75 Minuten SanShow - 15 Minuten Kirmes
Innerhalb von einer Woche verspielt Borussia Dortmund die vierte Führung. Die Offensivabteilung rollt, doch das wiederholt naive Abwehrverhalten erschwert die kommenden Aufgaben auf unnötige Art und Weise.
Auf die Sekunde genau um 15:29 Uhr fing der Himmel über Dortmund an zu weinen. Am vergangenen Mittwoch verstarb mit Rudi Assauer eine der strahlendsten Persönlichkeiten des deutschen Fußballs, und auch in seiner früheren Heimat würdigten 81.000 Menschen den meinungsstarken Macher mit einer Gedenkminute. „Er war bis zu seinem Tod Mitglied bei Borussia Dortmund.“ Auf Nobbys Worte vor der Partie folgten nur kurze Zeit später durchdringende Sonnenstrahlen. Es schien, als hätte Rudi von oben den Beifall, der das kurze Schweigen sanft gebrochen hatte, registriert und wohlwollend gegrüßt. Ein Ehrenmann. Bis zum Schluss.
So wechselhaft die Witterung an diesem Samstagnachmittag, so unerklärlich die beiden unterschiedlichen Halbzeiten die zusammen eine Partie formten, die sich für alle in schwarzgelb fraglos wie eine Niederlage anfühlte. Innerhalb von sieben Tagen ist es dem BVB in drei Begegnungen tatsächlich gelungen, vier Führungen wieder aus der Hand zu geben. Schon gegen Bremen im Pokal mit einem Debütanten im Tor, teils fragwürdigen Abwehrverhalten und Pech in der Elfmeterlotterie, hatte Schwatzgelb auch gegen die TSG mit widrigen Umständen und personellem Aderlass zu kämpfen. Ohne Reus, Delaney und Favre schulterte der BVB dank der SanShow vor allem in Halbzeit Eins die traditionell schwer zu bespielenden Kraichgauer ohne ernstzunehmende Schwierigkeiten und schien sich nach einer sicheren 3:0 - Führung schon ins Wochenende zu verabschieden, kratzte sogar am vierten Treffer. Letzterer fiel nicht, und aus dem Windschatten der weiter rege mitspielenden Hoffenheimer schlich sich zum ersten Mal in dieser Saison ein Gefühl an, dass es in dieser Form zuletzt bei einer gewissen Partie im November 2017 gab. Damals brachen alle Dämme, und auch an diesem windig-nassen Samstag im Februar erinnerte ab der 75. Minute nicht wenig an das damalige schwarzgelbe Nirvana.
Damals wie heute? Ein knapp 30-jähriger Übungsleiter in der gegnerischen Coachingzone, der seine Mannen unermüdlich nach vorne peitschte und im Glauben an Punkte nicht nachließ. Für diesen nie erlöschenden Glauben zeichnete sich einzig und allein der BVB verantwortlich. Damals wie heute. Zu keinem Zeitpunkt strahlten die Hausherren in der Schlussphase Selbstsicherheit und ein stabiles Defensivverhalten aus. Einer der stärksten ersten Halbzeiten in dieser Saison folgte eine absurd schwache zweite Hälfte, die vor einer selten gesehenen Naivität und Unkonzentriertheit in der Rückwärtsbewegung förmlich überquoll. Selbstredend waren die drei Gegentore, die die Gäste mit drei Torschüssen in einer Viertelstunde erzielten, alles andere als Normalität. Das Spielglück jedoch, dass dem BVB noch in der Hinrunde in Partien wie gegen Augsburg die Treue hielt, scheint momentan schlichtweg zu fehlen. Das Ausscheiden im Pokal war ein erster Warnhinweis, die gestrige gefühlte Niederlage ein deutlicher Stimmungsdämpfer. Ob man Meister werden möchte oder nicht - so ein Spiel darf nicht mehr abgegeben werden. Unter keinen Umständen.
