Unsa Senf

Eine Regel ohne Hand und Fuß?!

25.03.2019, 18:53 Uhr von:  Michael
Eine Regel ohne Hand und Fuß?!

Es ist die Dauerdiskussion dieser Saison und sie bringt selbst den besonnen Lucien Favre auf die Palme. Hand oder nicht Hand? Elfmeter oder kein Elfmeter? Tor oder kein Tor? Die Auslegung der Handregel treibt mittlerweile dermaßen kuriose Blüten, dass die These vom Würfelwurf im Kölner Keller nicht so wahnsinnig weit hergeholt zu sein scheint.

Bentaleb reklamiert im Derby

Nun ist die Diskussion um die Auslegung der Regeln nicht neu. Als Beispiele in jüngerer Zeit seien nur das Handspiel von Neven Subotic in Manchester 2012 (Elfmeter) oder Bartras Handspiel in der Nachspielzeit des Derbys 2017 (kein Elfmeter) genannt. Bei beiden gab es im Anschluss des Spiels hitzige Diskussionen. Doch seit der VAR auch noch einen Blick auf die Szenen wirft, zeigt sich die komplette Hilflosigkeit der Dame und Herren in Schwarz. Zuvor konnte sich noch jeder Schiedsrichter im Zweifel auf seine Wahrnehmung zurückziehen, nun reichen auch zig Zeitlupen nicht für eine einheitliche Auslegung.

Scheinbar scheint es also in der Regel begründet zu liegen, dass es gefühlt bei 3 verschiedenen Schiedsrichtern 4 unterschiedliche Regelauslegungen gibt.

Werfen wir also einen Blick in die Regel 12:

Handspiel

Ein Handspiel liegt vor, wenn ein Spieler den Ball absichtlich mit der Hand oder dem Arm berührt.

Folgendes ist zu berücksichtigen:

  • die Bewegung der Hand zum Ball (nicht des Balls zur Hand),
  • die Entfernung zwischen Gegner und Ball (unerwarteter Ball),
  • die Position der Hand (das Berühren des Balls an sich ist noch kein Vergehen)

Den weiteren Teil mit Handspiel beim Torwart ersparen wir uns an dieser Stelle. Ein ziemlich kurzer Regeltext, sprechen wir hier doch über eines der Hauptmerkmale dieses Sports.


Zerlegen wir die Regel mal in ihre Einzelheiten:

  • das Wort "absichtlich

Die Grundregel ist klar: Ein Handspiel ist strafbar, wenn es absichtlich ist. Nun sind absichtliche Handspiele im Fußball die Ausnahme. Paradebeispiel für ein absichtliches Handspiel: der blaue Oliver Held gegen Köln.

Der clevere Abwehrspieler kann sich nun also mit weit ausgebreiteten Armen in den Strafraum stellen und bei einem Handspiel darauf pochen, dass er ja nicht absichtlich Hand gespielt habe.

Also gibt es weitere Hinweise:

  • die Bewegung der Hand zum Ball

diese Regelung ist gleichbedeutend mit Absicht. Bewege ich meine Hand zum Ball, liegt eindeutig Absicht vor. Als Ausnahme könnten hier höchstens Reflexbewegungen zur Abwehr angeführt werden, beispielsweise, wenn der Ball aus kurzer Distanz Richtung Gesicht fliegt.

  • die Entfernung zwischen Gegner und Ball

Aus diesem Satz ist abzuleiten, dass vom abwehrenden Spieler erwartet wird, dass Handspiel, wenn möglich, zu verhindern. Schießt also ein Gegner aus 25 Metern aufs Tor und ich wehre den Ball 5 Meter vor dem Tor mit dem Arm "unabsichtlich" ab, hatte ich genug Zeit, die Hand aus der Schussbahn zu nehmen.

  • Die Position der Hand

Ein Lieblingsausdruck aller Sportreporter: „Die unnatürliche Handhaltung“. Hiermit sollen die oben angesprochenen weit ausgebreiteten Arme verhindert werden. Klingt theoretisch auch logisch, stellt die Schiedsrichter in der Praxis aber immer wieder vor Probleme. Insbesondere Sprunghaltungen führen oft zu Armbewegungen, die unnatürlich aussehen, jedoch im Bewegungsablauf vorkommen.

Christoph "Erdmännchen" Kramer

Schauen wir uns einen der großen Aufreger in dieser schwarzgelben Saison im Sinne der Regel an: das 1:1 der Gladbacher am 17. Spieltag.

