Winterdepression in Dortmund
Borussia Dortmund kann nicht mehr gewinnen. Gegen Werder Bremen setzte es nach einer furchtbaren Leistung eine verdiente Heimniederlage. Der BVB taumelt in Richtung Winterpause und rutscht auch in der Tabelle immer weiter ab. In Dortmund macht sich Hoffnungslosigkeit breit.
Dortmund präsentierte sich zum Spieltag in winterliches Weiß getüncht und durch das Westfalenstadion wehte ein eisiger Wind. Die Ausgangslage war klar: Nach sieben sieglosen Bundesligaspielen mussten die drei Punkte in Dortmund bleiben. Der selbsterklärte Champions League Kandidat war ja inzwischen sogar aus den Europapokalplätzen gefallen. Mit Werder Bremen stand dazu noch der Lieblingsgast der Borussia auf dem Spielplan. Die letzten zehn Heimspiele gegen die Grün-Weißen wurden allesamt gewonnen. Doch nicht einmal das half. Auch diese Serie ist nun Geschichte.
Folkloristisch hatte der BVB zuletzt ja schon einige Strohhalme gezogen. So wurde Neven Subotic, der zuvor gefühlt auf Kaderposition 28 abgerutscht war und sich die Spiele trotz ansprechender Leistung in Frankfurt nur von der Tribüne anschauen durfte, plötzlich zum Klassensprecher in Madrid befördert und mit einer Art Stammplatz ausgestattet. Subotic und Sahin berichteten dazu von einer Mannschaftssitzung in der Probleme angesprochen und die Einstellung geklärt worden seien. Leider hatte der Trainer von dieser Sitzung nichts mitbekommen, weil er „jede Woche viele Sitzungen hat.“ Im
Spieltagsmagazin wurde sicherlich auch nicht ganz zufällig an Bernd Krauss als erfolglosesten BVB-Trainer aller Zeiten erinnert. Diesen Vergleich gewinnt sogar der aktuelle Trainer. Beim BVB war man offenbar gewillt, sich die üblichen Reflexe der Branche zu verkneifen. Die Ansage der Verantwortlichen war, mit Peter Bosz den Turnaround schaffen zu wollen. Ob das nach diesem Spiel noch gelten kann, ist allerdings fraglich.
Spätestens zur Winterpause muss der Niederländer eigentlich die Koffer packen, denn es wirkt nicht so, als ob er noch irgendeine Idee hätte, wie er das Ruder noch herumreißen kann. Bosz verfolgt die Spiele ja ohnehin eher reg- und tatenlos, aber wer ihn in der zweiten Halbzeit mit den Händen in den Hosentaschen am Spielfeldrand stehen sah, den beschlich das Gefühl, dass er mit seiner Mannschaft bereits abgeschlossen hatte. Nach dem Spiel betonte er, dass die erste Halbzeit das Schlechteste war, was er hier seit seinem Amtsantritt gesehen hat. Ob er die zweite Halbzeit des Derbys schon vergessen oder verdrängt hat? Erklären konnte oder wollte er die Leistung der Mannschaft nicht, betonte aber , dass er dafür die Verantwortung trägt. Allein der Umstand, dass es schon am Dienstag gegen Mainz weiter geht und ein neuer Trainer gar keine Zeit hätte, etwas zu verändern, könnte ihn noch bis in die Winterpause im Amt halten.
Erste Halbzeit
Bosz hatte sich diesmal eine Aufstellung ohne Sahin oder Weigl einfallen lassen. Sein vor ein paar Wochen geäußerter Vorsatz, auf der Sechs nicht mehr wechseln zu wollen, war damit endgültig Makulatur. Der BVB begann erneut mit der taktischen Formation, die zuletzt zumindest etwas stabiler gewirkt hatte, also mit einer Dreier- bzw. Fünferkette hinten, zwei zentralen Mittelfeldspielern und einer offensiven Dreierreihe. Von seinem 4-3-3-Dogma hat der Cruyff-Jünger Bosz sich also bis auf weiteres verabschiedet.
Die Werder Ultras hatten eine kleine Pyroshow vorbereitet. Zu grün-weißem Rauch wurden einige Blinker präsentiert. Sah ganz ansehnlich aus. Währenddessen forderten die Dortmunder Ultras Freiheit für die Ultras Dynamo, bei denen es in der letzten Woche aufgrund des Auswärtsauftritts beim KSC in der letzten Saison einige Hausdurchsuchungen gegeben hatte, leider war auch das Dresdener Fanprojekt von diesen Maßnahmen betroffen. Die Stimmung auf den Tribünen war zu Spielbeginn einigermaßen mau, auf der Süd mühte sich nur der Stimmungskern, ansonsten herrschte meist Schweigen und der Bremer Auswärtssupport war noch nie besonders heißblütig.
