Das war's dann mit der Tabellenspitze
Langes Wochenende und Borussia auswärts bei Kind-muss-weg 96. Nach dem Wiederaufstieg des Vereins aus Hannover ein weiteres, angenehmes Reiseziel auf dem Fahrplan. Etwas über zwei Stunden Autofahrt sind, gerade bei einem Spiel samstags um 15.30 Uhr, genau die richtige Entfernung, damit es sich wie ein wirkliches Auswärtsspiel anfühlt und andererseits noch mit akzeptablen Abfahrts- und Ankunftszeiten gepunktet wird. Kein Wunder also, dass sich bei diesem Spiel traditionell viele Dortmunder über die A2 in Richtung Niedersachsen aufmachen.
Früh machte die Runde, dass nicht alle, die von Dortmund aufgebrochen sind, auch wirklich in Hannover angekommen sind. In Porta Westfalica kreuzten sich die Wege der Dortmunder und Wolfsburger Ultras und da man WOB als unmittelbarer Nachbarstadt vermutlich tiefergehende Ortskenntnisse in der Landeshauptstadt zutraute, hielt man kurz an, um mal nachzufragen, ob man denn auch auf dem richtigen Wege sei. Oder so ähnlich zumindest. Die überraschenderweise anwesende Polizei erwies sich sofort als sehr hilfsbereit und zeigte der Dortmunder Truppe den Weg. Allerdings den zurück nach Dortmund. Na ja, muss man als Außenstehender nicht alles verstehen, was da szeneintern abläuft.
Verstehen muss man allerdings auch nicht, was für ein Sicherheitszinnober um dieses Spiel gemacht wurde. Wer zu diesem Spiel die Wasserwerfer aus der Garage holt, nur um sie dann natürlich völlig sinnfrei und nutzlos irgendwo in Stadionnähe zu parken, braucht nicht über hohe Einsatzkosten der Polizei bei Fußballspielen zu jammern. Und wo der praktische Nutzen darin besteht, lange Schlangen an den Eingängen zu produzieren, weil man selbst weißhaarige Rentner und kleine Kinder an der Hand ihrer Eltern langwierig abtastet, kann wohl auch kein halbwegs intelligenter Mensch erklären. Vermutlich hat das irgendwer so angeordnet und dann zieht man das natürlich auch durch.
So kam es dann, dass beim Spiel auf beiden Seiten der harte Stimmungskern nicht anwesend war. Bei 96 schweigen die Gruppen schon seit längerer Zeit, um gegen das Schmierentheater zu demonstrieren, mit dem der Hörgeräteakkustiker Martin Kind den Verein zu einem mehr oder weniger Spottpreis an eine Investorengruppe verhökert. Klar, dass das auch absolut auf den Rängen spürbar war. Egal, was man vom Liedgut der Ultras halten mag, wenn ein Block fehlt, der geschlossen und lautstark singt, sodass sich der Rest daran orientieren kann, dann kann selbst die Umsetzung einfacher Gesänge zum Problem werden. Kommen gleich zwei Bereiche des Gästeblocks auf die Idee, das "Heja BVB" anzustimmen, aber dummerweise mit zehn Sekunden Zeitunterschied, dann steht man dazwischen und hat ob des Gesangsbreis ein ziemliches Fragezeichen über dem Kopf, wann und wo man denn jetzt einsteigen soll. Trotzdem war die Stimmung bemüht ok und längere Phasen des Schweigens überhaupt nicht schlimm. Vor allem, wenn man in Betracht zieht, dass weite Teile des Dortmunder Spiels mit dem Mantel des Schweigens noch sehr gut bedient waren. Es kam auch schon mehr als einmal vor, dass derartige Darbietungen mit einem gellenden Pfeifkonzert bedacht wurden.