So bleibt nur die Hoffnung, dass diese (immer noch) junge Mannschaft aus solchen Situationen lernt, im Kollektiv die richtigen Schlüsse zieht und aus dieser ersten kleineren Schwächeperiode umso gestärkter hervor geht. Denn einfacher werden die kommenden Aufgaben keineswegs. Schon am Mittwoch reist man nach London zu Tottenham, danach folgen Auswärtsauftritte in Nürnberg und Augsburg - dazwischen steht die Rückkehr von Peter Bosz mit wiedererstarkten Leverkusenern. Ein psychologischer Knacks nach einem erneut unnötig abgeschenkten Spiel wäre zum jetzigen Zeitpunkt der Saison das Allerletzte, was diese eben noch äußerst junge Mannschaft gebrauchen kann.
Highlights
Statistik
Borussia Dortmund:
Bürki – Piszczek, Weigl, Diallo, Hakimi – Witsel, Dahoud – Sancho, Philipp (71. Alcácer), Guerreiro (90.+2 Wolf) – Götze (83. Toprak)
TSG Hoffenheim: Baumann – Bicakcic, Posch, Hübner – Kaderabek, Grillitsch, Schulz – Bittencourt (70. Nelson), Demirbay (46. Geiger) – Joelinton, Kramaric (46. Belfodil)
Tore: 1:0 Sancho (32., Piszczek), 2:0 Götze (43., Sancho), 3:0 Guerreiro (66., Götze), 3:1 Belfodil (75., Kaderabek), 3:2 Kaderabek (83., Schulz), 3:3 Belfodil (87., Freistoß Geiger)
Eckstöße: 7:8 (Halbzeit 2:3)
Chancenverhältnis: 9:8 (4:0)
Schiedsrichter: Fritz (Korb), Gelbe Karten: – Grillitsch, Demirbay, Geiger
Zuschauer: 81.365 (ausverkauft)
Stimmen zum Spiel
Edin Terzic:
"Die erste Halbzeit hat so funktioniert, wie wir uns das vorgestellt haben, konnten die Seiten verlagern und Jadon ins Spiel bringen, der heute meiner Meinung nach ein herausragendes Spiel gemacht hat und haben die Halbzeit folgerichtig mit einem 2:0 beendet. Danach hatten wir zu viele einfache und unnötige Ballverluste in der Nähe des eigenen Strafraums. Es ist sehr bitter, wenn man bis zur 75. Minute 3:0 vorne liegt und doch noch drei Tore schlucken muss. Und es ist ärgerlich, dass man dreimal innerhalb von sieben Tage eine Führung aus der Hand gibt. Aber: Wir haben eine sehr junge Mannschaft, der wir Fehler zugestehen. Das wollen wir aber in Angriff nehmen, um da stabiler zu sein.“
Mario Götze:
"Wir haben es lange Zeit sehr gut gemacht, führen 3:0, haben die Chance aufs 4:0 – das muss zuhause auch gegen eine sehr gute Mannschaft wie Hoffenheim reichen. Wir müssen da souveräner sein, noch konsequenter spielen. Es ist sehr bitter, so ein Spiel aus der Hand zu geben. Dennoch sehe ich viel Positives.“
Julian Nagelsmann:
"Ich hatte in den ersten Minuten ein gutes Gefühl, doch danach war ein Bruch im Spiel, der mit der Qualität des Gegners zu tun hatte. Wir haben zu wenig Druck auf ihren Sechser ausgeübt und dadurch konnte der BVB zu leicht verlagern. Es war eine außergewöhnliche zweite Hälfte. Ich bin überglücklich und total stolz, dass wir noch mal so eine Mentalität gezeigt haben. In der zweiten Halbzeit haben wir sehr hoch verteidigt und immer an unsere Chance geglaubt. Wir hätten auch fünf oder sechs Tore machen können und deswegen geht der Punkt am Ende absolut in Ordnung."
Oliver Baumann:
"Wir wollten in der zweiten Hälfte einfach früher draufgehen. Wir sind besser in die Zweikämpfe gekommen, waren mit mehr Aggressivität auf dem Platz. Hier einen Punkt mitzunehmen, ist natürlich richtig, richtig gut."