Ein netter Ausflug mit der Familie
Borussia Dortmund unterlag im Supercup dem FC Bayern denkbar knapp mit 6:7 nach Elfmeterschießen. Ob das ein gutes Omen für die anstehende Saison ist? Was im und um das Stadion herum geschah, was sich auf dem Platz abspielte und ob wir alle Angst vor dem Abstieg haben müssen, lest ihr hier.
Dass der BVB in den letzten sieben Jahren sechs mal im Supercup antreten durf musste, hat sicherlich wenig zum Stellenwert dieses Pokals beigetragen. Seit der BVB als Pokalfinalist 2008 einen inoffiziellen Supercup als Testspiel vor der Saison gegen den damaligen Double-Sieger FC Bayern bestritt, hängt der Veranstaltung der Makel des besseren Testspiels an. So auch dieses Jahr, obwohl das Duell in Ermangelung eines Double-Gewinners endlich mal wieder Meister gegen Pokalsieger lautete.
Da der Großteil unserer Redaktion das Spiel wie in jedem Jahr nicht zusätzlich auf die Dauerkarte buchte und stattdessen lieber vor der heimischen Mattscheibe (wenn überhaupt...) mitfieberte, war es erneut ziemlich einfach, Karten für ein Spiel zwischen dem BVB und dem FC Bayern zu erlangen. Und so machte ich mich am späten Samstagnachmittag gemeinsam mit Nichte, Neffe, Schwester
und Schwager auf zum Spiel und in das Herz der Südtribüne. Dass die Zusammensetzung der Zuschauer ungewohnt war, zeigte sich auch rund ums Stadion herum. Die Zufahrtsstraßen, die normalerweise 90 Minuten vor Anpfiff bereits von parkenden Autos gesäumt, aber problemlos befahrbar sind, waren von hohem Verkehrsaufkommen und grimmigen Fußballfans geplagt. Wollen wir hoffen, dass alle Fans rechtzeitig zur tollen Eröffnungsfeier (hust) im Stadion waren.
Mit Tageskarten ausgestattet, wurde Seb an Block 12 wegen angeblicher Überfüllung dann gebeten, den oberen Eingang zu nutzen - nur um zu sehen, dass der Eingang zwar verstopft ist, sonst aber überall ungewöhnlich viel Platz im Block herrschte. Wir kamen wenige Minuten später am gleichen Eingang rein und konnten uns, nach ein wenig Quetschen auf den eigentlich freizuhaltenden Treppenflächen, frei bewegen und entfalten. Dieses sehr ungewohnte Gebaren der Besucher wurde dann allerdings noch durch folgenden Zeitgenossen getoppt:
So schlimm war das Publikum auf der Süd gar nicht. #supercup #bvbfcb pic.twitter.com/LDitNUbSal
— Jan-Henrik Gruszecki (@JH_Gruszecki) 5. August 2017
Peter Bosz, der sich sehr auf seine Heimpremiere freute, musste sich allerdings mit mäßiger Stimmung begnügen: auf beiden Seiten waren die aktiven Fanszenen abwesend und so gab es weder dauerhaft Gesänge noch große Abwechselung. Dafür aber, und das fiel positiv auf, viel Bezug zum Geschehen auf dem Rasen und wenn koordiniert gesungen wurde, dann auch geschlossen und in guter Lautstärke. Der Bezug zum Geschehen auf dem Rasen zeigte sich auch dann, als ein Großteil des Stadions lautstark die sich anbahnende Eröffnungsfeier dieses Pokalendspiels auspfiff. Clevererweise unterband die DFL weitere Pfiffe, indem sie den gestrigen Abend dem Breitensport widmete und erfolgreiche Athleten weniger bekannter Sportarten auf den Rasen holte: anders als bei Helene Fischer wollte hier dann doch niemand so respektlos sein und pfeifen.
Auffem Platz
Bleiben wir direkt beim Geschehen auf dem Platz: der BVB, angeführt von Kapitän Sokratis, spielte erwartungsgemäß im niederländischen 4-3-3 mit zwei Neuzugängen in der Startformation: Dan-Axel Zagadou, 196 cm groß, im Juni 18 Jahre alt geworden und ablösefrei aus Paris gekommen, vertrat die verletzten Marcel Schmelzer, Raphael Guerreiro und Erik Durm auf der linken Abwehrseite und Mahmoud (genannt "Mo") Dahoud, 21 Jahre jung und per Ausstiegsklausel aus Mönchengladbach losgeeist, ersetzte den kurzfristig mit Rückenproblemen ausgefallenen Mario Götze. Die Viererkette wurde komplettiert durch Marc Bartra, Papa Sokratis und Lukasz Piszczek. Vor der Abwehr sollte Nuri Sahin für Ordnung und Struktur sorgen, während Gonzalo Castro neben Dahoud die offensiveren Aufgaben übernahm und ganz vorne sollten Ousmane Dembélé und Christian Pulisic um den Torschützenkönig Aubameyang herumwirbeln.
