Aufruf zur Demo gegen das neue Polizeigesetz
Vor kurzem rief die Fanhilfe Dortmund dazu auf, am Samstag, den 07.07.2018 gegen das neue Polizeigesetz in Düsseldorf zu demonstrieren. Diesem Aufruf wollen wir uns anschließen und hier erläutern, warum ein Protest gegen die Verschärfung notwendig ist.
Eins vorweg:
Die Arbeit der Polizei ist wichtig. Es geht nicht darum, ihre Arbeit per se in Frage zu stellen, was auch gar nicht Zweck der Demo ist. Wer schon mal Opfer von Kriminalität wurde oder Probleme im Straßenverkehr hatte, wird sicher dankbar gewesen sein, dass es eine Instanz gab, an die man sich wenden konnte. Die Polizei ist aber auch eine der wenigen staatlich legitimierten Einheiten, die Gewalt ausüben darf, um ihre Arbeit zu verrichten. Es ist also immer eine Gratwanderung zwischen der besten Abwehr von Straftaten und der größtmöglichen Freiheit für den Bürger. Eingriffe in die Grundrechte sollten vermieden werden. Die exponierte Stellung der Polizei muss auch mit starken Kontrollen einhergehen. Wenn man staatlich legitimiert ist, muss man sich gefallen lassen, immer unter Beobachtung zu stehen und alle Maßnahme zu hinterfragen. Ein Verdacht von Willkür oder übertriebenen Maßnahmen schwächt das Vertrauen in die Polizei.
Warum ein neues Polizeigesetz?
Die Einführung neuer Polizeigesetze ist in mehreren Bundesländern geplant, in Bayern sogar schon umgesetzt. Man reagierte mit der Verschärfung der Gesetze angeblich auf das erhöhte Sicherheitsbedürfnis in der Bevölkerung, zum Beispiel durch akute Terrorbedrohung. Jedoch muss man attestieren, dass die Forderung nach mehr Sicherheit eher im Gefühl begründet ist. Statistisch haben wir in Deutschland die niedrigste Kriminalitätsrate seit 25 Jahren und auch die Terrorgefahr ist in Deutschland nicht besonders hoch, in Westeuropa sogar eines der sichersten Jahrzehnte in dieser Hinsicht.
Das alles auf Basis der aktuellen Gesetzeslage. Es ist wohl vor allem eine Darstellungssache, die wir aus dem Fußball kennen: Da wird trotz konstant niedrigen Verletztenzahlen öfters von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen" gesprochen. Auf Basis der Zahlen muss man sich also die Frage stellen, ob eine Verschärfung der Polizeigesetze überhaupt notwendig ist.
Was ändert sich konkret mit dem neuen Polizeigesetz?
Das geplante nordrhein-westfälische Polizeigesetz soll sich stark an dem aus Bayern orientieren. Konkret bedeutet dies:
- Die schwarz-gelbe Landesregierung führt im neuen Gesetz die Begriffe der „drohenden Gefahr" und des „Gefährders" ein. Ein Gefährder ist jemand, von dem die Polizei annimmt, dass er in absehbarer Zeit eine Straftat verüben könnte. Es kann sich dabei also auch um Personen handeln, die weder in der Vergangenheit negativ aufgefallen sind noch in dem konkrete Hinweise vorhanden sind, dass sie in Zukunft negativ auffallen werden. Offiziell dient dieses Vorhaben der Abwehr terroristischer Angriffe, tatsächlich kann und soll er aber auch darüber hinaus angewendet werden. Das Problem dabei: Der Begriff des Gefährders ist absolut schwammig und letztendlich kann es jeden von uns treffen, einfach nur, weil wir mal zur falschen Zeit am falschen Ort waren (mehr dazu weiter unten). Ebenso schwammig ist die „drohende Gefahr". Diese erlaubt es der Polizei – anders als bislang – auch dann aktiv zu werden, wenn das Ausüben einer Straftat vermutet wird.
