Es war einmal: Més que un club
Jeder Verein hat sie heutzutage: eine Markenbotschaft. Einen Sinnspruch, der in kurzen Worten möglichst viel über das Selbstverständnis eines Clubs aussagen soll. Häufig genug sind sie so banal und beliebig, dass sie maximal den Anhängern des eigenen Vereins bekannt sind. Es gibt aber ein paar, die über den eigenen Verein, ja sogar über Landesgrenzen hinaus strahlen. Wenn sie das tun, dann weiß man, dass da ein richtig großer Verein mit besonderen Werten dahinter stehen muss. Einer dieser Vereine ist der große FC Barcelona mit seinem Wahlspruch „Més que un club“ – Mehr als ein Verein.
Der ehemalige Präsident Narcís de Carreras schuf dieses Leitbild bereits in seiner Antrittsrede im Jahre 1968. Mit diesen vier kleinen Worten malte er ein Bild eines Vereins, das nahezu überdimensional ist. In einer Zeit, in der in Spanien der Franquismus noch herrschte und die Macht zentralistisch von der Hauptstadt Madrid ausging, verstand sich der FC Barcelona als eine Nationalmannschaft eines Kataloniens, das seit je her nach Unabhängigkeit strebt. Für jeden sichtbar durch das jahrelange Fehlen eines Aufdrucks durch einen Trikotsponsor. Nationalmannschaften haben so etwas nicht. All diese Ansprüche führt der FC Barcelona auch heute noch offensiv auf seiner Website für sich an.
Wenn man dieses Selbstbildnis sprachlich noch weiter herunter brechen will, dann passt das Wort „Vorbild“ wohl am besten. Die Menschen sollen sich mit dem FC Barcelona nicht nur identifizieren, das ist das erklärte Ziel jeder dieser Marketingkampagnen, sie sollen sich an diesem Verein orientieren können. „Barca“ will den Menschen im sozialen Verhalten ein Vorbild, politisch ein einender Faktor der Region Katalonien und natürlich sportlich auch DAS Aushängeschild sein. Vor allem in den Jahren um 2009 herum waren die „Blaugranas“ das ohne Zweifel. Die sagenumwobene Nachwuchsschule „La Masia“ brachte höchstklassige Nachwuchsspieler in einer Anzahl hervor, die ihresgleichen suchte. Iniesta, Xavi und natürlich vor allem Messi – um nur drei Namen zu nennen, die jedem Fußballfan weltweit geläufig sind. Trainiert von einem gewissen Pep Guardiola, der mit seiner Mannschaft den europäischen Fußball nicht nur dominierte, sondern stilbildend war. Sein „Tiki Taka“ wurde sprichwörtlich.
Aber vielleicht fing schon genau da die Erosion des „Mehr als ein Verein“ an. Seit der Spielzeit 2006/2007 trug die katalanische Nationalmannschaft nämlich keine blanke Brust mehr. Geschickt verpackt in eine noble Geste, nämlich der kostenlosen Zurverfügungstellung dieser hochbegehrten Werbefläche an das Kinderhilfswerk der UNICEF, gewöhnte man die Fans mit einer Salamitaktik an die Aufgabe dieses sichtbaren Symbols. Dann schaffte man innerhalb weniger Jahre den kompletten Stilbruch, indem man 2012 erstmals mit dem Aufdruck „Qatar Airways“ auflief. Ein rein kommerzieller Sponsor, in Besitz eines Landes, dessen Vorstellungen von Politik und Menschenrechten wenig bis gar nichts mit den noblen sozialen Werten, die der FC Barcelona repräsentieren will, zu tun hat. Dazu passen auch die 119 Euro, die die Katalanen von den Fans des Liverpool FC für das Halbfinalspiel der Champions-League für ein Ticket haben wollten. Natürlich handelt es sich dabei um eine sehr exklusive Veranstaltung, aber wer Auswärtsfans so massiv zur Kasse bittet, der sollte beim Thema soziales Verhalten beschämt zu Boden blicken.
