Unsa Senf

Nationalisten im WM-Finale

12.07.2018, 00:00 Uhr von:  Ferdinand

Frankreich gegen Kroatien, so lautet die Finalpaarung. Dabei haben auf Seiten der Kroaten einige Spieler bereits dokumentiert, dass ihre nationalisischen Ansichten dem Gedanken als Fußballfest der Völker widersprechen.

Dejan Lovren (hier im Trikot des LFC) postete das Video aus der Kabine.

Es war die 109. Minute, in der Mario Mandzukic das 2:1 für seine Nationalmannschaft erzielte und somit das WM-Finale Frankreich gegen Kroatien perfekt machte. Eine Paarung, die eigentlich leistungsgerecht und verdient ist. Frankreich spielte zwar selten wirklich guten Fußball, verkörpert aber wohl die Mannschaft im Turnier, die Technik und Taktik im höchsten Maße miteinander vereint. Kroatien hat ebenfalls eine stattliche Anzahl hochwertiger Einzelkicker und überzeugte mit dem größten Einsatz. Alle drei Partien nach der Gruppenphase spielte man über 120 Minuten und ging dabei körperlich bis an die Grenzen. Also eigentlich ein gerechtes Finale. Wäre da nicht dieser widerliche Nationalismus, den Teile der kroatischen Mannschaft offen ausleben.

Das Problem ist nicht neu. Spätestens seit dem Jahr 2013, als der Ex-Herthaner Josip Simunic für zehn Spiele gesperrt wurde, weil er im Anschluss an ein Länderspiel mit den Fans den Ustascha-Gruß, auf den wir gleich noch zu sprechen kommen, als Wechselgesang intonierte, liegt es offen auf dem Tisch. So entsetzt zwar auch das Video, das der Liverpooler Verteidiger Lovren im Anschluss an den WM-Sieg gegen Argentinien aus der Kabine postete, aber es verwundert nicht wirklich. In dem Video sieht und hört man, wie die Spieler Lovren und Vrsaljko lauthals das Lied „Bojna Čavoglav“ der neofaschistischen Band „Thompson“ intonieren. Die Vielstimmigkeit des Gesangs lässt eindeutig darauf schließen, dass sich noch weit mehr Mitspieler als nur die beiden Kicker an der fröhlichen Gesangsstunde beteiligten.

Nun mag man, nicht unberechtigt, darauf verweisen, dass 2006 auch aus der Kabine der deutschen Nationalmannschaft Musik eines Sängers erklang, der mittlerweile einen eher zweifelhaften Ruf genießt und eine ungesunde Nähe zur Reichsbürgerszene pflegt. Das war damals allerdings noch nicht erkennbar, weil Textfragmente über „Baron Totschild“ erst in Liedern späterer Jahre auftauchten. Im Falle der Band „Thompson“ ist die Gesinnung jedoch eindeutig. Das gesungene Lied beginnt gleich mit dem selben Gruß, den auch Simunic der Kurve entgegenbrüllte: „Za Dom – Spremni!“ Oder auf deutsch: „Für die Heimat – Bereit““. Klingt erst einmal gar nicht so wild. Zumindest weit weniger dramatisch als „Sieg heil“, oder „Meine Ehre heißt Treue“, dem Wahlspruch der SS. Aber es geht in genau diese Richtung. „Za Dom – Spremni“. Der Ruf der Ustascha. Eine 1928 gegründete, faschistische Kampfbewegung, die Ihre Renaissance im jugoslawischen Bürgerkrieg Anfang der 1990er Jahre feierte und dafür heute in weiten Teilen der kroatischen Bevölkerung als Symbol des Widerstandes gefeiert wird. Zur Geschichte der Ustascha gehört aber auch, dass sie 1941 unter freundlicher Genehmigung von Hitler-Deutschland die Macht übernahm und fortan als Nazi-Kollaborateure eine faschistische Diktatur in dem Balkanstaat installierte. Unter ihrem Regime wurden mehrere Hunderttausende Serben, Juden, Roma, Antifaschisten und Kommunisten in Konzentrationslagern umgebracht.

„Za Dom – Spremni“

Das ist kein harmloses Kokettieren mit Widerstandskämpfern, sondern die Huldigung an faschistische Massenmörder. Das soll nicht heißen, dass Lovren und Co. stramme Nazis sind, dafür gibt es keine Anzeichen. Aber es zeigt deutlich einen überstiegenen, ins ekelhafte abgleitenden Nationalismus, dem man dort frönt. Das ist etwas bedeutend anderes als Patriotismus, der in vielen Ländern gepflegt wird. Patriotismus ist der Stolz auf die Errungenschaften und Leistungen des eigenen Landes und ein Bekenntnis zu ihm. Nationalismus ist Abgrenzung gegenüber anderen Ländern und Überhöhung des eigenen Landes über alle anderen.

