Spielbericht Profis

Erst Kunst, dann Krempel im Heititei-Land

01.10.2017, 00:23 Uhr von:  Redaktion

Torschützen unter sich: Yarmolenko und Kagawa

Zwei völlig verschiedene Halbzeiten bot der BVB beim Gastspiel in Augsburg. Während in der ersten Halbzeit Yarmolenko und Kagawa stellvertretend für die Spielkunst unserer Borussia standen, avancierte im zweiten Durchgang Aubameyang zum Sinnbild eines Zittersiegs.

Zugegeben, die letzten zwei Jahre hatte ich nur wenig Lust auf Spielberichte oder eine sonstige Auseinandersetzung mit Themen rund um den BVB. Schon gar nicht bei Auswärtsspielen, bei denen die Spaltung der Fanszene in Tuchel-Anhänger bzw. -Gegner noch deutlicher zu beobachten war. Seit Beginn dieser Saison habe ich jedoch wieder richtig Bock! Selbst ein Auswärtsspiel im bayerischen Schwaben, was zuletzt harte Arbeit bedeutete, macht mir da nichts aus. Schon gar nicht der Wecker, der um 4.25 Uhr am Samstagmorgen klingeln sollte. Die positive Tabellensituation und die Probleme bei den anderen Bayern in der Landeshauptstadt tragen ebenfalls ihr Scherflein zur neuen Spaß-Borussia bei.

Beim Rundgang durch die Stadt Augsburg fiel auf, dass sie für viele BVB-Fans so eine Art bayerisches Freiburg zu bedeuten scheint. So hat der Großteil der jeweiligen Anhängerschaft einen gewissen Respekt vor dem jeweils anderen Verein ob der jeweiligen sportlichen Entwicklung in den letzten fünf bis zehn Jahren. Auch so Initiativen wie „Augsburg Calling“, mit denen die FCA-Fans die jeweiligen Gästeanhänger begrüß(t)en, dürften ihren Teil dazu beitragen.

Standard-Intro im Gästeblock

Meins ist das jedoch alles nicht.

Rein instinktiv hängt das bestimmt auch mit der Nähe Augsburgs zu Tuchels Heimatort zusammen, warum ich mit dieser Region hier in den letzten Jahren nie so richtig warum wurde. Auch ein Besuch in der Augsburger Puppenkiste vor ein paaar Jahren war diesbezüglich traumatisierend, bestanden die „Witze“ eines Programms dort doch überwiegend aus billigstem Griechenland-Bashing in Folge der Euro-Krise.

UND VOR ALLEM WILL ICH KEINE BVB-LIEDER IN FREMDEN STADIEN HÖREN!

So etwas kann man vorher oder danach im Fanbus in Dauerschleife laufen lassen. Wenn ich im Gästeblock stehe, möchte ich von den gastgebenden Fans 90 Minuten bepöbelt werden. Gerne auch kreativ, meinetwegen aber auch komplett unsachlich. Der FC Augsburg stellt für mich jedoch den Inbegriff der Sterilität im modernen Fußball dar. Das beginnt schon mit der Nähe zur Autobahn, die so eklatant ist, dass sich „Tank-und-Rast-Arena“ als Stadionname viel besser anbieten würde als die gefühlt jährlich wechselnden Firmen. Hauptsache, das Stadion ist möglichst weit weg von der Innenstadt, damit sich niemand von den asozialen Fanhorden gestört fühlt.

Mehr Pöbeln, weniger Supernanny

Auch auf Heimseite gab es die Standardversion

Auch dass vor Anpfiff mehrere Dutzend Kinder den Rasen betreten und eine Ehrenrunde drehen, darunter auch einige Kids im BVB-Trikot, gefällt mir nicht. Auf Kinder darf man ja nicht schimpfen, aber mir stinkt einfach diese Heititei-Atmosphäre, wo sich alle ganz doll lieb haben müssen. Das erinnert mich an die legendäre „Supernanny“-Folge und die geflügelte Mahnung: „Keine bösen Wörter!“ Zumal dieses ganze Drumherum ad absurdum geführt wird, wenn ein Spieler wie der Augsburger Caiuby im späteren Verlauf so ziemlich jeden Dortmunder Knöchel mindestens einmal ungestraft malträtieren darf.

