Richtiger Anzug mit falscher Kragenweite
Warm-Up
Und täglich grüßt das Murmeltier. Gruppenphase, Champions League, Real Madrid, Westfalenstadion. Viele Erinnerungen, denkwürdige Momente und Tore - das (erneute) Deja-Vu ist auch in diesem Jahr Königsklasse perfekt. Und das nicht nur bei Fritz Lünschermann. Madrid reiste mit Verletzungsproblemen und einer pequeño Formkrise an, während der BVB die Bundesliga mit boszhaftem Spiel als Spitzenreiter aufmischt. Zidane gegen Bosz, in direkter Weise ein neues Trainer-Duell unter eher luftigen Voraussetzungen der Kopfbehaarung, indirekt ein Aufeinandertreffen zweier verschiedener Spielsysteme unter Cruyff’schem Einfluss. Und auch wenn der spanische Gast in der Primera Division bei 122 Torschüssen nur zwölf Mal die Kiste traf, Real Madrid blieb immer noch Real Madrid. So oft man es auch gesehen haben mag: Wer an einem solchen Abend gegen diesen Kontrahenten nicht trotzdem aufgeregt und motiviert war, der hat den Fußball (Rudi Völler -> Marcell Jansen) nie geliebt.
Taktik & Personal
Gästetrainer Zinedine Zidane veränderte sein Team gegenüber dem 2:1 - Sieg vom Wochenende gegen die Basken von Deportivo Alaves auf drei Positionen. Für den doppelt erfolgreichen Ceballos spielt Modric, Kroos und Bale ersetzen Vazquez und Asensio.
Peter Bosz tauschte gegenüber der 6:1 - Demontage gegen Gladbach ebenfalls drei Mann aus: Für Weigl, Dahoud und Pulisic spielten Sahin, Castro und Yarmolenko.
Erste Hälfte
Den ersten Stimmungstest gab es noch vor Anpfiff der Partie: Der Seitenwechsel mit den Madrilenen vor der Südtribüne beginnend wurde von der Süd mit einem gellenden Pfeifkonzert quittiert. Erstmals offensiv wurde es für die Borussen bei der scharfen Hereingabe von Toljan, die Ramos von Schlussmann Navas noch gekonnt entschärfen konnte. Nach eben dieser Marschroute gestaltete sich anfangs auch der Verlauf der Partie, Borussia attackierte früh und zwang Real zu Ballverlusten im so brandgefährlichen Aufbauspiel rund um Kroos, Modric und Co. Folgerichtig war der Gast gezwungen mit langen Diagonal - und Steilpässen hinter die hoch stehende Defensivreihe von Schwarzgelb zu agieren, bei denen Bürki stets aufmerksam und bei Bedarf außerhalb des Strafraums zur Stelle war.
Auf der Gegenseite machte im Anschluss ebenfalls der Schlussmann auf sich aufmerksam, mit einem Haken wurde „Auba“ ins Leere laufen gelassen und vernascht. Keinesfalls in direkter Relation, verlor der BVB im Anschluss an diese Aktion um Minute zehn herum den Spielfluss und die
Ballsicherheit. Real konnte zwei Mal innerhalb weniger Augenblicke komplett frei durchbrechen: Erst war Carvajal alleine auf rechts unterwegs, ließ Toprak richtig alt aussehen und scheiterte letztlich kläglich an Bürki. Kurz darauf kann Piszczek in letzter Sekunde nach einer scharfen Hereingabe von Ronaldo vor dem einschussbereiten Bale klären. Den ersten Herzkasper kaum verdaut, bekam die Borussia in einer strittigen Szene fünf Minuten später nach einem Handspiel von Ramos auf der Torlinie den Elfmeter nicht zugesprochen. Philipp brachte den Ball nach einer Flanke vom langen Pfosten in Richtung Torlinie: Schwierige Entscheidung, bei der man für beide Seiten Argumente finden konnte. Dem Innenverteidiger Absicht zu unterstellen wäre vermessen gewesen, genauso wenig hatte jedoch die Hand des Spaniers so weit oben zu suchen.
