Unsa Senf

Die Geister, die ich rief

30.09.2019, 15:37 Uhr von:  Caroline
Die Geister, die ich rief

Die Erwartungshaltung ist nicht das Problem, dass der BVB ihr nicht gerecht werden kann schon.

Wir schreiben das Jahr 2019. Borussia Dortmund hat in der vergangenen Saison die Meisterschaft um nur zwei Punkte (+Tordifferenz) verpasst. Im Sommer investierte man gleich groß, um mit den Neuzugängen um Hummels, Brandt, Hazard und Schulz einen neuen Angriff auf den Titel zu fahren, und den Dauerabonnenten Bayern München vom Thron zu stoßen.

Es wurde über den Sommer der Eindruck erweckt, man hätte an den richtigen Stellschrauben gedreht, um einen ernsthaften Konkurrenten darzustellen. Umso größer die Hoffnung natürlich bei allen, die es mit den Schwarzgelben halten, dass es 2019/20 für den großen Wurf reichen könnte. Doch schon zu Beginn der neuen Saison zeigt sich, dass Favre und seine Mannschaft sich seit Beginn des Jahres kaum weiterentwickelt haben. Wie lässt sich sonst erklären, dass insbesondere (aber nicht nur) auswärts die gleichen Fehler wiederholt werden?

Und wenn man nun ein kritisches Auge darauf wirft und nicht alles bedingungslos abfeiert, wird einem gerne von dem ein oder anderen erklärt, man solle doch lieber Bayern-Fan werden und die Erwartungshaltung sei viel zu hoch. Für manche scheint es an Hochverrat zu grenzen, den eigenen Verein, Trainer und Mannschaft zu kritisieren. Dabei wollen alle dasselbe: Dass Borussia gut und idealerweise auch erfolgreich spielt. Und somit stellt Kritik kein vernichtendes Urteil dar, mit dem man dem BVB den Rücken kehrt, sondern eher eine konstruktive Feststellung in der Hoffnung, dass dies auch die Verantwortlichen erkennen und aktiv werden.

Am Ende fehlte nicht viel zum Titel 2019

Zudem ist genau diese Erwartungshaltung, die angeblich zu hoch sei, vollkommen berechtigt und der BVB hat sie sich über die letzten 10 Jahre hart erarbeitet. Wie kann man da in eine Saison gehen und nicht den Anspruch haben, um die deutsche Meisterschaft mitzuspielen? Es geht ja nicht mal darum, dass man den Titel am Ende auch holt – das steht bekanntlich in den Sternen und ist mitnichten ein leichtes Unterfangen. Aber man sollte es mit dem Kader, mit den Investitionen durchaus schaffen, den Druck auf die Bayern zu erhöhen. Wenn der Rekordmeister aus München dann am Ende doch wieder die Nase vorn hat (oder gar ein anderer Verein), ist das in Ordnung, solange man sich selbst nicht den Vorwurf gefallen lassen muss, nicht alles gegeben zu haben. Doch bereits gegen Aufsteiger Union sowie gegen Frankfurt und Bremen lässt man wertvolle Punkte liegen. Und es hapert nicht mal nur am Ergebnis, sondern viel mehr am Auftritt der Mannschaft in den jeweiligen Spielen.

Wie genau soll die Erwartungshaltung sein bei einem Verein, der in diesem Jahrzehnt 2x deutscher Meister, 4x Vizemeister geworden und darüber hinaus 2x unter den Top 4 gelandet ist? Der BVB würde sich lächerlich machen, wenn er da nicht um den Titel mitspielen wollen würde, vor allem nach den Investitionen des Sommers und der knappen Unterlegenheit in der Vorsaison. Doch es reicht nicht, neue Spieler in eine Mannschaft zu werfen. Man muss auch am System arbeiten, eine Mannschaft formen, neue Lösungen für altbekannte Probleme entwickeln. Doch unter Favre spielt man gerne den alten Schuh runter, selbst dann, wenn er sichtlich nicht funktioniert. Standards, speziell Ecken, werden defensiv derart schlecht verteidigt und offensiv unnötig schlecht ausgespielt, dass es den Anschein erweckt, als wären sie kein fester Bestandteil des Trainingsalltags. Wie kann man dieses immer wiederkehrende Problem nicht längst erkannt und behoben haben?

