Der ekligste aller Gegner
In Dortmund, so hört man dieser Tage, herrscht eine Krise nach bajuwarischem Ausmaß. Der Tabellenführer der Bundesliga konnte zuletzt zwei Liga-Spiele nicht gewinnen und präsentierte zusätzlich einen schwachen Auftritt in der Königsklasse in Nikosia. Höchste Zeit, sich beim Drittligisten 1. FC Magdeburg (Dienstag, 20.45 Uhr) das wichtige Selbstvertrauen zurückzuholen und das Team aus Sachsen-Anhalt mit den hässlichsten Farben der Welt ordentlich in die Schranken zu weisen.
Denn immerhin fährt der BVB nicht nur als Spitzenreiter, sondern auch als Pokal-Titelverteidiger an die Elbe (die immer noch dieselbe ist). Die Qualität konnte die Mannschaft auch zuletzt in Frankfurt durchaus andeuten, wären da nicht die defensiven Aussetzer und die miese Chancenausbeute.
Doch über all dies und die weiteren Faktoren der "großen BVB-Krise" haben wir und vor allem die übrige Medienlandschaft zuletzt zur Genüge geschrieben. Deshalb wollen wir vor dem Zweitrundenspiel beim FCM mal den Blick auf einen - für den Großteil der schwatzgelben Anhängerschaft - recht unbekannten Gegner richten.
Daniel George ist gebürtiger Magdeburger und FCM-Reporter für den "Mitteldeutschen Rundfunk" (MDR). Er beantwortete uns im Vorfeld alle wichtigen Fragen zum kommenden Pokal-Gegner.
Was macht das Spiel des 1. FC Magdeburg aus?
"Der FCM hat sein Spiel in dieser Saison weiterentwickelt. Früher ging viel über lange Bälle auf den langen Christian Beck und die Eroberung der zweiten Bälle. Das ist noch immer ein wichtiger Bestandteil, aber seit dem Sommer spielt der FCM deutlich variabler. Im zentralen Mittelfeld hat der Club an technischer Qualität gewonnen. Zum Beispiel mit der Verpflichtung von Björn Rother. Der macht seine Sache richtig gut. Die offensiven Außenspieler wie Michel Niemeyer oder Philip Türpitz nutzen die Räume, die Beck vorne schafft, hervorragend. Die Balance zwischen Defensive und Offensive passt. Das Team ist eingespielt. Acht Spieler waren schon 2015 Teil der Regionalliga-Aufstiegsmannschaft und sind heute noch immer dabei. Der Zusammenhalt ist groß und das spürst du auf dem Platz."
Was ist die größte Stärke des FCM?
"Die Jagd nach dem Ball. Unter Trainer Jens Härtel definiert sich die Mannschaft darüber, was passiert, wenn der Gegner in Ballbesitz ist. Der FCM wartet nicht ab, der FCM attackiert. Der FCM arbeitet Fußball - und das honorieren die Magdeburger in dieser Arbeiterstadt. Es wird spannend sein zu sehen, ob der FCM versucht, diese Spielweise auch gegen ein internationales Spitzenteam wie den BVB umzusetzen oder sein Spiel umstellt."
Und die größte Schwäche?
"Da haben sich in dieser Saison bislang kaum welche offenbart. Aber wenn wir die 0:3-Pleite vom vergangenen Samstag gegen Unterhaching als Beispiel nehmen: Zwei Treffer fielen durch individuelle Abwehrfehler. Einmal steht Steffen Schäfer ganz schlecht, einmal rutscht Christopher Handke weg. Daraus grundsätzlich eine defensive Anfälligkeit abzuleiten, wäre Blödsinn. Aber mal sehen, wie sie auftreten, wenn Aubameyang und Co. auf sie zurollen."
Der beste Mann beim FCM ist?
"In dieser Saison bislang: Philip Türpitz. Er kam im Sommer aus Chemnitz und spielt die Saison seines Lebens. Sechs Tore und fünf Vorlagen hat er schon gesammelt. Er ist unglaublich quirlig auf der rechten Außenbahn und sehr konditionsstark. Der würde auch durchrennen bis zum Finale in Berlin. Und, Achtung: Türpitz hat einen Donnerschuss im Repertoire. Spitzname: Torpedo.
In den vergangenen Jahren war Christian Beck der beste Mann. Er hat den FCM 2014/15 zum Drittliga-Aufstieg geballert und dann in der neuen Liga genau so weitergemacht. 19 Tore hat er in der vergangenen Saison geschossen und war Torschützenkönig. Er steckt gerade zwar noch etwas in der Tor-Krise, aber gegen Augsburg hat er in Runde eins getroffen. Extramotivation: Beck ist großer BVB-Fan. Sein Vorbild hieß früher Jan Koller. Noch heute fährt er mehrfach pro Saison ins Westfalenstadion und feuert den BVB an. Die Liebe zu Blau-Weiß ist dann aber doch noch um einiges größer (lacht)."