Dies gelang in der Anfangsphase auch ganz ordentlich: Borussia trat selbstbewusst auf und versuchte, sich in die Partie zu spielen. Leider haben sich auch die Bayern, die mit einer ähnlich unbefriedigenden Saisonvorbereitung wie der BVB zu kämpfen haben, keine Blöße gegeben und mit Mann und Maus attackiert. Dembélé, der in der vorigen Saison oft zum entscheidenden Spieler der Partie wurde und beim Halbfinal-Sieg in München mit einer Vorlage und dem Siegtreffer auftrumpfte, wurde so zeitweise sogar von drei (!) Bayern-Spielern umzingelt, damit er ja keinen Geniestreich vollbringen konnte. Man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass die letzte Begegnung mit Ous den Bayern mindestens Respekt, wenn nicht sogar ein bisschen Angst eingeflößt hat.
Da Castro und Dahoud, welcher erst zum dritten Mal im schwarzgelben Trikot auflief, dem Spiel wenig Struktur geben konnten und die Bayern insbesondere vorn sehr aggressiv pressten und hinten gut gestaffelt verteidigten, blieben ernstzunehmende Torchancen Mangelware, bis Javi Martinez ein Fehler bei der Ballannahme unterlief. Pulisic, der wie das gesamte Team des BVB ebenfalls sehr früh und aggressiv auf die Bayern zulief, erahnte den Fehler und holte sich den Ball, tunnelte Martinez und lief dann gemeinsam mit Aubameyang auf Ulreich zu. Wie eiskalt der erst 18-jährige Pulisic den Ball im Netz unterbrachte, ist wirklich beeindruckend und löste den ersten Jubelsturm im Westfalenstadion aus.
Der Treffer der Borussen hatte leider einen erweckenden Effekt auf die Bayern: mit sehr breiten Flügeln, cleveren Läufen, geschickten Verlagerungen und großer Ballsicherheit machten die Roten insbesondere unseren Außenverteidigern zu schaffen und hatten so im Rest der ersten Halbzeit nicht nur die Feldhoheit, sondern vor allem eine Vielzahl hochkarätiger Chancen: einen verdeckten Schuss Riberys von der Strafraumkante konnte Bürki gerade noch um den Pfosten drehen.
Rund fünf Minuten nach dem Führungstreffer fand sich Kimmich plötzlich ganz allein auf der rechten Angriffsseite der Bayern und gab sich keine Blöße, den Ball passgenau in den Fuß von Lewandowski zu flanken. Neben Zagadou, der Kimmich nicht nur sträflich allein ließ, sondern auch noch zu zaghaft hinterher ging, sahen auch die Innenverteidiger nicht ideal aus, die Lewandowski beim Abschluss nicht behindern zu vermochten. Doch nicht nur Borussen sahen bei diesem Treffer schlecht aus: Kimmich befand sich beim Zuspiel in sehr stark abseitsverdächtiger Position und so kam es dann
zum ersten Einsatz des Video Assistant Referee. Schiedsrichter Zwayer hielt sich deutlich sichtbar den Knopf im Ohr und gab dies den protestierenden Borussen auch zu verstehen, beließ es dann aber bei der Entscheidung des regulären Treffers. Wie sich später herausstellen sollte, kämpfte der DFB in Köln selbst mit der Technik, sodass die Entscheidung nicht so schnell wie möglich verkündet werden konnte. Besonders ärgerlich jedoch war, zumindest für die Zuschauer daheim, die fehlende Transparenz, da die übertragenden Fernsehanstalten kein auflösendes Bild der Schieds- und Videorichterentscheidung zeigten.
Das Spiel wiederum war nun gekippt. Bis auf einen Hackenschuss Castros kamen nur noch die Bayern gefährlich vor das Tor des BVB und es war erneut Roman Bürki, der einen Müller-Schuss aus sieben Metern mit einem Weltklassereflex vor dem Einschlag abhielt. Die Überforderung Zagadous, der immer wieder zu früh und zu tief einrückte und dadurch die gesamte Außenbahn frei machte, wurde von Minute zu Minute offensichtlicher und so schien es von der Tribüne nur eine Frage der Zeit, bis der Franzose ausgetauscht würde - wohlwissend, dass sowohl Piszczek als auch er auffällig wenig Unterstützung durch die offensiven Außenspieler erhielten. Nach einem Pfosten-Kopfball Müllers und einigen weiteren Schwimmeinlagen der BVB-Defensive konnte die Borussia das Remis in die Pause retten.
