Wie aus einer anderen Welt
Es ist keine sieben Wochen her, dass ich den Vorbericht zu unserem Spiel in Augsburg geschrieben habe. Trotzdem kommt es mir so vor, als sei dieser Vorbericht in einer anderen Welt entstanden, einer besseren Fußballwelt. Ich habe etwas getan, was ich vorher noch nie getan habe: Bereits am 7. Spieltag einer Saison habe ich einen neuen Trainer über den grünen Klee gelobt. „Dank u wel“ ließ ich Peter Bosz zukommen. Denn es lief ja gerade fantastisch. Eine Woche zuvor hatten wir die lahmen Ponys aus Gladbach mit 6:1 vom Platz gefegt, bis auf das 0:0 gegen Freiburg jedes Spiel locker und hoch gewonnen. Ich war berauscht von unserem Fußball, von dem ruhigen Trainer. Ein Dankeschön war meiner Meinung nach also angebracht. Doch seitdem geht es bergab. Auf einmal ist da diese andere Welt, die weniger tolle Fußballwelt.
Gegen Augsburg gelang dem BVB noch ein knapper Sieg. Dann folgten die Spiele gegen Leipzig, Frankfurt, Hannover und Bayern. Das 2:2 in Frankfurt war das höchste der Gefühle. Mittlerweile grüßt wieder der FC Bayern von der Tabellenspitze und wir haben bereits sechs Punkte Abstand auf den begehrten ersten Platz. Doch das Schlimmste (für mich): die Blauen sind punktgleich mit uns. Gewinnen die also am Wochenende und spielen wir nur unentschieden oder verlieren gar... Ich will es mir gar nicht ausmalen. Und dann waren da ja auch noch die Champions-League-Spiele gegen Nikosia. Bye bye Champions League, hallo Euro League. Wenn ich daran denke, steigt mein Blutdruck direkt wieder an. Und zu allem Unglück bescherrt uns Losfee Stefan Effenberg im Achtelfinale des DFB-Pokals auch noch die Bayern. Auswärts. Ich meine, kann es noch beschissener laufen?! Ich dachte an meinen Vorbericht gegen Augsburg... War das damals wirklich so eine gute Idee gewesen?
Nicht, dass ihr mich falsch versteht. Weder definieren Siege in der Champions League noch Siege gegen die Bayern mein Fan-Sein. Ich kann mit der Euro League gut leben, und genauso raubt mir auch eine Niederlage gegen die Bayern nicht meinen wohlverdienten Schlaf. Vielmehr habe ich mich darüber aufgeregt, wie diese ganzen Niederlagen zustande gekommen sind. Vom Vollgas-Fußball, der mir ein „Dank u wel“ wert war, war nicht mehr viel bis gar nichts zu sehen. Und auch das System von Bosz hinterließ immer mehr Fragezeichen in meinem Kopf. Ich dachte wieder an meinen Vorbericht gegen Augsburg...
Abergläubig (andere nennen es paranoid) wie ich bin, frage ich mich in letzter Zeit also immer öfter, ob ich mit dieser verfrühten Lobeshymne vielleicht den Stein gen Tabellenmittelmaß ins Rollen gebracht habe. Also nur rein theoretisch natürlich. Aber irgendwie erscheint es mir, als hätte das Schicksal da seine Finger im Spiel gehabt. Es läuft Bombe, ich schreibe, es läuft nicht mehr so Bombe. Kismet eben. Es ist so wie mit dem Glückspullover meiner Freundin Nina: Hat sie den an, verliert der BVB nie. Hat sie ihn nicht an... Ihr wisst schon. Kismet. Den rollenden Stein aufhalten muss nun also unser Gastspiel in Stuttgart am Freitagabend.
Auf dem Papier eine klare Sache: die Stuttgarter sind aktuell mit 13 Punkten „nur“ Zwölfter der Tabelle. Und bei unserem letzten Besuch bei den Schwaben in der Saison 2015/16 konnten wir einen 3:0-Auswärtssieg verbuchen. Was soll da noch schief gehen? Doch die Statistik sieht nicht so eindeutig aus. In 96 Aufeinandertreffen hat der VfB 38 Siege eingefahren, wir 34. Dazu kommen 24 Unentschieden. Doch wie fast immer, wenn der BVB Gegner ist, stapelt auch VfB-Trainer Hannes Wolf vor dem Spiel tief: „Wir brauchen schon eine herausragende Leistung, um etwas zu holen.“ Und der Ex-Borusse wird nicht müde, die Unterschiede zwischen dem „grooooßen“ BVB und dem „klitzekleinen“ VfB zu betonen: Natürlich gebe es gewaltige sportliche Unterschiede zwischen dem BVB und dem VfB, das werde bereits beim Blick auf die Marktwerte der Spielerkader beider Teams klar (Dortmund: 439 Millionen Euro, Stuttgart: 71 Millionen Euro). Nach ihren Krisenjahren hätten die Borussen eben gute Transfers getätigt – und anschließend mit der Klopp’schen Spielphilosophie „die Bundesliga gerockt“, heißt es von Wolf in den Stuttgarter Nachrichten. Nun seien wir ja Dauergast in der Champions League, besäßen ein Topscouting und seit 2006 ein modernes Trainingsgelände. „Das sind Strukturen auf Topniveau“, sagt Hannes Wolf: „Da kann der VfB aktuell nicht mithalten.“
Ich halte generell nichts von diesem „sich-selbst-klein-reden“. Egal, um welchen Verein es sich handelt. Das hinterlässt bei mir immer den Eindruck, als wolle man das Umfeld schon mal auf eine drohende Niederlage vorbereiten, die man dann mit einem „Ich hab’s euch ja gesagt“ abtun kann. Auf der anderen Seite kann man einen Sieg natürlich umso mehr zelebrieren, wenn man sich vorher den Schuh des Underdogs angezogen hat. Von mir aus darf Hannes Wolf aber mit seinem „Klein-klein-Gerede“ Recht haben. Möge der mächtige BVB mit dem Millionen-Kader den kleinen VfB mit seinen Hobbykickern vernichten. Und dann kann ich vielleicht auch endlich mein „Dank u wel“-Trauma überwinden.
So könnten sie spielen:
VfB Stuttgart: Zieler – Beck, Baumgartl, Pavard, Badstuber, Insua – Gentner, Ascacibar – Asano, Akolo – Ginczek
Borussia Dortmund: Bürki – Bartra, Sokratis, Zagadou, Schmelzer – Weigl – Götze, Kagawa – Yarmolenko, Aubameyang, Pulisic
16.11.2017, Leonie