- Warum man nicht gerne ein Gefährder sein möchte? Ganz einfach. Wird man von der Polizei so klassifiziert, ist es möglich, dass man eine elektronische Fußfessel tragen muss und für bis zu drei Monate bestimmte Aufenthaltsorte nicht mehr betreten darf. Oder man für die gleiche Zeit keinen Kontakt mehr zu bestimmten Personen haben darf. Oder sogar, dass man für bis zu vier Wochen in Gewahrsam genommen wird. Und das – noch einmal – auch ohne, dass man bislang eine Straftat verübt hat oder eine Straftat konkret plant.
- Ohne Wissen der betroffenen Personen darf die Polizei zukünftig auch Telefonate und die mobile Kommunikation (z.B. SMS oder WhatsApp) mitlesen oder mithören. Zusätzlich kann auch auf Handys der sogenannte Bundestrojaner installiert werden. In diesem Zusammenhang wird gerne das Argument genannt: „Ich habe ja auch nichts zu verbergen". Dies dürfte letztendlich auf keinen Menschen dieses Landes zutreffen; jeder Mensch hat irgendetwas zu verbergen; seien es z.B. Meinungen, private Fotos, Verträge oder Browserverläufe. Und jeder Mensch sollte auch weiterhin das Recht dazu haben, bestimmte Dinge aus dem Leben verbergen zu dürfen. Übrigens: Diese Regelung würde nicht nur uns Privatmenschen betreffen, sondern könnte durchaus auch auf Rechner von Anwälten, Journalisten und Beratungsstellen angewendet werden, die über kritische und relevante Geheiminformationen verfügen.
- Zusätzlich darf die Polizei mit dem neuen Polizeigesetz verdachtsunabhängige Verkehrskontrollen durchführen. Dies bedeutet, dass Fahrzeuge ohne konkreten Verdacht durchsucht werden dürfen.
- Öffentliche Orte sollen verstärkt überwacht werden dürfen. Und zwar immer dann, wenn es die Vermutung gibt, dass dort Straftaten begangen werden könnten. Auch hier wird gerne angeführt, dass einen diese Form der Überwachung nicht sonderlich störe. Besonders im Hinblick auf neue technische Möglichkeiten handelt es sich hierbei allerdings um einen massiven Eingriff in unsere Bürgerrechte und Privatsphäre. Die automatische Gesichtserkennung wird bspw. in Berlin schon getestet. Was das bedeutet? Auch wenn man keine Straftaten begeht oder plant, kann dies dazu führen, dass die Polizei technisch dazu in der Lage ist, zu speichern, wann man sich wo aufhält.
- Nicht zuletzt darf die Polizei künftig auch „nichttötliche Munition" bei sich tragen, in der Praxis bedeutet dies vermutlich das Tragen von Tasern oder Gummigeschosse. Es ist mindestens fragwürdig, ob dies wirklich zu mehr Sicherheit führt. Auf der anderen Seite ist dagegen zu befürchten, dass der Einsatz dieser Geräte auch in unverhältnismäßigen Situationen erfolgen wird.
Der Fairness halber muss erwähnt werden, dass die ersten Proteste gegen das Gesetz in der Landesregierung angekommen zu sein scheinen. Punkte, die verfassungswidrig sein könnten, sollen noch einmal geprüft werden. Die Beratung über das Polizeigesetz wurde auf die Zeit nach der Sommerpause verschoben.
Warum sollte man gegen das neue Polizeigesetz demonstrieren?