Beide Teams offenbarten in der Anfangsphase noch Abstimmungsprobleme. Während man sich in der Dortmunder Hintermannschaft beim Übergeben der Stürmer nicht einig war, warfen die Werderaner einen Einwurf direkt ins Toraus. Der BVB-Mannschaft war ihre tiefe Verunsicherung anzumerken. Immer wieder wurden Bälle überhastet ins Seitenaus geklärt oder der Gegner durch Fehlpässe zum Kontern eingeladen. Die Mannschaft wirkte überhaupt nicht eingespielt. Die Laufwege der Mitspieler kamen für den Ballführenden anscheinend völlig überraschend. So wurde steil gespielt, wenn der Mitspieler abstoppte oder einem durchstartetenden Spieler der Ball in den Rücken serviert. Häufig stand man sich in den gleichen Räumen auf den Füßen, während sich anderswo riesige Löcher auftaten.
Die ersten Torchancen hatte dementsprechend auch Werder. Zunächst probierten es Junuzovic und Kruse aus der Distanz, dann prüfte erneut Junuzovic Bürki aus 14 Metern. Der Dortmunder Spielaufbau stockte derweil. Der BVB erarbeitete sich eine Scheinüberlegenheit in ungefährlichen Räumen, brachte den Ball aber nie in eine Position, von der aus man mal einen Torschuss abgeben könnte. Werder war eindeutig die stärkere Mannschaft und dazu brauchte es für den Vorletzten der Bundesligatabelle nicht mehr, als die Räume, die ihnen die Borussen bereitwillig überließen, mit geradlinigem Spiel schnell zu überbrücken.
Folgerichtig fiel dann auch die Führung für die Gäste. Nach einem weiten Flankenwechsel benötigte Eggestein nur einen kleinen Wackler, um Guerreiro abzuschütteln. Völlig unbedrängt konnte er dann vom rechten Strafraumeck den Ball in die lange Ecke schlenzen. Das war ein schöner, unhaltbarer Schuss, aber den konnte er auch nur aufgrund des erbärmlichen Abwehrverhaltens des Europameisters so abfeuern. Guerreiro ist derzeit nur ein Schatten seiner selbst. Damit steht er im Dortmunder Kader natürlich bei weitem nicht alleine da, aber bei einem Spieler mit seinen Möglichkeiten ist der Unterschied zur Normalform besonders augenfällig.
Als Aubameyang im Anschluss eine Flugeinlage im Strafraum ansetzte kam es zu ersten Unmutsbekundungen von den Tribünen gegenüber der vollkommen verunsicherten Mannschaft. Der BVB taumelte nur noch über den Platz. Obwohl Dortmund minutenlang wegen der Verletzung von Fin Bartels in Überzahl spielte, konnte Kruse nach einem furchtbaren Ballverlust von Kagawa allein Richtung Bürki rennen und abschließen. Der BVB hatte auch nach 37 Minuten noch nicht aufs Tor geschossen. Im Publikum regte sich immer vernehmlicher der Unmut und es kamen Pfiffe gegen die eigene Mannschaft auf. In der 40. Minute war es dann endlich soweit. Yarmolenko versuchte einen Torschuss, der allerdings auch recht kläglich ausfiel und meterweit neben dem Tor einschlug.
Mit jedem Fehlpass wurde nun die Unsicherheit der Mannschaft greifbarer und das Pfeifkonzert auf den Tribünen lauter. Als das Trauerspiel dann für die Halbzeit unterbrochen wurde, gab es endgültig kein Halten mehr. Unter gellenden Pfiffen schlichen die Spieler wie geprügelte Hunde vom Platz. Eine solche Negativstimmung hat man im Westfalenstadion schon lange nicht mehr erlebt. Eine erste Halbzeit ohne Schuss auf das gegnerische Tor allerdings auch nicht.
Zweite Halbzeit
Auch als die Mannschaft auf den Platz zurückkehrte wurde sie gnadenlos ausgepfiffen. Für Guerreiro und Yarmolenko standen nun Sahin und Schürrle auf dem Feld. Der Versuch, das zentrale Mittelfeld mit Dahoud und Kagawa zu besetzen war grandios gescheitert. Warum Dahoud noch auf dem Platz stehen durfte, war nur schwer nachzuvollziehen. Das Spiel lief bestenfalls komplett an ihm vorbei und in seinen auffälligeren Szenen brachte er seine Mitspieler durch Fehlpässe in Verlegenheit.
Die Dortmunder Ultras setzten sich beim Einlauf der Mannschaften per Banner mit der Presseerklärung der PolDO nach dem Derby auseinander „Populismus der Dortmunder Polizei Hoffentlich nicht mehr Lange!“
Dortmund nach Wiederanpfiff gleich mit ein paar brauchbaren Offensivaktionen. Kagawa prüfte Pavlenka mit einem Fernschuss und anschließend wurde erstmals in diesem Spiel ein Eckball tatsächlich so in den Strafraum getreten, dass ein Dortmunder zum Kopfball kam. Diese Bemühungen wurden vom Publikum auch gleich mit lautem Support honoriert. Nach einem Patzer von Pavlenka stand sich allerdings die gesamte Dortmunder Offensive auff den Füßen und man hinderte sich gegenseitig daran, den Ball ins leere Tor zu schieben. Auch defensiv wurden weiter grausame Fehlpässe produziert, die man sich egntlich nur mit totaler Verunsicherung erklären kann.
