On fire im Dauerregen
„… ob es regnet oder schneit, selbst beim größten Unwetter..“ Ja, wir sind immer da. Auch dann, wenn sich das Wetter der Leistung auf dem Platz anpasst und die Tribüne kein Dach hat. Auch dann. Aber von vorne:
Es ist Donnerstagmorgen, als wir uns auf den Weg zum Flughafen Köln/Bonn machen. Es sind außergewöhnlich wenige Mitborussen unterwegs, im Flieger jedoch stelle ich fest, dass es doch noch Gesichter gibt, die ich nicht kenne und die bloß „inkognito“ fliegen. Und so hebt „unser Charter“ nach Bologna ab, das allgegenwertige Gequatsche und Gegröhle lässt erste Kneipenstimmung aufkommen. Plätze werden mit Nicht-Fußballfans getauscht, die dankbar für ein wenig nette Unterhaltung auf ihrer Reise sind.
Ohne nennenswerte Zwischenfälle landen wir schließlich in Bologna, wo es via Bus für sechs Euro in die Innenstadt geht. Mein Unterbewusstsein vermeldet: „Hunger, sieh zu!“, wir überqueren die Straße und landen in einer kleinen Hinterhof-Pizzeria. Eine große Pizza mit Pasta erstrahlt vor meinen Augen, sie schmeckt wie sie aussieht (geil!) und ich nehme mir vor, die nächsten vier Tage nichts mehr zu essen. Wir rollen einmal um den Block – das muss an sightseeing für heute reichen – und landen erneut am Hauptbahnhof. Dort kommen wir ungefragt in den Geschmack italienischer Gastfreundschaft (die ich zugegebenermaßen zuvor nicht erwartet hatte), sodass wir schon bald unser Ticket nach Reggio Emilia in den Händen halten und auch wissen, wo und wann unser Zug fahren wird. Sowohl RE als auch ICE für schlappe sechs Euro, Bahnfahren in Italien ist somit ein echter Schnapper! In Reggio Emilia angekommen rast am späten Nachmittag ein Shuttlebus zum Stadion, den stabile Betonabsperrungen vor dem Gästeblock zu einem Slalomrennen mit einem voranfahrenden Auto einladen. Mit zitternden Knien steigen wir aus. Hinter meine Anreise zum Stadion mache ich einen Haken, dahinter vermerke ich in Klammern: „überlebt“.
Am Stadion angekommen treffen wir auf bekannte Gesichter – ob am Ende von Europa, Deutschland oder auch nur in Italien, es vereinen sich erneut Freunde aus der ganzen Welt, die ohne den Fußball wohl nie zusammen gekommen wären. Eine lange, lange Wartezeit steht bevor. Auf der Suche nach Wärme betreten wir als eine der ersten das Stadion und bekommen die volle Motivation des Ordnungsdienstes zu spüren. So stehe ich mit hochgezogenem Pulli vor den Toren und werde „bis auf den Schlüpper“ auseinander genommen, sehe meinen Freund in Unterhosen neben mir stehen. Glücklicherweise ist es nicht mein übergewichtiger Kumpel aus meinem letzten Spielbericht, der sich vor mir entblößt. Wir steuern den Verpflegungsstand an und bestellen innerhalb der nächsten zwei Stunden fünf Becher Tee, die zumindest für eine kurzzeitige Besserung des Unterkühlungszustandes sorgen. Auf der Toilette suche ich vergeblich nach einer solchen, finde nur ein umrandetes Loch. Aber wir sind ja nicht beim Ballett.
Trotz Dauerregen stimmt sich der Gästeblock dann auch schon eine Stunde vor dem Spiel auf diesen Europapokalabend ein. Währenddessen klatscht Marco Reus beim Aufwärmen einen Balljungen ab, der sich schwört, nach diesem Erlebnis nie wieder zu duschen und wie ein Groupie hinter der Bande zappelt. Es sind die kleinen Dinge im Leben. Die vier Vorsänger pushen den nassen Haufen trotz fehlendem Dach von Anfang an zu einer ordentlichen Lautstärke, eine Choreographie aus Blockfahne, Schals und rotem Rauch sollen der Mannschaft den Weg in Richtung Achtelfinale weisen. Fehlt nur noch, dass sich die Jungs auf dem Rasen genauso den Arsch aufreißen. Aber nein. Mir ist das zu wenig Biss, zu wenig Fantasie, zu wenig Kampfgeist. Viel zu wenig. Und so sind es „die Blauen“, die schon in der elften Minute in Führung gehen. Pyrotechnik flammt vereinzelt auf den Heimtribünen auf, Ost- und Westtribüne sind in Italien also deutlich aktiver und lauter als in Dortmund. Gefällt mir. Was mir nicht gefällt, ist die Reaktion der Mannschaft auf den frühen Gegentreffer, die sich ziemlich treffend mit „ist halt so“ zusammenfassen lässt. Ich wünsch‘ mir Spiele ohne Leiden und dass das Tor jetzt endlich fällt. Ob es Ideenlosigkeit oder fehlende Motivation ist, ich weiß es nicht.