Kein unverdienter Rückstand
Einer möglichen Führung folgte der logische Rückstand. Der BVB war in dieser Phase zu zaghaft in den Zweikämpfen, Toljan scheute den Zweikampf mit Carvajal, dessen Flanke mit rechts verwertete Bale auf überragende Art und Weise volley und versenkte das Leder für Bürki unhaltbar im rechten Winkel. Knappe zehn Minuten vor dem Halbzeitpfiff war eindeutig zu erkennen: Das Gegenpressing der Gäste funktionierte wesentlich besser als beim
BVB. Modric und Kroos begannen die Partie an sich zu reißen, Ronaldo war allerdings weitestgehend abgemeldet. Vor allem der Kroate trat nicht nur spielerisch in den Vordergrund, bei einem Freistoß der Dortmunder trat die kleine #10 in weiß auch noch als besonders kompetenter Vermessungstechniker in Erscheinung, der es mit dem Abstand zur Mauer äußerst genau nahm. Schiri Kuipers wandte im Anschluss seinen holländischen Maßstab an - und zeigte Gelb.
Fast mit dem Pausenpfiff erwachte plötzlich auch CR7, erwischte die wackligen Toprak und Toljan auf dem falschen Fuß und kam nach zwei blitzartigen Antritten zu gefährlichen Torabschlüssen.
Zweite Hälfte
Abschnitt zwei begann mit einem Aufreger: Yarmolenko erlief einen Ball von Götze, köpfte in Richtung langer Pfosten statt direkt abzuschließen. Der an diesem Abend ohnehin unfassbar gut aufgelegten Varane konnte im letzten Moment vor „Auba“ klären und den sicheren Ausgleich verhindern. Und keine fünf Minuten, verpasste Real Schwarzgelb den nächsten Nackenschlag: Bale, mit einem unbedrängten Steilpass in auf links geschickt, flankte in die Mitte und fand Ronaldo, der schneller als Toljan reagierte und seinen 108. CL-Treffer verbuchen konnte. Für den Portugiesen das vierte Tor im vierten Spiel im Dortmunder Tempel.
Den Deckel noch nicht gänzlich drauf gemacht, ließen die Madrilenen den Gastgeber anschließend im Spiel. Der Anschlusstreffer durch Aubameyang ließ Parallelen zum eigenen ersten Gegentreffer erkennen: Castro bekam den Ball auf dem linken Flügel, die umbedrängt geschlagene Flanke köpfte der Gabuner an Keeper Navas vorbei ins Netz. Das Westfalenstadion aus der Lethargie gerissen explodierte im Anschluss fast komplett, Yarmolenko erreichte Toljans Flanke jedoch nicht.
Nach knapp eine Stunde Spielzeit wechselte Bosz direkt doppelt, brachte Weigl und Dahoud für Sahin und Toljan. Der BVB agierte fortan mit Dreierkette und stand noch riskanter und höher im Feld, setzte alles in die Offensive. Real’s individuelle Spitzenklasse bereitete jedoch weiterhin fortwährend Kopfschmerzen, die Gäste blieben vor allem immer wieder durch Isco gefährlich. In einem beinahe schon epischen Laufduell konnte sich zudem Sokratis gegen den eigentlich klar bevorteilten Bale überaus stark durchsetzen (das gefiel im Deja-Vu-Modus nicht nur Marc Bartra). Man sah der Mannschaft zu diesem Zeitpunkt deutlich an: Man wollte, man konnte aber nicht mehr so richtig. Beinahe stehend k.o., war der BVB gezwungen das Spiel zu machen während Real auf den endgültigen Gnadenstoß lauerte. Und so kam es dann auch.
Ronaldo macht den Sack zu
Der BVB streckte sich nach Kräften, versuchte offensiv Akzente zu setzen. Pulisic kam für Götze, Real brachte gleichzeitig eher lässig den besten U21-Nachwuchsspieler Asensio. Die Mischung aus Weltklasse und Effizienz beendete das Spiel kurz später in Minute 79.: Modric trieb den Ball durch den freien Raum, schickte Ronaldo in die Gasse und der Portugiese ließ Bürki mit einem knallharten Strahl in die kurze Ecke keine Chance. Anschließende Diskussionen um eine Mitschuld Bürki’s am Gegentreffer waren eher in die Kategorie „Schwachsinn“ zu verweisen. Der Keeper sorgte in dieser Partie noch eher dafür, dass der BVB das Spiel lange offen gestalten konnte und zeigte eine stärkere Leistung.
