Der Anfang vom Ende
Rückblickend wundert man sich oft, wie schnell es dann eigentlich den Bach runtergegangen ist. Von der Meisterschaft im Mai 2002 bis zur Beinahe-Insolvenz im März 2005 waren es nicht einmal drei Jahre, und auch wenn der Absturz im Triumph bereits angelegt war, konnte man davon zu Beginn der Saison 2001/02 noch nicht allzu viel spüren. Denn Geld, das war irgendwie die Lehre aus den 1990er Jahren mit dem großen Schluck aus der Pulle im UEFA-Pokal 1992/93 und dem dann noch viel größeren Schluck aus der Pulle beim Börsengang 2000, war beim BVB immer irgendwie vorhanden.
Und dieses Geld wurde kräftig investiert. Einerseits ins Westfalenstadion natürlich, aber vor allem in die Mannschaft. Selbst mit 20 Jahren Abstand klingen die Ablösesummen aus dieser Zeit immer noch gewaltig, und damals war deutlich weniger Kohle im Geschäft vorhanden. Im Sommer 1999 wechselten etwa Fredi Bobic, Victor Ikpeba, Christian Wörns und Evanilson für insgesamt knapp 25 Millionen EUR zum BVB, und weil das insbesondere in der Offensive mit Bobic und Ikpeda überhaupt nicht funktionierte, wurde zu Beginn des Jahres 2001 kräftig nachgelegt: Erst kam Tomáš Rosický in der Winterpause für 12,5 Millionen EUR aus Prag, etwas später wurde sein Landsmann Jan Koller für einen ähnlichen Betrag zur neuen Saison aus Anderlecht losgeeist, und dann präsentierte der BVB im Juli 2001 seinen Königstransfer: Marcio Amoroso aus Parma, Ablösesumme schlappe 25 Millionen EUR.
Dass das alles nicht gut gehen konnte, weiß man heute, und man hätte es damals vermutlich zumindest erahnen können. Diese Ablösesummen stehen nie für sich allein, es wurden bereits damals gute Gehälter und natürlich die ominösen Handgelder bezahlt. Dazu kam der gigantische Stadionausbau in mehreren Schritten, und sowieso ist die Liste teurer Neuzugänge, von denen die meisten wenig von dem hielten, was die bloßen Geldbeträge versprachen, noch viel länger als bloß die genannten.
Rosický, Koller und Amoroso waren jedoch anders, zumindest in jener Meistersaison 2001/02. Fußballspielen konnten die Jungs, Ablösesummen hin oder her, ähnlich übrigens wie Ewerthon und Kehl, die im weiteren Verlauf der Saison noch verpflichtet wurden. Besonders schön zu sehen war das bereits am ersten Spieltag, bei einem ungefährdeten 2:0-Erfolg gegen den frisch aufgestiegenen 1. FC Nürnberg. Stärker eingebrannt als das Ergebnis haben sich vor allem die äußeren Umstände: Bereits vor dem Spiel hatte man bei bestem Fußballwetter dieses komische Gefühl, wonach es in dieser Saison richtig gut werden würde; dieses Gefühl, das zum immer leicht großkotzigen BVB dieser Jahre leider ganz gut passte. Und dann legten sich die drei Offensivspieler gegenseitig Großchance um Großchance auf, was unter normalen Umständen für mehrere ungefährdete Siege gereicht hätten. Bereits zur Halbzeit hätte sich der Club nicht über ein halbes Dutzend Gegentore beklagen können.
Gefeierter Star des Tages war jedenfalls Neuzugang Marcio Amoroso, der mit seinem Doppelpack belegte, dass Geld natürlich sehr wohl Tore schießt. Und das tat das Geld bzw. taten die drei zusammen mit Ewerthon auch im gesamten Rest der Saison. So dominant wie gegen Nürnberg trat der BVB allerdings kaum noch auf. Spätestens als die Tage kürzer und die Temperaturen kühler wurden, war vom brasilianischen Zauberfußball eher wenig zu sehen. Und trotzdem blieb der BVB in der Liga in Schlagdistanz und sicherte sich nach drei Siegen in drei wilden Spielen zum Abschluss der Saison, auch dank Elfmetergeschenken und Duseltoren, die sechste deutsche Meisterschaft.
Spielerisch waren diese letzten Siege allerdings eher in die Kategorie Arbeitssieg einzuordnen. Die echte Antipode zum zauberhaften Auftakt gegen den Club war eher das Halbfinale im UEFA-Pokal gegen den AC Mailand, der damals einen deutlich klangvolleren Namen als heute hatte. Das 4:0 im Hinspiel zuhause dürfte in der Liste der besten Dortmunder Europapokalspiele einen sicheren Platz in den Top 5 einnehmen. Dreifacher Torschütze auch hier, bei einer ähnlichen Offensivshow wie am ersten Spieltag: Marcio Amoroso.
Nach dieser Saison war der Ofen jedenfalls schnell aus. Amoroso startete gut in die folgende Saison, verletzte sich dann aber nach wenigen Spielen schwer und war fortan nicht mehr der alte. Auch Rosický, Koller und Ewerthon knüpften zu Dortmunder Zeiten nie wieder an ihre Form aus der Saison 2001/02 an, und so gingen der sportliche und wirtschaftliche Abstieg des BVB Hand in Hand: Am letzten Spieltag der Saison 2002/03 wurde beim 1:1 gegen Cottbus der direkte Einzug in die Champions League verspielt, und spätestens als man dann im Spätsommer 2003 auch in den Play-Offs am FC Brügge scheiterte, waren die Risse nicht mehr zu übersehen. Ein teurer Spieler nach dem nächsten verließ den Verein, Marcio Amoroso wurde sogar ohne Ablösesumme einfach entlassen, und nach den nächsten Misserfolgen 2004 war auch Meistertrainer Sammer weg.
Von ganz oben nach ganz unten in weniger als drei Jahren: Diese Zeit wirkt bis heute heilsam nach. Bei allem Frust darüber, dass man sportlich auf der Stelle tritt und insbesondere in der letzten Saison über weite Teile furchtbaren Fußball gespielt hat, fordert niemand mehr die großen Namen und die wirtschaftlich riskanten Transfers, die nur dann wirklich funktionieren können, wenn so ziemlich alles richtig läuft. Das Ideal ist ein anderes geworden: Lieber etwas weniger Geld investieren und dafür eine hungrige Mannschaft bekommen, ohne Garantie auf die großen Titel, dafür aber mit viel Hoffnung auf eine gute Geschichte. Und ohne dass man vorher schon sicher weiß, dass es erfolgreich werden wird. Wird es das dann doch, ist es nämlich doppelt schön.