Sportlich gehört der Verein immer noch zu den aktuellen Topadressen und originären Anwärtern auf den Sieg in der Königsklasse, aber auch hier setze ein Wandel ein. Schon länger wartet man auf junge Spieler aus dem eigenen Nachwuchs, die sich dort durchsetzen und das große Erbe ihrer Vorgänger antreten. Stattdessen gibt man auf dem Transfermarkt mittlerweile Summen aus, die die 100 Millionen Grenze überschreiten und sehr wahrscheinlich wird man mit der Rückholung Neymars einen neuen Transferrekord aufstellen. Das wäre an sich kaum groß bemerkenswert und ein Stück weit einfach Lauf der Dinge, wenn nicht gerade die Spieler das vielleicht sichtbarste und gravierendste Zeichen des Sittenverfalls dort sind. Ganz aktuell würde man gerne Antoine Griezmann von Ligakonkurrent Atlético Madrid verpflichten. Zwar gibt es, wie in Spanien üblich, eine feste Ausstiegsklausel in Höhe von 120 Millionen, da man aber über die Zahlungsmodalitäten streitet, stellen sich die Hauptstädter noch quer. In Folge dessen erschien Griezmann gestern nicht zum Trainingsauftakt von Atlético. Ein Spielerstreik also. Offenbar scheint man das in der Stadt von Gaudi als effektives Werkzeug zur Realisierung von Transferbemühungen ausgemacht zu haben.
Beim ersten Versuch, Coutinho aus Liverpool loszueisen, hatte der Spieler auf einmal so heftige Rückenschmerzen, dass es ihm bis zum Schließen des Transferfensters nicht möglich war, am Spielbetrieb der Engländer teilzunehmen. Ousmane Dembélé hätte das bei uns in Dortmund zwar gekonnt, weigerte sich aber schlichtweg. Der Fall dürfte allen Dortmundern noch bekannt sein. Zu oft in zu kurzer Zeit, um Zufall zu sein. Offenbar rät man den Spielern systematisch dazu, sich beim abgebenden Verein im Notfall so unmöglich zu machen, dass man den Spieler den eigenen Fans nicht mehr präsentieren kann und gezwungen ist, einem Transfer zuzustimmen. Ein Verhalten, das mit „schäbig“ nur sehr unzureichend bezeichnet werden kann. Das gilt natürlich für einen Verein, der so ein Verhalten goutiert, als auch die zu verpflichtenden Spieler, die bereitwillig einen Vertragsbruch begehen.
Und über allem thront „La Pulga“. Lionell Messi. Man kann jetzt darüber streiten, ob er der beste Spieler aller Zeiten ist, aber ohne Frage gehört er zu den Besten. Der 32-jährige hat für seinen Verein bereits 112 Tore geschossen. Allein in der Champions-League, versteht sich. Insgesamt kommt er auf weit über 500 Pflichtspieltore für seinen Club. Ohne Zweifel eine Vereinslegende. Aber auch eine, die noch eine andere Zahl aufweist. Die 21. Zu so vielen Monaten Haft wurde Messi nämlich wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Zufälligerweise blieb das Strafmaß dabei unter den zwei Jahren, die für ihn auch einen tatsächlichen Haftantritt bedeutet hätten. Das passt zu einem Arbeitgeber, der im Zuge des Neymartransfers lieber einem Vergleich mit dem spanischen Finanzamt über 5,5 Millionen Euro zustimmte, als letztendliche die Gerichte über das Steuergebaren Barcas urteilen zu lassen. Dennoch darf die Frage erlaubt sein, wie ein Verein soziale Werte vertreten will, wenn er selber und seine Spieler der Gemeinschaft Steuereinnahmen vorenthalten? Aus moralischer Sicht wäre, wenn man um Glaubwürdigkeit bemüht wäre, eine Trennung von ihrem Superstar unausweichlich gewesen.
Am Ende ist „Més que un club“ auch zu einem reinen Marketinggag verkommen. Der Verein selber tritt das Erbe seines ehemaligen Präsidenten derart mit Füßen, dass Barca aktuell vielleicht sogar der ekelhafteste Verein aller Big Player ist, der Unsportlichkeit und Rechtsverstoß zum Geschäftsmodell gemacht hat. Das ist umso trauriger, als dass der heutige Fußball dringend einen Verein mit Strahlkraft und moralischer Tugend gebrauchen würde. Der FC Barcelona ist dieser Verein aber mit Sicherheit nicht.