Wieso könnte Magdeburg dem BVB gefährlich werden?
"Weil Dennis Erdmann am Wochenende geschont wurde. Er stand gegen Unterhaching nicht mal im Kader. Der FCM hat folgerichtig 0:3 verloren. Ein Kollege meinte: "Der wird bis zum BVB-Spiel im Zwinger gehalten. Ohne Essen. Damit er richtig heiß ist.
Alles Spaß natürlich. Erdmann spielt ja selbst gerne mit seinem Bad-Boy-Image. Aber vor zwei Jahren hat er damals noch für Dresden im Spiel gegen Dortmund gezeigt, worauf es für die Kleinen im DFB-Pokal ankommt: mit allen Mitteln zu versuchen, den Großen zu schlagen. An der Grenze des Erlaubten. Wenn es sein muss, sich mal mit einem Foul wie damals gegen Marco Reus auch Respekt verschaffen. Der FCM hatte diese Attitüde schon vor der Verpflichtung von Erdmann. Jetzt ist sie noch ausgeprägter - und deshalb kann der FCM dem BVB richtig gefährlich werden."
Was erwartet den BVB in Magdeburg?
"Ein ekliger Gegner, der alles tun wird, um die nächste Sensation zu schaffen. "Wer Pokal sagt, meint den FCM", erzählen sich die Fans. Die Magdeburger werden sich nicht mit einer Begleiterrolle auf dem Platz und Selfies mit den großen Stars danach zufriedengeben. Ganz sicher nicht.
Auf den Rängen wird das eine Stimmung, die besser ist als in so manchem Bundesliga-Stadion. Da treffen zwei tolle Fan-Szenen aufeinander. Das Spiel ist ausverkauft. Das wird ein großartiger Pokalabend, den ich aus Fußballromantik-Sicht übrigens viel besser im Free-TV platziert gefunden hätte als RB Leipzig gegen Bayern. "
Zum Schluss: Was ist die große Besonderheit am FCM?
"Das sind seine Fans. Sie sind der Wahnsinn. Du bekommst bei den Gesängen von "Block U" vor und während des Spiels einfach Gänsehaut. Gerade als gebürtiger Magdeburger. Aber auch als Gast. Ganz objektiv. Ob du willst oder nicht.
Der FCM ist für mich der BVB der dritten Liga. Oder des Ostens. Nach finanziell und sportlich ganz schwierigen Zeiten hat sich der Klub zurückgekämpft - mit den richtigen Männern wie allen voran Geschäftsführer Mario Kallnik im Management und dem richtigen Trainer Jens Härtel an der Seitenlinie. Das war ja beim BVB mal ähnlich. Und auch die Fan-Szenen ähneln sich, wollen kritisch mitbestimmen, was in und mit ihrem Verein passiert. Sie sind lebendig. Und das ist gut so.
Die Bindung der vielen Fans, die all die harten Jahre mit dem Club durchlitten haben, zum FCM ist unheimlich groß. Die Euphorie ist längst zurück. Die ganze Region ist wieder stolz auf den FCM. Die Fans hätten sich den Zweitliga-Aufstieg in diesem Jahr verdient. Das wäre weit wichtiger als ein Sieg gegen Dortmund. Aber getreu ihrem Magdeburger Größenwahn nehmen die FCM-Fans bestimmt auch beides in Kauf (lacht)."
Personalien beim BVB: Der Magdeburger Marcel Schmelzer ist gegen seinen Ex-Verein wieder eine Option für die Startformation. Der gegen Frankfurt gesperrte Sokratis kehrt in die Innenverteidigung zurück und sorgt zusätzlich für eine gewisse Entspannung in der zuletzt so gebeutelten Defensive. Raphael Guerreiro und André Schürrle kehrten zuletzt ins Mannschaftstraining zurück und könnten in Magdeburg erstmals wieder auf der Bank sitzen.
Mannschaftsaufstellungen
1. FC Magdeburg: Brunst – Butzen, Handke, Schäfer, Hammann – Rother, Weil, Erdmann – Türpitz, Beck, Niemeyer
Borussia Dortmund: Bürki – Toljan, Sokratis, Bartra, Schmelzer – Weigl – Castro, Kagawa – Yarmolenko, Aubameyang, Philipp
Schiedsrichter: Daniel Siebert
Clemens 23.10.17