Wo wir schon bei Kindern sind: Zu Beginn der Partie fiel der Blick vieler BVB-Fans in der Gästekurve auf ein Pärchen mit einem geschätzt nicht einmal ein Jahr altem Baby im Arm. Auch wenn der Kleine Kopfhörer aufbekam, ist solch ein elterliches Verhalten in keiner Weise nachvollziehbar, wenn man Lautstärke und Akustik des Augsburger Gästeblocks berücksichtigt. Weiterhin ist aus Fan-Sicht ein neues Lied vorgestellt worden, dessen Text ich jedoch leider nicht zur Gänze verstehen konnte. Auf jeden Fall holen wir aber die Schale, gar keine Frage!

Yarmolenko & Co. feiern das sehenswerte 1-0

Zumindest sportlich begann die Partie jedoch so, dass ich nichts zu meckern hatte: Nach vier Minuten schob der Neueinkauf Yarmolenko per Hacke (!) den Ball aus einer unübersichtlichen Situation hinein ins Glück. Ehrlich gesagt, einen Spieler wie Yarmolenko habe ich im BVB-Trikot bewusst noch nie erlebt. Er ist ein echter Künstler und Freigeist, wenn er Bälle wie selbstverständlich aus der Luft fischt und mit dem Außenrist unmögliche Flanken schlägt. Im Grunde erinnert er an einen osteuropäischen Künstler der Kandinsky-Schule, wie er mit seinen beiden Füßen ganze Aquarelle in den gegnerischen Strafraum pinselt. Doch wie jeder große Künstler neigt auch ein Mann mit solch genialischen Talenten zur unendlichen Melancholie. Gesehen nach der elften Minute, als Kai-Uwe eine Max-Flanke einköpfte. Bei Yarmolenko blieb der Kopf am längsten und tiefsten, praktisch bis zum Wiederanpfiff durch Schiedsrichter Fritz. Man hätte ihn am liebsten an die Hand genommen, um mit ihm einen Spaziergang durch die Karpaten zu machen, damit er zu neuer Inspiration für seine außergewöhnlichen Einfälle kommen kann.

Kagawa gefühlvoll

Sehenswert war auch die erneute Führung durch Kagawa

Nach dieser expressionistischen Schwärmerei zurück zum Spiel, das in der 23. Minute ein weiteres Kunstwerk aufbieten konnte. Denn nach einem kapitalen Fehler in der Defensive der Augsburger kam der Ball über Aubameyang und Yarmolenko zu Kagawa, der den Ball allen Ernstes gefühlvoll über den verdutzten Hitz lupfte. Und ich bin fest davon überzeugt, dass beide Treffer für den BVB so unter Tuchel nicht gefallen wären, weil sie auf Grund begnadeter individueller Klasse erzielt wurden und nicht mit Blick auf spieltaktische Vorgaben, die zu einhundert Prozent erfüllt werden müssen, damit Spielverlagerung wieder irgendeinen Sermon über „inverse Laufwege“ oder „diametral-abkippende Sechser“ fabulieren kann.

Und nur weitere zehn Minuten später hätte sich fast noch der katalanische Abwehrkünstler Bartra in die Riege der europäischen Fußballkunst eingeschrieben, doch seinen herrlichen langen Ball vertändelte der heute unterirdisch schwache Aubameyang fahrig. Trotz dieser vergebenen Chance erinnerte mich dieses Team zur Halbzeitpause ein wenig an das große Real Madrid der Jahrtausendwende um Figo und Zidane, die mit Vicente del Bosque einen Trainer hatten, der sich ostentativ zurücknahm und nur gewisse Nuancen vorgab, da er um das spielerische Potenzial seiner Truppe wusste. Zumindest ansatzweise scheint mir auch Peter Bosz diese Philosophie bei diesem gediegenen Kader zu verfolgen.

Erst vergibt Aubameyang aus dem Spiel heraus das 3-1...

Doch besteht ein Fußballspiel auch nach größter Kunstdarbietung leider immer noch aus zwei Hälften. Die mentale und physische Belastung nach dem Duell gegen Real Madrid machte sich mehr und mehr bemerkbar. Zum Glück hatten wir heute jedoch den BL-Torwart Bürki im Kasten (wer sind schon Kane und CR7?), der in der 59. Minute mit einer Mischung aus Instinkt, Glück und Reflexen einen gefährlichen Kopfball zu entschärfen wusste. Auch sieben Minuten später war er erneut bei einem Kopfball auf dem Posten. Diesmal konnte er das Leder sogar fangen.