Halbzeit zwei
In der Halbzeit ersetzte Rode den unauffälligen Dahoud und das mangelnde Selbstbewusstsein wurde durch eine Portion Vertrauen ersetzt. Zagadou und Piszczek positionierten sich fortan deutlich weiter außen und das frühe Anlaufen der Bayern aus Halbzeit 1 wurde auch nicht mehr in voller Breite so konsequent durchgezogen, sodass der BVB nun mehr Kontrolle über das Spiel ausüben und sich endlich auch mal sehenswert durch die Reihen der Bayern kombinieren konnte.
Eine abgefälschte Lewandowski-Flanke sollte dann die Führung für den BVB einleiten: nachdem Zagadou den Ball zu Rode spielte, brüllte das Westfalenstadion die Schwarzgelben nach vorn und Hummels konnte Dembélés Steilpass mit einer langen Grätsche nicht vereiteln. Aubameyang hatte die Chance allein vor Ulreich und ließ sie sich nicht nehmen, als er den Ball aus elf Metern passgenau in den Winkel hebelte. Großer Jubel und ein Treffer, den das Stadion in lange vergessener Manier ins Netz geROARt hat!
Die Bayern wurden daraufhin nicht besser, sie wurden giftiger. Erst holte sich Lewandowski durch hartes Einsteigen gegen Sokratis den gelben Karton und dann konnte Vidal sich sehr glücklich schätzen, das Spiel auf dem Rasen beenden zu dürfen: eine rücksichtslose Grätsche mit offener Sohle und gestrecktem Bein wurde durch Schiedsrichter Zwayer nur mit einer Verwarnung geahndet und statt Vidal nur Minuten später für einen Tritt gegen Pulisic des Feldes zu verweisen, ließ der Unparteiische an dieser Stelle erneut Gnade vor Recht ergehen.
Und es kam, wie es kommen musste: einem diskutablen Freistoßpfiff zu Gunsten der Bayern folgte die Flanke, Süles Kopfball an die Latte, heilloses Durcheinander im Strafraum und letzten Endes der Oberschenkel von Piszczek, welcher den Ball ins eigene Tor beförderte. Ein Ausgleich "aus dem Nichts", der ungewohnt intensiv vom FC Bayern gefeiert wurde. In den Jubel hinein fielen erneut längere Diskussionen und die nun schon bekannte Geste des Schiedsrichters, sich plakativ ans Ohr zu fassen, um eine Überprüfung durch den Videoschiedsrichter anzuzeigen. Der Videoassistent konnte allerdings erneut keine Regelwidrigkeit feststellen und so waren beide Tore der Bayern überprüft regulär.
Den Charakter des Supercups als besseres Testspiel festigte dann der Modus, der bei Gleichstand nach Abpfiff gilt. Statt der üblichen Verlängerung, um das Ergebnis auf dem Feld zu entscheiden, findet sofort die Lotterie Elfmeterschießen statt - auch wenn sie in diesem Fall gar keine so große Lotterie war. Sven Ulreich sprang im Tor der Bayern nämlich konsequent in die rechte Torwartecke und so wäre es ein Einfaches gewesen, ebenso konsequent jeden Ball in die andere Ecke zu schießen, um zu treffen. Leider hat niemand Sebastian Rode oder Marc Bartra davon in Kenntnis gesetzt, sodass die beiden als Einzige nicht in die rechte Ecke schossen - und prompt verschossen. Der untröstliche Bartra wurde sofort mit aufmunternden Worten von Pulisic und Co. empfangen, während die Bayern vor dem Gästeblock eskalierten, als hätten sie gerade die Champions League gewonnen. Der Stachel der Niederlage im DFB-Pokal saß offenbar sehr tief, denn sonst hätte ein Club wie der FC Bayern den Gewinn eines besseren Testspiels wohl kaum dermaßen euphorisch gefeiert.
Was vom Tage übrig blieb
Der BVB wird voraussichtlich holprig in die neue Saison starten. Man merkt, dass das Spielsystem und die Taktik noch nicht zu einhundert Prozent sitzen und auch, dass Peter Bosz den Fokus bisher vor allem auf das Pressing gelegt hat. Der neue Spielstil verspricht Spaß, ist bisweilen aber noch nicht so gut anzusehen, weil der Spielaufbau bisher wenig strukturiert erscheint. Aber ich bin mir sicher, dass sich das legen wird und wir, wie Bosz nach dem Spiel sagte, eine Borussia sehen werden, die den Ball hat, das Spiel bestimmt und schönen Fußball spielt - nur eben noch nicht morgen.