Als dann so langsam der Eindruck aufkam, dass es sich bei der kurzen Offensive nach der Pause nur um ein Strohfeuer gehandelt hatte, kehrte das Spielglück kurz mal zu den Borussen zurück. Schmelzer hatte etwas Platz, flankte aus dem Halbfeld auf Kagawa, der legte per Kopf ab und Aubemyang
brachte den Ball unter größten Schwierigkeiten im Duelll mit Pavlenka irgendwie über die Linie. Ein solches Kacktor könnte eigentlich genau der Impuls sein, der eine Mannschaft wieder in die Spur bringt. Doch auch dieser Treffer half der Dortmunder Mannschaft nicht dabei, ihre Nerven in den Griff zu bekommen. Zu tief scheint die Verunsicherung in den Spielern zu stecken.
Ganz im Gegensatz dazu die Bremer. Die rochen, dass der Gegner trotz dem Ausgleich nicht an sich glaubte und setzten nach. Gondorf vergab die Riesenchance frei vor Bürki. Und auch Kruse hätte die erneute Bremer Führung erzielen können, wenn Bürki nicht den ganz langen Arm ausgefahren hätte. Nach der anschließenden Ecke war es dann aber soweit: Gebre Selassie köpfte die Bremer gegen eine mal wieder körperlos verteidigende Dortmunder Abwehr in Front. Dass Dahoud Gebre Selassie in seinem Rücken einfach laufen ließ, obwohl er bemerkte, dass dieser sich davon schlich, rundete seinen rabenschwarzen Tag ab. Dahoud versuchte zwar, die Aufgabe Gebre Selassie zu decken, per Handzeichen weiter zu reichen, checkte aber nicht, ob das auch irgendwer übernommen hatte.
Die Sinnbilder für den desaströsen Dortmunder Zustand häuften sich jetzt. Kagawa schoss vor dem leeren Tor dem auf dem Boden liegenden Aubameyang an den Rücken und von dort prallte der Ball drüber. Das musste eigentlich der unverdiente Ausgleich sein. Eigentlich. In der bitteren Realität war es nur eine von zahlreichen Dortmunder Slapstick-Einlagen in diesem furchtbaren Spiel.
Die Fans verloren nun zunehmend die Geduld. Fehl- und Rückpässe wurden mit Pfiffen quittiert. Einzelne Spieler wie der emsige aber technisch unterirdische Dortmunder Rekordeinkauf Schürrle bekamen besonders ihr Fett weg. Viele Fans ertrugen das Geschehen auf dem Platz aber auch eher apathisch oder gingen lieber schon zwanzig Minuten vor Spielende nach Hause, was auch einigermaßen verständlich war. Man hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass die Mannschaft die Kraft und Überzeugung aufbringen würde, das Spiel noch zu drehen.
Als es dann endlich vorbei war, endlud sich der Frust der verbliebenen Zuschauer über der Mannschaft, die zumindest tapfer genug war, sich den Emotionen der enttäuschten Anhänger zu stellen. Bis auf eine Ausnahme: Aubameyang war direkt nach Abpfiff als Erster alleine in die Katakomben gestürmt, ohne auch nur einen seiner Mitspieler eines Blickes zu würdigen. Seine Lust auf Dortmund scheint sich auch rasant dem Nullpunkt
anzunähern. Nach dem Spiel stellte sich als einziger Dortmunder Spieler ein stammelnder Kapitän Schmelzer den Medien, der zutreffend analysierte, dass die Mannschaft „Kacke“ gespielt hatte, aber auch weder eine Erklärung oder Hoffnung zu bieten hatte. In der Pressekonferenz sagte (Noch-)Trainer Bosz mit entwaffnender Ehrlichkeit, dass man eine solche Leistung nicht erklären kann, er aber die Verantwortung für diese Leistung trage. An diesem Abend bleibt nur Leere und Hoffnungslosigkeit zurück. Ein schlimmes Dortmunder Jahr geht einem schlimmen Ende entgegen. Die Verantwortlichen beim BVB sind nun dazu aufgerufen, ihrer Verantwortung auch gerecht zu werden.
Unsere Fotostrecke zur Heimpleite gegen Werder Bremen gibt es wie gehabt auf unserer BVB-Fotoseite unter diesem Link.
Statistik
BVB: Bürki - Sokratis, Subotic, Schmelzer - Bartra, Dahoud (82. Isak), Kagawa, Guerreiro (46. Sahin) – Yarmolenko (46. Schürrle), Aubameyang , Pulisic
Werder: Pavlenka – Veljkovic, Bargfrede, Moisander - Gebre Selassie, Delaney, Augustinsson - Eggestein, Junuzovic (53. Gondorf) – Bartels (33. Kainz, 84. Bauer), Kruse
Tore: 0:1 Eggestein (26.), 1:1 Aubameyang (57.), 1:2 Gebre Selassie (65.)
Zuschauer: 81.160 im Westfalenstadion Dortmund
Web, 09.12.2017