Hauptsache, Zypern ist schön!
Sanft umspielen die Wellen meine geschundenen Füße. Eine Flugtortur vom Allerfeinsten liegt hinter mir und ich bin froh, endlich angekommen zu sein. Ich laufe den Strand hinunter und treffe die ersten bekannten Gesichter. Eine Sache, die ich an Reisen um die Welt liebe, ist, dass man Leute wiedertrifft, die man ewig nicht gesehen hat. Aber auch fremden Schwarzgelben lächelt man freundlich zu, wohlwissend, dass schon bald einige keine Fremden mehr sein werden. Ich steuere das erste Restaurant an, verspeise einen gegrillten Oktopus mit sechs Scheiben Toast und lausche gespannt den aufgeregten Erzählungen derer, die bereits einige International-Storys-für-die-Ewigkeit zu
berichten haben. Es geht unter anderen um Kneipenbesitzer, die ganze Fangruppen für lau – für LAU – zu sich einladen und besuchte Youth League-Spiele, bei denen mit den Heimfans um die Wette gepöbelt wird. Später dann, auf der Suche nach dem gemeinsamen Treffpunkt hält uns ein Zyprer auf, der von morgens bis abends mit seiner Mutter an einem Parkplatz sitzt und kassiert, um die Familie durchzufüttern. Wir schwärmen gemeinsam lautstark über „Papa“ Sokratis und ich erfahre, warum APOEL der FC Bayern Zyperns zu sein scheint. Der alte Mann ist der dritte, der uns sein Herz darüber ausschüttet, wie sehr Nikosia von Verband und Politik bevorzugt werde und so kleinen Vereinen die Chance auf den großen Traum Champions League nehmen. Und er ist auch der dritte, der uns DEN Videobeweis dafür auf seinem Handy zeigt, bei dem es „a fucking red card“ hätte geben sollen, aber nichts geschah. Wir lachen, seine schwerhörige und nicht ein Wort englisch sprechende Mutter stimmt mit ein – ihr Lachen ist mit Sicherheit bis ins 50 Kilometer entfernte Nikosia zu hören. Nach einer halben Stunde reißen wir uns los, die Busse kommen.
Einer nach dem anderen kommt um den Kreisverkehr gesaust und nimmt seinen Platz in der Reihe ein. Ich zähle achtzehn Busse und ähnlich viel police. Die Damen und Herren entspannt und fröhlich plaudernd. Schon kurz nach Abfahrt wird uns vorgeführt, wie ein effektiver Polizeieinsatz auszusehen hat. An jedem (und es gibt in Zypern verdammt viele) Kreisverkehr steht der von den cops ausgebremste Verkehr und winkt uns begeistert zu. Alle in der Gegend scheinen heute Borussen zu sein. Und wenn es nur aus Hass zum Feind ist. Ich bin beeindruckt. Im Bus kursieren währenddessen Horrorgeschichten bezüglich der bevorstehenden Kontrollen: Ordner sollen Fans auffordern, sich komplett auszuziehen und rigoros vorgehen. Blank ziehen? No way. Kaum sind meine Fantasien ausgesponnen, sind wir auch schon in Nikosia angekommen. Die Kontrollen? Ich sehe zwar, dass einige Fans aussortiert werden, behaupte aber, dass sie nicht bis auf die Knochen durchforstet worden sind. Als ich an der Reihe bin, fühle ich mich fast wie im Westfalenstadion: Tasche auf – danke, bitte – viel Spaß, tschüss. Schnell habe ich es geschafft und lasse mich von der Masse in Richtung Block schieben. Unterwegs biege ich ab, treffe auf der Damentoilette alles außer Damen, schnappe mir einen seltsam orangefarbenen Hotdog und lasse mich auf meiner Sitzschale nieder. Schnieke, dieses Stadion.