Wie oben schon erwähnt, ist besonders die Ansicht „Wer nichts zu verbergen hat / sich an Gesetze hält, hat auch nichts zu befürchten!", beliebt und weit verbreitet. Hier mal ein konkretes Beispiel, welches so vor ein paar Monaten geschehen ist:
Am 14.04. demonstrierten einige Nazis in Dortmund. Wir wollten zur Gegendemo am Heinrich-Schmitz-Platz. Der Weg dorthin führte uns einmal quer durch das Dortmunder Stadtgebiet, weil von der Polizei alles systematisch abgeriegelt war. Wir näherten uns der Gegendemo also von Süden über die Sonnenstraße. Inzwischen hatte sich schon eine größere Gruppe angesammelt. Wir fragten an der Polizeisperre „Sonnenstraße", wie wir jetzt am besten zur Gegendemo kommen. Simple Antwort: „Ihr müsst nur noch da vorne durch den Westpark, dann seid ihr schon da." Erfreut, dass wir nicht noch weitere Umwege laufen mussten, wurden wir im Westpark von einigen berittenen Polizisten „begrüßt", die direkt auf uns zu ritten. „Haut ab", rief einer der Polizisten und machte deutlich, dass wir nicht durch den Westpark gehen sollen. Nach vielem Hin und Her durften wir schließlich durch. Auf Basis des neuen Polizeigesetzes hätte aber auch Folgendes passieren können: Wir werden in den Westpark geschickt, handeln also so, wie es uns aufgetragen wurde. Dort werden wir als „drohende Gefahr" wahrgenommen, die zur Nazidemo durchbrechen will und könnten für bis zu vier Wochen in Gewahrsam genommen werden, obwohl wir uns nichts zu Schulden kommen lassen haben. Erkläre das mal einer dem Arbeitgeber: „Ich bin den Weg gegangen, der mir von der Polizei genannt wurde und dann wurde ich in Gewahrsam genommen." Die persönlichen Konsequenzen daraus können also empfindlich sein. Später nachzuweisen, dass die Anweisung an der Sonnenstraße erfolgte, ist dann auch nicht so einfach. In Nordrhein-Westfalen gibt es keine Kennzeichnungspflicht mehr und im Zweifel wird die Aussage eines Polizisten immer höher gewichtet als die einer Gruppe, aus der Gefahr droht. Zur falschen Zeit am falschen Ort oder eine nicht genau abgestimmte Polizeitaktik könnten also in Zukunft mit dem neuen Polizeigesetz schon zu willkürlich anmutenden Maßnahmen führen.
Aber nicht nur dieser Fall zeigt, dass massiv in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger mit dem neuen Polizeigesetz eingegriffen wird. Auch die anderen Maßnahmen verheißen nicht hinzunehmende Beschneidungen der allgemeinen Freiheit und Selbstbestimmung.
Der Sonderfall „Fußballfan"
Fußballfans sind häufig gebrannte Kinder. Sie haben nahezu jedes Wochenende mit der Polizei zu tun. Manchmal sind die Aufgebote und Maßnahmen völlig übertrieben, manchmal liefern Fans auch selber den Beweis, dass es nicht ohne Polizeieinsatz möglich ist. Was jedoch auffällt: Der Fußball scheint eine Versuchswiese für neues Vorgehen der Polizei gerade bei größeren Demonstrationen oder der Überwachung von potentiellen Straftäter zu sein. Das Vertrauen in die Polizei hat auf jeden Fall stark gelitten beim durchschnittlichen, informierten Fußballfan. Ob es nun eine geheime „SKB-Datenbank" (Datenbank szenekundiger Beamter), in der zig Personen gespeichert sind, die zum Fußball fahren, aber nie auffällig geworden sind. Ob das mit dem Rechtsstaat, geschweige denn mit dem im Grundgesetz vereinbar ist, ist in Frage zu stellen. Vor allem auch vor dem Hintergrund, dass Personen in einer Datenbank landen, die nichts verbrochen haben, aber dadurch Probleme bei der Ausreise bekommen. Darüber hinaus werden dann auch mal Fanprojekte überwacht, mit zum Teil hanebüchenen Erkenntnissen und Aufzeichnungen (11Freunde berichtete ausführlich).