Trainer Favre rückt zunehmend in den Fokus

Verteidigt wird eher passiv, der Gegner kann den Ball in der Regel ungestört entgegennehmen. Mag es als taktische Vorgabe durchaus Sinn ergeben, solange sich der Gegner weit genug vom Tor entfernt befindet, doch gibt man ihnen auch genug Zeit, um den Ball zu verschieben, ggf. Lücken zu finden. Im schlimmsten Fall verliert man aber durch eine Unkonzentriertheit, einen nicht aggressiv genug geführten Zweikampf im Spielaufbau das Leder und gerät anschließend ins Hintertreffen, weil sich Räume ergeben und der Gegner leicht und vor allem schnell die finale Kette überspielen kann.

Wenn der BVB hingegen den Ball gewinnt, wird das Tempo nicht angekurbelt, stattdessen bremst man noch einmal ab, um den Ball eine Kette weiter nach hinten zu verlagern. So kannst du den Gegner nicht überrumpeln, keinen Überraschungsmoment ausnutzen. Du gibst dem Gegner Zeit, sich defensiv zu sortieren und nimmst dir selbst die Räume, die sich dir durch ein schnelles Umschaltspiel geboten hätten.

Ungenauigkeiten im Spielaufbau, Pässe über wenige Meter, die im Aus landen, tun ihr Übriges. Mutig, dann noch beim Stand von 2:2 auf Hacke, Spitze, 1-2-3 zu setzen, statt den einfachen Ball zu spielen. Symptomatisch dann für das gesamte Spiel landete die letzte Flanke im Aus auf der Gegengerade, statt noch einmal für Gefahr vor dem gegnerischen Tor zu sorgen.

Ich bin weit davon entfernt, mich über jede misslungene Aktion aufzuregen. Es kann mal passieren, dass ein Pass ungenau gespielt wird, es kann mal passieren, dass der Ball nicht vernünftig angenommen wird, es kann mal passieren, dass das Leder unkontrolliert im Aus landet. Wenn es sich nur um Kleinigkeiten handelt, aber das große Ganze stimmt, plädiere ich immer für Geduld. Doch in dieser Häufigkeit, mit so wenig Tempo im Spiel? Der BVB mag auch gegen Bremen auf dem Papier überlegen gewesen sein und mehr Chancen kreiert haben, doch eine richtige Sturm und Drang-Phase blieb aus, die auch dafür hätte sorgen können, dass der Funke auf die Tribünen überspringt. Stattdessen schallte das „Olé jetzt kommt der BVB“ mit einer Lautstärke durchs Stadion, die höchstens Fliegen zum Zittern gebracht hätte. Umso deutlicher wurde, dass jeglicher Glaube daran fehlte, dass hier wirklich noch etwas passieren könnte. Es bestand höchstens die Sorge, dass man sich in seiner eigenen Schläfrigkeit hinten noch den entscheidenden Treffer fängt.

Große Tribüne, kleine Wirkung

Weder die Mannschaft auf dem Rasen noch die Fans auf den Rängen haben am Samstag ihre Bestleistung abgeliefert. Dem BVB fliegt die eigens geschürte Erwartungshaltung langsam um die Ohren. Und so verständlich jegliche Frustration gegenüber dem Auftreten der Mannschaft ist, so unverständlich sind die Pfiffe, die mit Abpfiff ertönten. 3 Punkte trennen einen vom Tabellenersten nach gerade mal 6. Spieltagen, doch viel wichtiger ist es, überhaupt mal eine Entwicklung herbeizuführen und sich nicht auf ein eindimensionales Spielsystem zu versteifen – denn damit macht man es dem Gegner ziemlich einfach. Ziel sollte es immer sein, egal ob im Profifußball oder anderswo, sich zu verbessern, doch im Vergleich zur Rückrunde der Vorsaison lässt sich bislang kaum positive Entwicklung erkennen. Stattdessen herrscht mehr oder weniger Stillstand. Der BVB muss sich die Kritik gefallen lassen, die eigene Strategie reflektieren und statt Worten Taten folgen lassen. Vielleicht gehen Leistung und Erwartungshaltung dann langfristig einen Schritt aufeinander zu und aus Frust wird wieder mehr Spaß am Fußball. Ob am Ende etwas Handfestes dabei rumkommt, ist dabei erstmal völlig nebensächlich.

Unterstütze uns mit steady

Weitere Artikel