & Politics“ fündig.
Weinreich hat sich seit Jahren einen Namen als einer der führenden deutschen Experten zum Thema Sportkorruption gemacht und wurde für seine Arbeit mehrfach ausgezeichnet. Wie kaum ein anderer kniet er sich in die Vernetzungen und Verstrickungen vor allem der olympischen Sportfunktionäre hinein. Er macht das kontinuierlich, wie er in seiner „Bedienungsanleitung“ des Auftaktheftes von „Sport & Politics“ scheibt: „Kontinuierlich, nicht gelegentlich. Fortwährend, permanent, stetig, regelmäßig, beharrlich, pausenlos, unaufhörlich, beständig, hartnäckig, nervend, mit Liebe zum Detail.“ Wenn man seine Texte liest, die er seit Jahren auch auf seinem Blog https://www.jensweinreich.de präsentiert, dann glaubt man ihm jedes dieser Adjektive sofort. Sie sind dicht, detailreich, weit entfernt vom Kitsch atmosphärischer Reportagen, er schlägt keine Bögen, um die Geschichte runder zu machen.
Wenn man zu „Sport & Politics“ greift, muss man diesen sachlich-trockenen – und gelegentlich etwas triefend-sarkastischen – Stil mögen, denn Weinreich schreibt einen Großteil der Artikel selbst. Im ersten Heft sind gleich fünf von neun Beiträgen aus seiner Feder. Dabei zeigt sich nicht nur in den beiden langen Beiträgen über IOC-Präsident Thomas Bach und den suspendierten ANOC-Präsidenten (ANOC = Association of National Olympic Committees) Scheich Ahmad Al-Fahad Al-Sabah eine Vorliebe für den personenbezogenen Ansatz und die Seilschaften, die die Herren und wenigen Damen der internationalen Sportwelt geknüpft haben. Weinreich hat aber auch eine Reihe internationaler Autorinnen und Autoren gewonnen, die den Blickwinkel erweitern. So analysiert James D. Dorsey die Sportpolitik Saudi-Arabiens und liefert damit eine passende Ergänzung zum Al-Sabah-Porträt Weinreichs. Gerade auf der arabischen Halbinsel sind Geo- und Sportpolitik im höchsten Maße miteinander verbunden und das Thema soll auch im kommenden Heft, das in der zweiten Januarwoche erscheint, noch einmal aufgegriffen werden. Andere Autoren widmen sich dem 2017 verstorbenen Fußballfunktionär Chuck Blazer, dem Umgang mit Whistleblowern oder den Verbandsmonopolen. Die Beiträge der internationalen Autorinnen und Autoren sind auf Englisch verfasst, was die internationale Reichweite des Blattes wohl erhöhen, aber wohl auch manchen deutschen Leser abschrecken wird.
Das aber wäre schade. Die Auseinandersetzung mit den Machenschaften internationaler Sportfunktionäre ist sicherlich kein erhebendes Lesevergnügen. Aber Sport hat mittlerweile weltweit eine solch hohe gesellschaftliche Relevanz, dass uns das Treiben der Herrschaften nicht egal sein kann. Es ist der Arbeit von Weinreich sowie vielen anderen deutschen und internationalen Journalisten zu verdanken, dass wir immer mehr über die dunklen Geschäfte der Sportverbände wissen, und es ist auch ihr Verdienst, dass die Skepsis in den Bevölkerungen vor allem westlicher Demokratien vor gegenüber den großen Sportverbänden wächst und wächst. „Sport & Politics“ zeigt aber auch, dass der Sport gerade für korrupte Politiker weiterhin interessant bleibt. Aber nicht nur der schnöde Mammon verführt Politiker, sich mit dem Sport einzulassen, sondern auch die Suche nach Gefolgschaft, nach Anhängern. In dieser Hinsicht sind sich Demokratien und Autokratien gar nicht so unähnlich. Olympia 2032 in NRW würde viele Menschen begeistern und zahlreiche Unternehmer könnten profitieren – aber zu welchen Kosten für die Allgemeinheit? Und unterstützt man mit einer solchen Bewerbung nicht ein sportpolitisches System, das zugleich ein Instrument für zahlreiche Autokraten rund um die Welt ist? Welchen Platz diese Olympischen Spiele in unserer demokratischen Gesellschaft noch haben können, ist eine Frage, die in den kommenden Jahren immer wieder diskutiert werden wird.
Dass man sich hierüber nun noch besser informieren kann, ist eine gute Nachricht. Das Heft kommt ohne Werbung aus, was den stolzen Preis von 9,90 Euro mitbegründet. Dafür bietet es jedoch einige Extras, die man bei einem gewöhnlichen Magazin nicht erwarten kann. So erhält man nicht nur die Printausgabe, sondern auch ein E-Paper als PDF. In diesem sind außerdem in den Artikeln Weinreichs immer wieder Quellen oder Artikel verlinkt, um eine vertiefte Lektüre zu ermöglichen. Weinreich will sich in den kommenden Ausgaben nicht nur mit dem IOC und den Olympischen Spielen beschäftigen, sondern kündigt auch Beiträge zu den Fußballverbänden an und möchte Themen wie Matchfixing oder Fanpolitik aufgreifen. Man darf gespannt sein.