Und auch die Betretungsverbote nehmen in letzter Zeit deutlich zu. In Leverkusen darf man vom Sonderzug aus nicht in die Innenstadt, sondern nur noch direkt zum Stadion. In Bremen werden Fanbusse auf einem Parkplatz gesammelt, um danach Fans in Shuttle-Bussen zum Stadion zu transportieren, wo sich die Fangruppen dann wieder mischen. Willkürliche, zum Teil unnötige, ärgerliche und schlicht rechtswidrige Eingriffe in die menschlichen Grundrechte. Eine Verschärfung des Polizeigesetzes dürfte also vor allem für Fußballfans gehörige Auswirkungen haben, indem immer mehr überflüssige Maßnahmen legitimiert werden.
Sehen nur die „üblichen Verdächtigen" das neue Polizeigesetz so kritisch?
Nein! In den vergangenen Wochen und Monaten haben sich auch verschiedene andere Personen kritisch zum geplanten Polizeigesetz geäußert. Gerhart Baum, früherer Innenminister, sagt etwa: „Das Bedenklichste an dem Gesetz ist die Verlagerung von präventivpolizeilichen Befugnissen in ein Vorfeld drohender Gefahr, in dem es nur um Wahrscheinlichkeiten geht und nicht um eine konkrete Tatsachenbasis. Dies hat Karlsruhe zugelassen – aber nur in einem Fall: der Bekämpfung von Terrorismus. Jetzt soll diese Schwelle für normale Kriminalität gesenkt werden. Das heißt, der unbescholtene Bürger gerät ins Visier der Polizei." Auch die frühere Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger stört das Gesetz: „Mich ärgert die Verallgemeinerung, Maßnahmen der Polizei nun auch außerhalb einer Terrorgefahr zu rechtfertigen. Damit senkt man die Eingriffsschwelle für die Polizei – dieser gefährliche Trend sollte gestoppt werden." Warum gerade diese beiden Aussagen so interessant sind? Weil sowohl Baum als auch Leutheusser-Schnarrenberger Politiker der FDP sind/waren und somit jener Partei, die in NRW zusammen mit der CDU regiert.
Die Strafverteidiger-Vereinigung NRW bezeichnet das geplante Gesetz als „reinen Populismus" und merkt an: „Das Gesetz ist auch für den normalen Bürger richtig gefährlich, es kann gegen jeden verwendet werden, der zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort ist", so der Vorsitzende Frank Nobis.
Auch Amnesty International positioniert sich deutlich: „Die vorgesehene Möglichkeit, Personen bis zu einen Monat zu inhaftieren, ohne dass sie akut gefährlich sind oder einer Straftat verdächtigt werden, verstößt gegen die Unschuldsvermutung und das Menschenrecht auf Freiheit. Damit werden Menschen de facto bestraft, ohne gegen das Gesetz verstoßen zu haben – und ohne ihre in einem Strafverfahren garantierten Rechte wahrnehmen und sich beispielsweise einen Pflichtanwalt nehmen zu können."
Fazit und Aufruf
Aus diesen Gründen sehen wir das geplante Polizeigesetz sehr kritisch. Unsere Freiheit, unsere Privatsphäre, die Unschuldsvermutung – all das wird aufgegeben, um vermeintlich mehr Sicherheit zu schaffen. Tatsächlich aber ist zu befürchten, dass diese Maßnahmen dazu führen können, dass nicht nur die wahren Täter, sondern eben auch viele Unschuldige wie du und ich überwacht werden, in Gewahrsam genommen werden oder bestimmte Orte nicht mehr betreten dürfen. Da können und wollen wir nicht mitgehen!
Aus diesem Grund schließen wir uns dem Aufruf der Fanhilfe Dortmund an: Fahrt am Samstag nach Düsseldorf, nehmt teil an der gesellschaftsübergreifenden Demonstration gegen das Polizeigesetz und setzt ein Zeichen für eure Freiheit!
Wann: Samstag, 7.7.2018, 13:00 Uhr
Wo: DGB Haus Düsseldorf
Anreise: z.B. mit dem Zug um 10:45 Uhr ab Dortmund Hbf (Gleis 16)