Zwischen VAR-Aufregung und Flutlicht in Hamburg
Um das bestimmende Thema in diesen Tagen, den Einsatz des Video-Schiedsrichters kurz vor der Halbzeitpause gegen den 1. FC Köln, wird auch dieser Vorbericht nicht drumherum kommen. Aber nochmal kurz, um sich das Geschehene ins Gedächtnis zu rufen: Nach der Ausführung eines Eckballs kurz vor der Halbzeitpause stieg Sokratis neben Effzeh-Torhüter Horn in die Luft, stieß dabei einen Abwehrspieler (leicht) in Horn, der Torhüter wiederum ließ den Ball fallen und der Grieche erzielte die vermeintliche 2:0-Führung. Schiedsrichter Ittrich beurteilte das Ganze zunächst als Foulspiel – dann kann man als Fußball gleich einen Nullkontakt-Sport machen – und unterbrach die Partie etwa in dem Moment, als Sokratis‘ Schuss sich 20cm vor der Torlinie befand.
Aus dem VAR-Studio in Köln wurde dem Schiedsrichter dann jedoch empfohlen den Treffer zu geben, da keine foulwürdige Aktion von Sokratis vorlag. Der Kritikpunkt: Hier wurde ein Treffer gegeben, obwohl der Schiedsrichter die Aktion bereits abgepfiffen hatte und der Ball noch gar nicht die Torlinie passiert hatte. Dementsprechend groß ist und war die Kölner Aufregung über diese Entscheidung – Jörg Schmadtke tat sich dabei besonders hervor – und dementsprechend verständlich ist diese auch. Auch innerhalb der SG-Redaktion entstand eine längere Diskussion, die einige interessante Aspekte und Gedanken hinsichtlich des VAR und seiner Auswirkungen auf das „Erlebnis Fußball“ zu Tage förderte. Diese möchten wir euch als möglichen Diskussions- und Gedankenansatz nicht vorenthalten:
Vielleicht könnte der Videobeweis in der nahen Zukunft zu neuartigen taktischen Spielereien und einem anderen Verhalten der Spieler auf dem Spielfeld führen, die heute noch gar nicht vollends abzuschätzen sind. Werden Spieler fortan 2-3 Sekunden nach Pfiff des Schiedsrichters weiterspielen, um für den Fall der Fälle das bestmögliche Ergebnis für die eigene Mannschaft herauszuschlagen? So könnte man bei Aktionen im Sechzehnmeterraum immer noch versuchen, den Ball ins Tor zu befördern und darauf hoffen, dass der VAR kein Vergehen ahndet. Daraus resultiert dann wiederum die Frage nach einer möglichen Zeitgrenze, die erst noch festgelegt werden müsste. Wie lange nach der Unterbrechung des Schiedsrichters „zählt“ eine Aktion denn nun noch, sollte diese vom VAR anders beurteilt werden? Zwei Sekunden? Drei Sekunden? Zehn Sekunden?
Droht den Schiedsrichtern durch den VAR nun nicht auch ein massiver Autoritätsverlust auf dem Feld unter gleichzeitiger Abgabe vieler Entscheidungskompetenzen? Werden sich Schiedsrichter nach dem Fall Horn-Sokratis überhaupt noch trauen, solche Luftduelle im Strafraum abzupfeifen, oder im Zweifelsfall einfach bevorzugt das Spiel weiterlaufen lassen? Einfach nur aus dem Grund, dass die Kollegen in Köln eine bessere Sicht auf das Geschehen aus ihrem Studio haben und ihnen mehr als der eigenen Entscheidungsgewalt in Realgeschwindigkeit vertraut wird?