Fazit
Ein schlussendlich verdienter Sieg für ein effektiveres und heute zu cleveres, zu starkes Madrid. Der BVB begann euphorisch, zu schnell jedoch entpuppte sich vor allem die linke Seite um Toljan als immer wieder äußerst anfällig. Das 1:0 ein Traumtor gepaart mit defensiver Unzulänglichkeit, hätte man mit dem Ausgleich kurz nach Beginn der zweiten Hälfte das Spiel wieder offen gestalten können. So verpasste man jedoch die Chance und kassierte fast im Gegenzug den zweiten Gegentreffer. Der BVB wehrte sich nach Kräften und kam durch den Anschlusstreffer von Aubameyang urplötzlich wieder in die Partie zurück. Borussia drängte lange auf den Ausgleich, den Tempel immer frenetisch im Rücken. Real agierte nie ungefährlich, und besiegelte schlussendlich durch seine Klasse und den Spielentscheider Ronaldo den verdienten und erstmaligen Sieg im Westfalenstadion.
Der BVB kassiert seine zweite verdiente Niederlage in Folge in der Champions League. Da im Parallelspiel Tottenham in Person von Harry Kane APOEL Nikosia mit 3:0 abfertigte, stehen die Borussen nun schon relativ abgeschlagen mit null Punkten auf dem dritten Platz. Die K.O. - Phase zu erreichen scheint momentan ein eher kompliziertes Unterfangen zu werden.
Abseits
Ob Helene Fischer als deutsch-sibirischer Schlagerstar eine besondere Vorliebe für das Team in Schwarzgelb pflegt, ist nicht überliefert. Wie auch an diesem Abend, spielten die beiden wohl im Moment größten Zuschauermagneten Deutschlands schon beim Auswärtsspiel in Hamburg zeitgleich nebeneinander. Die Anreise zum Tempel gestaltete sich dementsprechend etwas schwieriger als ohnehin üblich. Ob HF in der Westfalenhalle eine Wahnsinns-Show ablieferte, war zu dem Zeitpunkt noch nicht direkt überliefert. Unter Garantie verließen die Räumlichkeiten mit dem großen „U“ auf dem Dach jedoch mehr freudig gestimmte Anhänger als nebenan.
Statistik
BVB: Bürki - Piszczek, Sokratis (C), Toprak, Toljan (60. Dahoud) - Sahin (60. Weigl), Götze (76. Pulisic), Castro - Yarmolenko, Aubameyang, Philipp
Madrid: Navas - Carvajal, Ramos, Varane, Nacho - Casemiro, Kroos, Modric (90. +1 Ceballos) - Isco (76. Asensio), Ronaldo, Bale (85. Vazquez)
Schiedsrichter: Björn Kuipers
Assistenten: Sander van Roekel & Erwin Zeinstra
Torrichter: Paulus van Boekel & Dennis Higler
Vierter Offizieller: Mario Diks
Tore: 0:1 Bale (18.), 0:2 Ronaldo (50.), 1:2 Aubameyang (54.), 1:3 Ronaldo (79.)
Zuschauer: 65.848 (ausverkauft)
Karten: Toprak, Weigl - Bale, Carvajal, Modric
Chancen: 6:9
Ecken: 7:5
Ballbesitz: 52:48
Stimmen zum Spiel
Peter Bosz:
„Wenn man so spielen will, wie wir das wollen, muss man richtig Druck machen. Deshalb war das nicht ein Problem der Abwehr, sondern der gesamten Mannschaft. Wenn Stürmer und Mittelfeldspieler nicht richtig Druck machen können, wird das schwer für die Verteidigung.
Es sind noch vier Spiele. Und wir werden versuchen, diese vier Spiele zu gewinnen. Es ist wichtig, dass wir zunächst die beiden Spiele gegen Nikosia gewinnen, und dann müssen wir gucken, wie die Spiele zwischen Real und den Spurs gelaufen sind.“
Zinedine Zidane:
„In diesem Stadion ist es schwer zu spielen, wir haben hier noch nie gewonnen, deshalb war dieser Sieg schon wichtig für uns. Das ganze Spiel war von Anfang bis Ende gut für uns. Wir haben sehr viel Druck ausgeübt und viel Ballbesitz gehabt, das war der Schlüssel. Dortmund hat so druckvoll gespielt wie immer, aber wir haben das gut kompensiert.“
Boris Davidovski, 27.09.2017