Gerade im Liedtext von „Bojna Čavoglav“ tritt diese Überhöhung mehr als deutlich in den Vordergrund:

Hört her ihr serbischen Freiwilligen, ihr Tschetniks

Unsere Hand wird euch sogar bis nach Serbien erreichen

Euch wird Gottes Gerechtigkeit treffen, das weiß jeder

Die Krieger von Čavolgave werden euer Urteil sein

Mit Gedankenlosigkeit kann man sich da nur schwerlich heraus reden. Nun ist das mit Sicherheit nicht der richtige Platz, um den jugoslawischen Bürgerkrieg aufzuarbeiten. Es ist auch schlichtweg nicht möglich, hier Gut und Böse, Richtig und Falsch zu benennen. Dass die Narben des Bürgerkriegs nicht innerhalb kurzer Zeit verheilen, ist nachvollziehbar. Dafür sind auf beiden Seiten zu tiefe Wunden geschlagen worden. Es ist aber verstörend, wenn Spieler, die in ihrer Karriere quer durch Europa ziehen und mit Menschen aller Länder und Religionen zusammen Fußball spielen, öffentlich von der Vernichtung des ehemaligen Kriegsgegners singen. Sie haben das Standing, Brücken zu schlagen. Stattdessen tragen sie die Tradition des Krieges in Gedanken und halten sie am leben. Das ist der falsche Weg.

Ihr Nationalismus steht im völligen Gegensatz zum völkerverbindenen, integrativen Ansatz, den der Fußball so gerne selbstherrlich für sich reklamiert. Wir erinnern uns vielleicht noch, dass vor wenigen Monaten nach Annexion der Krim, Russlands Intervention in Syrien gegen Verbündete der USA und der mutmaßlich von Russland initiierten Vergiftung des Ex-Agenten Skripal der Begriff „Kalter Krieg“ durch die Presse geisterte. Ein Boykott westlicher Nationalverbände der WM stand jedoch nie zur Debatte, weil der Fußball ja Brücken schlagen könne und müsse. Ja, manchmal entsteht der Eindruck, als ob der Weg zum Weltfrieden nur über das runde Leder führt. Und jetzt steht eine Mannschaft im Endspiel, in der viele Spieler ganz offenkundig gegensätzliche Wertevorstellungen haben. Statt die kroatische Mannschaft jedoch hochkantig aus dem Turnier zu werfen und nach Hause zu schicken, beschäftigt sich die FIFA lieber mit dem Verteilen von Geldstrafen für die Benutzung von Getränkeflaschen mit einem Herstelleraufdruck außerhalb des Sponsorenkanons. Und mit Socken. Irgendwie muss Gianni Infantino das Geld ja reinkriegen, nachdem seine Milliardenpläne einer Weltliga erst einmal abgelehnt wurden.

Es wäre allerdings viel zu leicht, wie gewohnt auf die FIFA einzuprügeln. Von diesem Haufen erwartet eh niemand mehr ein moralisch integres Verhalten. Das Video von Lovren fand in den deutschen Medien allenfalls ganz nebenbei Beachtung und die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten befassen sich im Nachgang an die Spiele der kroatischen Mannschaft auch lieber mit der Frage nach Vierer- oder Fünferkette und huldigen Modric’ Außenristpässen (die wirklich extrem geil sind), als sich mit der Zuschaustellung nationalistischen Gedankenguts auseinander zu setzen. Es ist eben WM und nun soll so etwas nach dem Ausscheiden der deutschen Mannschaft nicht auch noch den letzten Rest der Partystimmung killen.

Der Fußball bildet damit perfekt ein Grundproblem der Gesellschaft ab. Viele sind gegen rechts, gegen Faschismus und für Völkerverständigung – aber wenn dieses Problem offen zu Tage tritt, dann schaut man angestrengt in die andere Richtung. Rechtspopulismus ist nicht deshalb so stark geworden, weil man so viel über ihn spricht, sondern weil man ihn nicht schnell und mit aller Macht wieder von der Bühne gedrängt hat, auf die er gestürmt ist. Man unterhielt sich einfach weiter mit seinen Nebenleuten und hat gehofft, dass das schaurige Schauspiel schon bald von selbst wieder endet. Genau deshalb ist es falsch, das Verhalten der kroatischen Spieler unter den Teppich zu kehren. Es ist nicht in Ordnung, im Chor Lieder von Faschobands zu schmettern und einer Organisation mit Wurzeln im Nationalsozialismus zu huldigen. Punkt. Aus. Durch das Ignorieren wächst allerdings der Eindruck, dass das alles nicht so schlimm ist und jeder freudetrunkend gerne einstimmen darf.

Ja, mit Sicherheit hat ein nicht unerheblicher Teil der Leser, der sich bis hierin durchgelesen hat, schon mehrmals mit den Augen gerollt, innerlich aufgestöhnt und sich gedacht: „Die schon wieder. Die sollen Fußball mal schön Fußball und Politik Politik sein lassen“. Dabei ist gerade der Fall ein Paradebeispiel dafür, warum es sich bei dieser Ansicht um eine absolute Scheißhausparole handelt. Die ominöse „Politik“ wird nicht dadurch ins Spiel gebracht, das man sie ans Licht zerrt, sie ist nämlich schon da. Ob bewusst, oder unbewusst hat Dejan Lovren die Popularität der kroatischen Mannschaft, die Aufmerksamkeit der WM und auch seine Bekanntheit als Sportler dafür genutzt, nationalistisches Gedankengut zu verbreiten und als Teil des Fußballs zu verharmlosen. Der Fußball darf aber kein Vehikel sein, über den sich derartige Scheiße verbreitet und seinen Platz in der Gesellschaft sucht.

Bleibt nur zu hoffen, dass Frankreich am Sonntag als Sieger vom Platz geht. Der Gedanke an einen Weltmeister, der aus dem braunen Morast entsteigt, ist einfach unerträglich.

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