Und was machen die grundsätzlichen VAR-Entscheidungen eigentlich mit der Emotionalität des Spiels und dem Stadionerlebnis für den Zuschauer? Denn prinzipiell konnte man sich als Besucher des Westfalenstadions etwas darauf einbilden, dass die Atmosphäre in absoluten Ausnahmeszenarien, in denen man sich vom Schiedsrichter benachteiligt fühlte, den Ausgang des Spieles beeinflussen konnte. Der Stadionbesuch vereinte viele verschiedene Emotionen: Freude, Ärger Jubel und eben auch das Gefühl der Benachteiligung. Immer wenn beim Zuschauer selbst ordentlich Druck auf dem Kessel war, weil der Schiedsrichter eben zwei bis drei Situationen völlig anders bewertete als der Rest des Stadions. Und hatte der Referee dann irgendwann wegen einer Kleinigkeit auf den Punkt gezeigt, einfach nur aus dem Grund, weil er vom Zuschauer massiv genervt war, dann grinste man sich untereinander an und ging mit dem tollen Gefühl Nachhause, dass man wirklich etwas zum Sieg beigetragen hat.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Sport fairer und objektiver wird, aber das Stadion verliert an Herz. Es war einer der letzten Katalysatoren für den beherrschten, objektiven und rationalen Alltag, dem man sich unter der Woche unterwirft. 2008 hätten wir das Heimderby deutlich verloren, statt noch mit einem Punkt rauszugehen - und wer weiß, wie die weitere Geschichte verlaufen wäre und ob Klopp länger auf der Trainerbank gesessen hätte, wenn wir statt 3:3 dort 1:4 oder 1:5 spielen. Malaga wäre jetzt eins von diesen "Gegen wen haben wir damals noch mal im Viertelfinale gespielt?"-Spielen, weil es ein Allerwelts-2:1 geworden wäre. So ist es jetzt in seiner Dramaturgie eins der geilsten Spiele der eigenen Fanvita.
Ein anderer Punkt, den Kritiker des VAR häufig erwähnen, ist das „emotionslose“ Tor nach einer VAR-Entscheidung. Es ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen, dass sich diese VAR-Tore anders anfühlen als „normale“ aus dem Spiel heraus erzielte Treffer. Aber die Alternative dieser Entscheidungen besteht ja nicht darin, dass man im Falle des BVB am vergangenen Sonntag mit fünf normalen Torjubeln gewonnen hätte. Sondern eben nur 3:0. Wo soll Emotionalität verloren gehen, die gar nicht dagewesen wäre?
Ab nach Hamburg
Die Sonne geht langsam über der Elbe unter, das Flutlicht wird angeschaltet und der Geruch nach feuchtem Rasen liegt in der Luft. Morgen Abend ist im Hamburger Volksparkstadion für die erste englische Woche der Saison angerichtet. Nach einem unglücklichen Punktverlust gegen Freiburg und der verdienten Niederlage in London ist Borussia seit dem Heimspiel am Sonntag nach kurzer holpriger Fahrt über einen Feldweg wieder in der Spur. Mit dem Hamburger Sportverein tritt nun ein Gegner auf die Bildfläche, der mit zwei Siegen überraschend gut in die Saison startete, gegen Markranstädt und den Hannover 96 mittlerweile aber wieder eingenordet (haha!) wurde. Nichtsdestotrotz sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass der BVB in den letzten Jahren seine liebe Mühe mit dem HSV hatte. So konnte weder 2014 noch 2015 ein einziger Sieg eingefahren werden, ehe dieser Lauf im letzten Jahr mit zwei deutlichen Siegen gestoppt wurde.
Positiv sind in den letzten Tagen die Nachrichten aus dem BVB-Lazarett, welches sich scheinbar so langsam zu lichten scheint. Während der Langzeitverletzte Julian Weigl nach seinem Fußbruch am Sonntag sogar zu seinem Comeback kam und sofort wieder Dreh- und Angelpunkt im Mittelfeld war, konnten Bartra, Götze und Schürrle am Montag Teile des Teamtrainings wiederaufnehmen. Bartra und Schürrle sind laut Peter Bosz allerdings noch kein Thema für morgen Abend, während es bei Mario Götze nach überstandener Gesichtsverletzung wieder deutlich besser aussieht. Weiterhin fehlen wird Neuzugang Jeremy Toljan, der sich mit muskulären Problemen herumplagt, gegen Köln aber auch von Zagadou hervorragend vertreten wurde.
Die Marschroute für das morgige Spiel gab der Trainer bei der gestrigen Pressekonferenz vor: "Wir müssen und wir wollen alle Spiele gewinnen; zuhause, auswärts." Gleichzeitig betonte er aber auch, dass nach den zwei Niederlagen des HSV mit einer Trotzreaktion zu rechnen sei, auf die genaue Herangehensweise des HSV-Trainer Gisdol an das Spiel sei er gespannt. Denn bisher spielten alle Teams ziemlich defensiv gegen den BVB, in jedem Fall sei das Trainerteam "auf alles vorbereitet".
Voraussichtliche Aufstellungen:
Hamburger Sportverein: Mathenia - Diekmeier, Papadopoulos, Jung, Douglas Santos - Ekdal, Walace - Hahn, Holtby, Salihovic - Wood.
Borussia Dortmund: Bürki - Piszczek, Sokratis, Toprak, Zagadou - Sahin - Götze, Castro - Yarmolenko, Aubameyang, Philipp.
Schiedsrichter: Felix Zwayer
DerJungeMitDemBall, 19.09.2017