Zu Beginn des Spiels gingen Heim- und Gästekurve kurzzeitig in einem schicken, roten Flammen- und wir im gelben Fahnenmeer unter. Das wäre jetzt der Moment, zum Spielgeschehen (dem eigentlichen Sinn eines Spielberichtes) überzugehen. Allerdings fehlen mir dazu erstens immer noch die Worte, zweitens möchte ich nicht Schuld sein, wenn Spieler später aufgrund meiner Wortwahl nicht schlafen können. Ich entschuldige mich hiermit also, falls ihr auf der Suche nach einem qualitativ hochwertigen Nachbericht des Spiels seid. Das können andere besser. Anders als die anderen lasse ich auch Bürki außen vor und möchte mich an zwei Geschehnissen festhalten, mit denen ich mir die restlichen 87 Minuten schön rede. Um auf unser nachmittägliches (existiert ein solches Wort?) Gespräch zurückzukommen: Papa ist der geilste. Nicht meiner – ok, der auch – nein, ich meine den verrückten Griechen auf dem Rasen, der alles und jeden aus dem Weg räumt, der ihm in die Quere kommt. Was ein Typ. Abschließend würde ich gerne vom Sahneschnitten-Angriff Pulisics schwärmen. Kurz vor Schluss, als die Stimmung aller zwischen Schreiwahn und Achegal,HauptsachederRestwargeil hin und her pendelt, startet der 19-jährige durch, überläuft und umtanzt alle, die ihm in die Quere kommen. Leider ohne Erfolg, aber was soll's. Die Hauptsache ist ja, dass Zypern schön ist. Vor mir hüpft während des gesamten Spiels ein Zyprer in ziemlich unecht aussehendem Trikot herum, eskaliert kurzzeitig völlig und kennt innerhalb einer halben Stunde fast alle gesungenen Lieder. Gröhlend wendet er sich in regelmäßigen Abständen an mich, bittet um Textübersetzung und interpretiert von nun an alle Lieder auf deutsch-englisch-griechisch um. Er ist verdammt merkwürdig, aber gelacht habe ich selten so viel und grundlos wie bei diesem Spiel.
Als das Spiel endlich aus ist, schiebt Weidenfeller den Rest in Richtung Gästeblock, bedankt sich, man singt, feiert wen auch immer und weiß nicht recht, wie man die Leistung jetzt entsprechend würdigt. Naja, die Hauptsache ist ja? Richtig, Zypern ist schön! Ereignislos fahren die Busse zurück nach Larnaka, es wird Zeit für einen letzten romantischen Moment am Strand und ein Taxi zum Flughafen. Wer mit dem Taxi die Örtlichkeit wechseln will, dem empfehle ich, eine halbe Stunde mehr Zeit einzuplanen. Warum? Wir sind insgesamt fünf Mal via Taxi durch die Gegend gesaust und jedes Mal habe ich vergeblich den Aus-Knopf des Taxifahrer-Mundwerks gesucht. Aber wir lachen, reden über Sokratis und zum siebenundvierzigsten Mal darüber, wie scheiße APOEL doch sei.
Die Uhr schlägt inzwischen 3, mein Flieger zurück in die Realität wird mich gleich einsammeln. Schlaftrunken wandeln schwarzgelbe Gestalten zu ihrem Gate, Augenringe bis zu den Füßen, keiner singt, keiner redet. Dem jungen Herrn neben mir fällt erst ein Salatblatt, dann das ganze Sandwich aus dem Mund, ehe sein Kopf auf den Tisch fällt und er unmittelbar zu schnarchen beginnt. Ich mache die Augen zu und sacke im Halbschlaf auf dem versifften Flughafenboden zusammen. Alter Schwede, wat 'ne Tour. Zypern, ich glaube, ich finde hundertprozentige Zustimmung wenn ich sage, dass wir uns in den wenigen Stunden oder Tagen alle ein bisschen in dich verknallt haben. Danke für weitere großartige Borussia international Geschichten, die ich mit Sicherheit noch meinen Enkeln erzählen werde.