Roman Bürki: In der dritten Saison ist der Schweizer die unumstrittene Nummer 1 der Borussia und heute bewies er mit hervorragenden Reflexen und sehr gutem Fußballspiel auch, wieso er das zurecht ist.
Dan-Axel Zagadou (bis 77.): Nach einer haarsträubenden ersten Halbzeit hat sich der junge Franzose in der zweiten Hälfte zunehmend gesteigert, ehe er mit Krämpfen vom Feld ging. Ob der 1,96m-Hüne wirklich die Idealbesetzung für die Vertretung Schmelzers ist, bleibt fraglich - mittelfristig
verspricht er aber großes Potenzial.
Marc Bartra: Wirft sich in jeden Ball, weiß seinen schmächtigen Körper mittlerweile gewinnbringend einzusetzen und macht auch bei Vorstößen eine gute Figur. Dass ausgerechnet er den entscheidenden Elfmeter vergab, zerreißt einem das Herz.
Sokratis: Der Krieger wies Lewandowski ein ums andere Mal in seine Schranken, konnte dessen Treffer aber auch nicht mehr verhindern. Er wird erneut Abwehrchef sein und bleiben.
Lukasz Piszczek: Pechvogel des Abends. Hob beim ersten Ausgleich der Bayern mit seiner Hacke vermeintlich das Abseits auf und bugsierte dann den Ball zum 2:2 ins eigene Netz. Lieferte sich sonst interessante Duelle mit Ribery, die leider zu häufig an den Franzosen gingen.
Felix Passlack (ab 77.): Lieferte sich einige harte Duelle und verursachte den Freistoß zum Ausgleich, war sonst in seiner kurzen Spielzeit aber wenig auffällig.
Nuri Sahin: Bei seinem 250. Pflichtspiel, einen Tag vor dem 11. Jahrestag seines Bundesligadebüts, versuchte der Borusse die Mannschaft zu sortieren. Die Bayern machten es ihm schwer, erst in der zweiten Halbzeit konnte er wirklich die Fäden in die Hand nehmen.
Mahmoud Dahoud (bis 45.): Dem Neuzugang fehlte bei seinem dritten Spiel in der neuen Mannschaft noch ein wenig die Bindung, doch es war
erkennbar, welche Rolle und Fertigkeiten er künftig ausfüllen soll. Das wird noch!
Gonzalo Castro: Hing in der ersten Halbzeit sehr offensiv in der Luft und profitierte dann davon, in der zweiten Hälfte mehr Platz und eine bessere Positionierung zu haben. Mit zwei Großchancen hätte er zum Matchwinner werden können.
Sebastian Rode (ab 46.): Der viel gescholtene Mittelfeldspieler scheint im neuen Spielsystem eine bessere Rolle für sich entdeckt zu haben. Gute Ballführung, flexibles Positionsspiel, toller Einsatz - als zentraler Mittelfeldspieler ohne alleinige Defensivverantwortung weiß er zu gefallen.
Christian Pulisic (bis 90.): Gebt dem Jungen einen Rentenvertrag, meine Fresse! Scheißt ihn zu mit eurem Geld, Borussia! Der Kerl legt jedes Mal eine Ballführung und eine Geschmeidigkeit an den Tag, dass mir die Spucke fehlt. Dazu ist er mit seinen 18 Jahren schon so abgezockt, dass sich Ciro Immobile noch heute in den Schlaf weint.
Verlängert den Vertrag! JETZT!
Ousmane Dembélé: Der "Rookie des Jahres" der abgelaufenen Saison hatte es zu Beginn sehr schwer, als die Bayern ihn aus purer Angst so behandelten, wie wir das unter Klopp mit Arjen Robben gemacht haben. Hatte in der zweiten Halbzeit mehr Platz und konnte das zwischenzeitliche 2:1 hervorragend vorbereiten.
Maximilian Philipp (ab 90.): Verwandelte seinen Elfmeter souverän.
Pierre-Emerick Aubameyang: Hing in der ersten Halbzeit in der Luft und ließ sich teilweise weit zurückfallen, um im Spielaufbau zu helfen. Konnte ebenfalls von mehr Raum in Halbzeit zwei profitieren und mit seinem ersten Torschuss die sehenswerte Führung für den BVB erzielen. Ist gern beim BVB geblieben - und wird gern von uns behalten.
NeusserJens, 06.08.2017