Noch viel ätzender als dieser Kreisligafußball sind während des Spiels einige Fans im Gäste- als auch Heimblock, deren (politische) Einstellung mit den Werten von Borussia Dortmund definitiv nicht übereinstimmt. Hervorzuheben sind hier sowohl Affenlaute seitens der Bergamo-Fans gegenüber Isak und Batshuayi als auch eine fliegende Fackel in den angrenzenden Heimblock. Dass ich Pyro mag, ist kein Geheimnis. Dass es aber absolut unnötig ist, damit zu schmeißen, steht außer Frage.
Mir fällt ein Stein vom Herzen, als der Schiedsrichter endlich abpfeift. Es regnet ohne Punkt und Komma, die Pfützen im Block wachsen bis zum Spielende zu einem See heran. Meine vier Sweatshirtjacken sind inzwischen so nass, dass nach dem Auswringen sicher keiner im Block verdurstet wäre. Es sind keine Freudentränen und auch kein Schweiß in meinem Gesicht. Nur Schneeregen, unermüdlicher Schneeregen. So unermüdlich wie der Gästeanhang und so feiern wir diesen Achtenfinaleinzug intensiv und dem Spiel so unwürdig. Aber Fußball ist auch nicht Fußball, wenn er dank Schmelzers spätem Treffer nicht hin und wieder die gewinnen lässt, die es nicht verdient haben. Wir feiern die Mannschaft, feiern uns. Scheiß Leistung? Scheißegal! Borussia Dortmund International! Ein lautes „Schü-Schüü-Schüü“ rollt durch den Block, Schürrle springt glücklich auf der Stelle herum.
Letztendlich bleibt ein fader Beigeschmack, wenn ich mir die Geschehnisse auf Platz und Tribüne durch den Kopf gehen lasse. Dennoch verlassen nach 45 Minuten Blocksperre alle gut gelaunt den Gästeblock, um die Heimreise anzutreten. Ein Shuttlebus steht erneut bereit, fährt dummerweise aber in die falsche Richtung. Nach ewigen Diskussionen landen wir eine Stunde nach Mitternacht wider Erwarten am Bahnhof von Reggio Emilia und. Nichts und. Endstation für hunderte Fans ohne Unterkunft. Der nächste Zug in die Zivilisation soll um 4:30 Uhr fahren, die Stadt und jegliche Kneipe schlafen bereits. Unruhe breitet sich unter den Fans aus, die Polizei hingegen sieht weiterhin keinen Handlungsbedarf. Via Taxi-App rollt nach einer Ewigkeit dann doch Rettung an und so bleibt uns nichts anderes übrig, als die 60 Kilometer zurück nach Bologna mit dem Taxi zurückzulegen. 130€. Autsch. Die Gastfreundschaft des Taxifahrers hingegen lässt alle Missstände hingegen schnell vergessen. Er habe eine große Familie, Betten, warme Klamotten, Essen und würde uns am nächsten Morgen nach Bologna bringen. Ich bekomme Gänsehaut und doch lehnen wir dankend ab. Ganz blöde Idee, wenn nun 12 Stunden Wartezeit auf den Flieger in Richtung Heimat warten. Aber es hilft alles nichts. Wenige Stunden vor Abflug treffen auch die nicht-mehr-unbekannten Gesichter vom Hinflug als müde, wandelnde Gestalten wieder ein. Die Sky-Lounge im Flughafen platzt pünktlich zur Auslosung der nächsten Runde aus allen Nähten, auf das Ergebnis folgt ein einstimmiges „Scheiß Red Bull!“, die letzten Wassertropfen spritzen aus den Klamotten. Ich will nie wieder raus, mich für immer im Bett einkuscheln und bin froh, dass diese Tour endlich vorbei ist. Das nächste Spiel wird am Montag stattfinden, ohne mich und viele andere. Und auch in Salzburg wird der Block nicht mit den bekannten Gesichtern gefüllt sein.
Gute Nacht, Fußball.