Schwächen beim Gegenpressing sind bekannt
Dabei war es gar kein großes Geheimnis, wie der Gegner unsere Borussia bespielen würde. Es kommt selten vor, dass ein Trainer auf einer Pressekonferenz seine Taktik offenlegt, André Breitenreiter gab jedoch bereits bei der Pressekonferenz am Freitag offen zu: "Dortmund hat Schwächen, weil sie beim Gegenpressing sehr hoch stehen. Diese Chancen müssen wir dann nutzen." Worte, die BVB-Cheftrainer Peter Bosz offenbar in höchste Alarmbereitschaft versetzt haben, sodass er intensiv taktische Kniffe überlegte, Für und Wider verschiedener Maßnahmen abwog, detailliert tüftelte - und am Ende zur genialen Idee kam, überhaupt nichts zu ändern. Wie schon in den letzten Spielen. Achtung Spoileralarm: Plan A ging erneut nicht auf und Hannover erzielte vier Tore, die alle genau mit der Schwäche zu tun hatten, von der Breitenreiter vorher angekündigt hat, sie auszunutzen. Das ist schon eine ziemlich peinliche Nummer, sich von einem Typen übertölpeln zu lassen, der in GE entlassen wurde, weil er der Truppe keine funktionierende Taktik einimpfen konnte.
Aber klar, der Trainer ist natürlich nicht der Alleinschuldige. An diesem Samstag passte irgendwie gar nichts. Angefangen vom Rasen, bei dessen Anblick sofort klar wurde, warum der Stadionname an einen Versicherungskonzern verhökert wurde. Wer auf diesem Acker auflaufen muss, sollte nämlich vorher besser eine ordentliche Krankenhaustagegeldversicherung abgeschlossen haben. Gepflegtes Kurzpassspiel ist da eher weniger möglich. Allerdings war auch das offensichtlich und galt für beide Teams.
Nun gut, wir haben uns jetzt lang genug um den unangenehmen Teil gedrückt, wir müssen uns wirklich mal dem Spiel widmen. Dabei sind die ersten 18 Minuten eigentlich fast noch die angenehmsten, weil auf niedrigem Niveau eigentlich nicht viel passierte. Allerdings sah man schon hier, dass der Gegner nach Balleroberung mit schnellen, langen Bällen operieren wollte. Die allerdings konnten zuerst noch von der Dortmunder Defensive abgefangen werden. So eigentlich auch in der 19. Minute. Weiter Ball in die Spitze, Bürki kam raus, ließ den Ball Richtung Grundlinie weiterlaufen und der Hannoveraner Klaus (als Vorname schon diskutabel, als Nachname echt übel) fädelte ein, um dann fristgerecht zu Boden zu sinken. Alberne Nummer. Noch alberner allerdings, dass es dafür tatsächlich Elfmeter gab. Aber zum Glück gibt es ja seit dieser Saison den Videoschiedsrichter - und hey, was soll da schiefgehen, wenn Imperator Stark das Spiel in Köln verfolgt? Natürlich sprang er sofort aus seinem Ledersessel, um in die altbekannte Ich-muss-mal-ganz-dringend-groß-Hockhaltung zu gehen und mit der ihm eigenen Inkompetenz die Richtigkeit der Entscheidung zu bestätigen.
Erstes Bundesligator für Zagadou
Was für ein Dreck. Und natürlich machte Jonathas das Ding locker rein. Aber glücklicherweise haben wir ja jetzt Dan-Axel Zagadou im Team. Er kann Außenverteidiger, er kann Innenverteidiger - und jetzt sogar auch Tore schießen. Im Anschluss an eine Ecke wollte Sahin eigentlich aufs Tor schießen und Hannover eigentlich den völlig verunglückten Schuss ebenso völlig verunglückt klären. Wohl zuviel Slapstick für Zagadou, dem der Ball vor die Füße fiel und der ihn dann einfach mal locker wegmachte. Erstes Bundesligator. Sauber Junge, geht doch.
Im Block die Hoffnung, dass dieses Tor unserer Borussia Sicherheit geben würde und tatsächlich, ein paar Minuten später kam das dicke Ding zur Führung. In seiner ersten wirklich guten Aktion konnte Pulisic die Murmel erobern und legte sie von der linken Seite scharf an die Fünfmeterlinie. Dort stoppte Yarmolenko den Ball, rief noch einen coolen "Deine Mudda"-Spruch in Richtung des chancenlosen Torwarts Tschauner und schob locker zum 2:1 ein.