Nach einer Flanke von Zakaria verpassten in der Mitte Hazard, Witsel und Pisczcek den Ball. Christoph Kramer dahinter, der in der Sprungbewegung die Arme zum Schwungholen mit hochnahm, war von dem etwas tief kommenden Ball überrascht und brach die Sprungbewegung ab. Die Arme vor dem Körper, wie ein Erdmännchen im Zoo, köpfte sich Kramer den Ball an die Hände, von dort prallte dieser an den Arm von Witsel und zurück in Kramers Laufweg, der das 1:1 erzielte.

Punkt 1: Absicht?

Mit Sicherheit nicht. Bei Kopfkontakt sind zwischen Ball und Hand ca. 5 cm Platz, da kann von Absicht keine Rede sein.

Punkt 2: Berücksichtigung Bewegung des Hands zum Ball, nicht des Balles zur Hand

Eine aktive Bewegung der Hand zum Ball war bei diesem kurzen Zeitraum nicht möglich.

Punkt 3: Die Position der Hand

Kramers Erdmännchenarme sehen unnatürlich aus, sind aber Ergebnis der unterbrochenen Sprungbewegung. Ist dies nun nach dem Regelbuch strafbar oder nicht? Es ist schlichtweg nicht zu sagen. Tendenziell kann man eher Richtung nicht strafbar tendieren, da der Wortlaut der Regel sehr auf die Absicht abzielt.

Die Anerkennung des Tores war also durchaus vom Regelbuch gedeckt. Doch die allgemeine Stimmung, auch bei neutralen Zuschauern, tendierte Richtung Fehlentscheidung. Warum ist das so?

Wenn die Hand einen Vorteil bringt - interessiert es die Regel nicht

Kramer hat sich mit seinem unabsichtlichen Handspiel ohne Frage einen Vorteil verschafft. Und dies passt offenbar mit dem Selbstverständnis vieler Fußballfans nicht zusammen. Das Problem: in den Regeln steht davon nichts. Und so kommt es Woche für Woche zu Diskussionen über Handspiele und ihre gefühlte Strafbarkeit.

Auch die FIFA hat mittlerweile erkannt, dass die derzeitige Situation nicht tragbar ist. Das Ifab hat im März beschlossen, die Regel zu präzisieren:

  • Die "Vergrößerung der Körperfläche" wird in die Regel aufgenommen.

So sollen beispielsweise Armhaltungen über Schulterhöhe geahndet werden. Ausnahmen für die Vergrößerung der Körperfläche soll es für das Abstützen beim Grätschen geben. Hier ist ein eventuelles Handspiel weiter straffrei.

  • Auch unabsichtliche Handspiele können in Zukunft strafbar sein.

Verschafft ein Spieler sich mit einem Handspiel einen klaren Vorteil, also eine Torchance oder sogar ein Tor, wie Christoph Kramer, so soll dies in Zukunft geahndet werden. Aber: diese Regelung gilt nur für die Offensive, in der Defensive bleibt das unabsichtliche Handspiel straffrei.

Es ist nicht davon auszugehen, dass diese Änderungen (laut der Historikerin Petra Tabarelli übrigens die ersten seit 1902 an der Handspielregel) für ein Ende der Diskussion sorgen.

Gute Schiedsrichter haben Probleme, wenn der Ball mit der Hand gespielt wird - starke Schiedsrichter haben auch Probleme, wenn der Ball nicht mit der Hand gespielt wird: Wolfgang Stark zeigt Schmelzer 2012 gegen Wolfburg die rote Karte.

Wenn die FIFA die Diskussionen wirklich beenden will, gibt es nur eine mögliche Regeländerung: Hand ist Hand. Egal ob Absicht oder nicht. Wird konsequent gepfiffen,wenn ein Spieler den Ball an die Hand oder den Arm bekommt, gibt es keine Auslegung mehr.

Doch was würde eine solche Regeländerung bewirken? Kritiker befürchten, dass im Strafraum vermehrt zu Versuchen kommt, einen Handelfmeter durch absichtliches Anschießen zu provozieren. Ähnliches passiert häufig beim Hockey, wo ein unabsichtliches Fußspiel mit einer Strafecke geahndet wird. Doch ist das beim Fußball wirklich realistisch? Es gibt wohl nur wenige Strafraumsituationen, wo der Versuch des gezielten Anschießens einen größeren Vorteil bringt, als der Versuch ein Tor zu erzielen.

Eine sichere Konsequenz wären mehr Elfmeter. Allein Axel Witsel hätte in der Hinrunde zwei Elfmeter gegen sich bekommen (Bayern und Derby), für Verteidiger würde es noch mehr darum gehen, die Hände aus der Balllinie zu bekommen. Das bekannte Bild, ein Verteidiger, der beim Flankenversuch die Hände hinter dem Rücken verkreuzt, wird zur Normalität werden.

Ob das der Weisheit letzter Schluss ist? Es bleibt abzuwarten. Der Diskussionsstoff wird auf jeden Fall vorerst nicht weniger werden.

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