Von Bomben und Menschen und der Zeit zum Heilen
Als ich elf Jahre alt war, waren wir mit der Familie im Urlaub in Spanien. Gerade aus dem Flughafen rausgekommen und in den Bus gesetzt, explodierte im Flughafengebäude eine Bombe. Es waren die 90er Jahre und die ETA war noch sehr aktiv. Ich schaute aus dem Busfenster und sah Rauch aus allen Öffnungen des Flughafens kommen. Dazu strömten Menschenmengen aus dem Gebäude, manche waren verletzt, einige trugen eine stark blutende ältere Dame hinaus. Die Bilder sind mir auch gut 20 Jahre danach noch im Kopf. Sie sind nicht mehr so frisch wie damals, aber ich kann sie noch sehen.
Damals hat es mich sehr lange nicht mehr losgelassen. Ich habe in diesem Sommer Angst vor Gewittern, Angst vor dem Fliegen, Angst vor dem Autofahren und Angst vor Einbrechern entwickelt. Sicher, ich war ein Kind und reagierte dementsprechend wohl auch sensibler, aber der Knall hallte mir noch Wochen in den Ohren und vielen Erwachsenen ging es genauso.
Ich maße mir nicht an, durch mein eigenes Erlebnis sagen zu können, was die Spieler fühlen. Ein Bus, eine Bombe, viel mehr hat mein Erlebnis mit dem, was am Dienstag in Dortmund passiert ist, nicht gemeinsam. Es war kein Anschlag auf mein eigenes Leben, die ETA hatte ja eigentlich sogar immer vermieden, dass (in ihren Augen) Unschuldige zu Schaden kommen. Die Spieler mussten ganz andere Gedanken verkraften. Im Hinterkopf hatte ich dieses Erlebnis trotzdem, als ich am Mittwoch zum Spiel fuhr.
Anfangs war alles soweit normal. Etwas trotzig war meine Stimmung vielleicht, was ich aber vor allem im Kopf hatte, war, dass wir alles daran tun müssen, die Spieler durch dieses Spiel zu tragen. Wir mussten dafür sorgen, dass sie sich nicht alleine gelassen fühlten. Wir mussten ihnen zeigen, dass wir an ihrer Seite stehen. Das war mein wichtigster Gedanke. Die ganze Polemik drumrum hat mich dabei gestört und ein "Jetzt erst Recht"-Gefühl hatte ich auf keinen Fall.
Im Stadion angekommen, wurde es dann deutlich, dass viele Fans die gleichen Gedanken haben. Ich habe selten eine so seltsame Stimmung in Dortmund erlebt, die kaum ohne Zwischentöne zwischen ohrenbetäubendem Lärm und andächtiger Stille wechselte. Vielleicht damals beim Spiel gegen Stuttgart am 13.3.2005, als das Damoklesschwert Molsirisversammlung über dem Stadion hing und man nicht wusste, ob man noch einmal zurückkommen würde. Es gab kaum Gemecker von den Tribünen, die Mannschaft wurde bedingungslos unterstützt. Und wenn es dann mal still wurde, wurde es richtig still. Irgendwann hat die Anfeuerung Früchte getragen. Die zweite Halbzeit kann man den Jungs nicht hoch genug anrechnen! Dieser Kampf, diese Emotionen! Wie sie am Ende vor uns standen, hat mir fast das Herz gebrochen.
Als dann kurz vor Abpfiff nochmal Unruhe entstand wegen der verdächtigen Gegenstände auf dem Stadionvorplatz und durch die Sperrung der Nordausgänge alles auf kleinstem Raum aus dem Stadion zwängte, überwog die Stille wieder. Um mich herum waren bestimmt 40.000 Mann, es ging nur ganz schleppend voran, den einen Fuß vor den anderen und trotzdem hörte man nichts außer leisem Murmeln, das war gespenstisch. Vielleicht ist es mir etwas mehr aufgefallen, weil ich alleine war und deswegen mehr auf die Leute um mich herum achtete, aber ich fühlte mich wie in einer Prozession.
Am Tag danach hatte ich ein sehr komisches Gefühl im Bauch, das ich lange nicht zuordnen konnte. Im Laufe des Tages wurde mir bewusst, was dieses Gefühl war: Wut!
Ich bin wütend, dass unser großartiger Verein, unsere große Borussia, Ziel eines hinterhältigen Angriffs wurde.
Dass unsere Spieler sich vor der Öffentlichkeit fürchten müssen.
Dass diese Jungs, teilweise noch keine 20 Jahre alt, gezielt ausgesucht wurden mit der Absicht sie zu töten.
Dass die UEFA unsere Helden auf den Platz scheucht, wenn sie eigentlich ihre Wunden heilen sollten.
Dass Fußballprofis sagen müssen, dass sie auch nur Menschen sind, weil es sonst offenbar niemand bemerkt.
Dass die Borussen, die man so gerne jubeln sieht, seelisch verwundet wurden und mit Tränen in den Augen vor der Kamera stehen müssen.
Dass diesen Borussen die Lust am Fußball vergangen ist, wo sie doch eigentlich ihrem großen Traum ein Stück näher kommen wollten.
Ich finde es nach Mittwoch schwierig, an Fußball zu denken und will es mir gar nicht ausmalen, wie es jemandem gehen muss, der weiß, dass er das Ziel dieses Angriffs war. Ich bin so unglaublich stolz auf unsere Jungs und auf uns Fans! Und ich hoffe inständig, dass dieser Schmerz vergeht und der Fußball irgendwann wieder in den Fokus rücken kann, auch wenn man es sich im Moment nur schwer vorstellen kann. Denn auch wenn wir das momentan gerne sagen: das Resultat ist nicht egal. Es ist der Traum von uns allen, Spielern und Fans, Titel zu holen. Diesen Traum sollten wir nicht aufgeben, auch wenn wir jetzt vielleicht zuerst einmal Zeit brauchen zum Verarbeiten. Egal, wieviel Zeit. Egal wieviele Spiele.
So könnten sie spielen
Borussia Dortmund: Bürki - Piszczek, Sokratis, Schmelzer - Passlack, Weigl, Castro, Guerreiro - Kagawa, Dembelé - Aubameyang
Eintracht Frankfurt: Hradecky - Vallejo, Abraham, Andersson Ordonez - Chandler, Mascarell, Gacinovic, Oczipka - Hrgota, Fabian - Rebic
Nadja, 14.04.2017