Zumindest ist das das, was in einer perfekten Welt geschehen wäre. In der rumpeligen BVB-Welt entschied sich Yarmolenko zur Direktabnahme, die vermutlich auf dem Stadiondach wieder runterkam. Im Anschluss spielte Castro im Mittelfeld einen ziemlich katastrophalen Fehlpass, während zu aller Überraschung die Mannschaft komplett aufgerückt war. Diagonalball in die Tiefe, Pass in die Mitte und Bürki musste den Ball erneut aus dem Netz holen. So einfach geht das, wenn der Gegner permanent komplett hoch steht. Zumindest Mario Götze dürfte dem zweiten Tor der Niedersachsen etwas positives abgewonnen haben. Mit dem Fehlpass erleichterte er Bosz die Entscheidung, wen von beiden er zur Halbzeitpause auswechselte. Verdient hätten es allerdings deutlich mehr. Ein Gegenpressing war kaum auszumachen, weil man nie in Offensivzweikämpfe kam. Mit schlampigen Pässen nahm man sich immer wieder selber das Tempo aus den Aktionen und verlor die Bälle genau in den Bereichen im Mittelfeld, in denen es bei unserem Spiel absolut tödlich ist. Und ob es so schlau war, immer wieder den bedauernswerten Aubameyang in Kopfballduelle gegen die Schrankwand Sané zu schicken, kann man auch dezent anzweifeln.
Trotzdem durfte man sich bei Sané noch zu Beginn der zweiten Halbzeit bedanken. Tschauner wollte eine Schmelleflanke locker wegpflücken, aber sein Vordermann köpfte den Ball vor den fangbereiten Armen weg. Yarmolenko schaffte es irgendwie in Rücklage, den Ball aus der Luft zu holen und aus knapp zwölf Metern ins kurze Eck zu schießen. Um ein Vielfaches komplizierter, als die Szene in der ersten Hälfte. Aber man will sich ja nicht beschweren und feierte den erneuten Ausgleich.
... und die erste rote Karte
Für satte sieben Minuten übernahm Borussia dann tatsächlich einmal die Spielkontrolle und vor allem Pulisic drehte ziemlich auf. Dann kam Bakalorz auf die Idee, dass man es doch mal wieder mit einem Steilpass in die Spitze versuchen könne. Erneut reichte dieses einfache Mittel, unsere Defensive komplett zu überspielen, sodass der arme Zagadou dem sichtbar schnelleren Jonathas hinterherlaufen musste. Kurz vor dem Strafraum dann das Foul und auf Dortmunder Seite unternahm keiner auch nur routinemäßig den Versuch, den Schiri davon zu überzeugen, dass das keine rote Karte sei, so klar war die Szene. Zagadou schlich dann auch sichtbar bedröppelt, aber unter den aufmunternden Rufen aus der Kurve vom Platz. Und wenn es einmal scheiße läuft, dann auch gleich flüssig. Den Freistoß zwirbelt Klaus in die Maschen. Wieder Rückstand, diesmal sogar in Unterzahl.
Wenn man der Mannschaft etwas positiv zugute halten möchte, dann, dass man auch in dieser Situation nicht komplett resignierte. Pulisic hatte nach tollem Solo eine Großchance, scheiterte aber an Tschauner. Auf der Gegenseite verhinderte Bürki gegen Klaus die Entscheidung. Das passierte dann in der 86. Minute, nachdem Hannover nach einem schnellen Umschalten erneut allen Platz der Welt in unserer Hälfte hatte und der Ball bei Bebou landete. Wie einfach sich Bartra mit einer Körpertäuschung aus dem Spiel nehmen ließ, war schon bedenklich, das Tor dann auch folgerichtig.
Damit war der Deckel dann auch endgültig auf einem echten Kackspiel, bei dem Borussia so ziemlich alles vermissen ließ, was in der Bundesliga notwendig ist. Taktische Reife, Passsicherheit, Durchsetzungsfähigkeit und Abgestimmtheit. Ja, wir haben immer noch mit 20 Punkten die zweitmeisten der Liga auf dem Konto, aber der Trend der letzten Spiele ist mehr als bedenklich. An einem Zeitpunkt, an dem sich Unebenheiten der Liga zu Saisonstart nivellieren und die Mannschaften sich gefunden haben, wirkt der BVB auch angesichts einfacher Spielstile immer hilfloser. Wäre nett, wenn man so langsam mal wieder mit dem Hintern hochkommen würde.
Unsere Fotostrecke zur Auswärtspleite bei Hannover 96 gibt es wie gehabt auf unserer BVB-Fotoseite unter diesem Link.