Der BVB wurde nun weit in die Defensive gedrückt und offenbarte eine Mischung aus Thomas-Doll-Verwaltungsfußball und Thomas-Tuchel-Auswärtsfußball, wo keiner mehr so richtig weiß, was er zu tun hat. Insbesondere Toljan ließ sich doch eine Idee zu oft auf der linken Abwehrseite düpieren. Noch katastrophaler jedoch die offensive Darbietung von PEA17: War schon sein vergebener Kopfball (71.) für seine Qualitäten zu wenig, potenzierte sich sein diesmaliges Unvermögen in der 79. Minute. Nachdem Schiedsrichter Fritz zwei bis drei Minuten nach einem Foul an Piszczek erst auf Elfmeter entscheiden konnte, schloss sich der „reine Gabuner“ (Dittsche) den aufkeimenden Protesten des BVB-Anhangs gegen den Videobeweis an und lupfte den Ball fair zurück in die Arme von Hitz, um seine Unzufriedenheit mit den Gegebenheiten des modernen Fußballs zu artikulieren. Nebenbei bemerkt: Es bleibt zu hoffen, dass PEA17 diesen Versuch rein taktisch interpretierte, damit zukünftig alle BL-Torhüter stehen bleiben und er so ganz locker in die Ecken schießen kann...

...um später noch vom Punkt zu scheitern

Der einzige Vorteil dieser absurden Szenerie bestand in der Folgezeit darin, dass auch der FCA durch diese Szene etwas aus dem Tritt kam und offensiv nicht mehr ganz so zwingend agieren konnte. Lediglich in der Nachspielzeit kamen die Schwaben noch einmal zu einer Gelegenheit, die wirklich gefährlich gewesen sein muss, da vom Gästeblock aus der Ball bereits im langen Eck zappelte. Symptomatisch für die komplette Partie war denn schlussendlich mal wieder eine fast schon unverschämte Aktion PEA, der es in einer 3:1-Aktion gegen Opare tatsächlich schaffte, fair vom Ball getrennt zu werden.

Fazit

Wenn du solche dreckigen Spiele in der Woche einer Auseinandersetzung mit Real Madrid mit diesem Kampfgeist, dieser Chuzpe und auch diesem Glück mit drei Punkten über die Bühne bringst, kannst du nur Deutscher Meister werden. Und seien wir doch mal ehrlich: Wer erinnert sich noch an das eher unverdiente Zustandekommen dieses 2:1-Siegs, wenn wir im Mai um den Borsigplatz kurven, während an der Säbener Straße die Ernährung komplett auf glutenfreie Nudeln und vegane Avocado-Smoothies umgestellt wird?

Daten zum Spiel

Wer wird deutscher Meister?

FC Augsburg (4-2-3-1): Hitz – Opare, Gowi Löw, Hinteregger, Max – Khedira II. (38. Koo), Spritzer Baier – Heller (81. Thommy), Gregor Itsch (67. Cordoba), Kai-Uwe Knochenbrecher – Finnbogason

BVB (4-1-2-3): Bürki – Piszczek, Sokratis, Bartra, Toljan – Weigl – Kagawa (81. Toprak), Dahoud (57. Castro) – Yarmolenko (64. Philipp), Aubameyang, Pulisic

Tore: 0:1 Yarmolenko (4., Linksschuss, ohne Vorarbeit), 1:1 Caiuby (11., Kopfball, Max), 1:2 Kagawa (23., Rechtsschuss, Yarmolenko)

Zuschauer: 30.660

SR: Fritz (Korb, Assistenten: Schaal, Pelgrim – 4. Mann: Reichel, Netflix-Gucker: Dr. Drees)

Gelbe Karten: Caiuby, Heller, Koo, Opare – Toljan

Bes. Vorkommnis: Aubameyang verschießt Foulelfmeter (79., Urmel an Piszczek)

Torschüsse: 10:14

Torschüsse aufs Tor: 5:8

Malte D., 01.10.2017

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