Mentalitätsmonster am Niederrhein
Auswärts Gladbach. Es gibt schönere Gastspiele. Über die Verkehrssituation in der Rheydter Pampa wurde ja schon mehr als genug gesagt. Das Stadion ist eine Manifestation architektonischer Langeweile und bevölkert wird es von, nun ja, Gladbachern eben. Man kann sie mögen, muss es aber nicht. Aber nützt ja alles nix. Einmal pro Saison zwingt der DFL-Saisonplan unsere edle Borussia, ihren missratenen Namensvetter mit seiner Anwesenheit zu beehren.
Der Nachmittag im Block begann mit Bildern, die man sich selbst am liebsten erspart hätte. Es ist ein ziemlich unästhetischer Anblick, jemanden zuzuschauen, der in einen Bierbecher pinkelt und ihn dann einfach auf dem Boden stehen lässt. Selbstverständlich hatte niemand anderes Interesse daran, den Becher für ihn zu entsorgen und so ging während der Wartezeit bis zum Anstoß so mancher Blick in diese Richtung, weil man den Moment nicht verpassen wollte, an dem jemand zwangsläufig den Becher mit seinen Füßen umstoßen würde. Aber wie von Zauberhand, beziehungsweise -fuß schafften es sogar die Mädels mit dem auffälligen "Happy Birthday"-Kopfschmuck, selbigen darüber zu heben.
Dem Becherpinkler muss man allerdings zu Gute halten, dass im oberen Bereich des Blocks auch nur wenig andere Möglichkeiten bestanden. Es war voll im Gästeblock. Richtig voll. Das ist zwar auf der einen Seite schön, aber auf der anderen Seite ist es auch ein bisschen beunruhigend, wenn man den Block herunter guckt und überhaupt keine freien Wege mehr sieht. Die Aufgänge waren proppevoll und im Nachhinein kann man froh sein, dass es keine Vorfälle gab, die z. B. den Einsatz eines Rettungsdienstes erforderten.
Und wenn wir schon mal im Block sind, dann bleiben wir auch da. Schön war es dort nämlich. Wir hatten diese Saison schon einige schwache Auftritte, aber der in Gladbach gehörte ohne Zweifel zu den besseren. Ist halt schön, wenn man sich gleich zu Beginn mit der bekannten "Stein um Stein"-Verballhornung der heimischen Stadionhymne so richtig einsingen kann. In der Folgezeit wurden die Gesänge zum größten Teil vom kompletten Block mitgetragen, bei den Toren natürlich ausgiebig Scooter gehuldigt und kurz vor Abpfiff ein richtig amtlich ausrastender Block, bei dem sogar die Betondecke zum Oberrang mit Bier gesprenkelt wurde. Kann ich Euch alles erzählen, der spätere Spielverlauf ist ja jetzt kein Staatsgeheimnis mehr.
Der Gladbacher Landadel legte derweil eine erstaunlich schizophrene Verhaltensweise an den Tag. Ohrenscheinlich scheint der gemeine Gladbacher mit Dahouds Entscheidung, zur neuen Saison die Evolutionsleiter Richtung Dortmund hochzuklettern, nicht so ganz einverstanden zu sein und bedachte den eigenen Mann bis zu dessen Auswechslung mit Pfiffen. Fairerweise schlossen sie im Verlauf der ersten Halbzeit die komplette Mannschaft in diese Unmutsbekundungen ein, weil Gladbach das Kunststück schaffte, einen eigenen Eckball mit nur zwei Stationen zum eigenen Torwart zurückzuspielen. Kann ja jeder halten wie man will, es wird dann allerdings peinlich, wenn man die eben noch ausgepfiffenen Mannen nach dem Torerfolg euphorisch hochleben lässt.
Was Dortmunder und Gladbacher während der 90 Minuten so auf den Tribünen bewegte, kommt jetzt: Schon nach 09 Minuten verneigte sich ein Gladbacher bei eigenem Ballbesitz vor Christian Pulisic, der dankend annahm und Richtung Strafraum davon zog. Der herbeigeeilte Geschichten-die-nur-der-Fußball-schreibt-und-ausgerechnet Mo Dahoud traf dessen Fuß kurz vo.... ähm... satt auf der Strafraumlinie, die eben auch zum Sechzehner gehört. Elfmeter, Marco Reus ruft Sommer eben noch zu, dass er ganz bestimmt in dessen rechtes Eck schießen wird und schiebt ihn dann locker in die Mitte ein. Hey, Gladbach - so einen wie Reus hättet Ihr doch mit Sicherheit auch gerne, oder?
Was die Fohlen in den ersten 45 Minuten anstellten, blieb ein völliges Rätsel. Tuchel probierte eine sehr gewagte Dreierkette bestehend aus Schmelle, Ginter und Bender, kombiniert mit Durm und Guerreiro als offensive Außen und zentral mit Nuri und Castro. Besonders die Reihe direkt vor Bürki schien eine unausgesprochene Einladung für den Gegner zu sein, vorne ordentlich drauf zu gehen und Druck zu erzeugen. Für den neutralen Beobachter vermutlich völlig unverständlich, warum sich Gladbach damit zufrieden gab, erst rund zehn Meter vor der Mittellinie wenigstens halbherzig anzugreifen. Selbst während einer gefühlt fünfminütigen Überzahl überließen sie den Schwarzgelben anstandslos den Ball anstatt die numerische Überzahl zu nutzen. Der Grund für diese Überzahl war leider ziemlich beschissen. Erneut im Gladbacher Strafraum wurde Sahins Standbein weggegrätscht. Dass die Trillerpfeife von Imperator Stark stumm blieb, statt erneut zum Elfer zu blasen, war ärgerlich. Dass Nuri mit einer mutmaßlichen Bänderverletzung ausgewechselt werden musste, dagegen einfach nur traurig. Er war doch gerade erst wieder richtig da.
In der Folgezeit verpassten es unsere Dortmund wie gewohnt, schon frühzeitig für klare Verhältnisse zu sorgen. Dembélé, dem man mittlerweile total anmerkt, dass die geistige Frische fehlt, infolgedessen er häufig die falschen Entscheidungen traf, bekam den Ball nicht an Sommer vorbei, bei Reus schob aus ähnlicher Position noch ein Gladbacher seine hässlichen Beine dazwischen. Reus übrigens in der Rolle des Stürmers, da Aubameyang mal eine Startelfpause bekam.
Und während Dortmund sich so den Ball Richtung Halbzeitpause hin und her passte, hatte der für Nuri eingewechselte Mikel Merino leider einen völligen Blackout. Ein wirklich haarsträubend kurzer Querpass zentral vor dem eigenen Strafraum landete bei Stindl. Der Gladbacher Kapitän ließ sich so was natürlich leider nicht nehmen und schoss den Ball ins lange Eck. Von Handspiel keine Spur. Gladbach feierte Dööp-Dööp und wusste dabei selbst nicht, wie sie es geschafft hatten, mit einem 1:1 in die Pause zu gehen.
Bei einem Tor in der 43. Minute schreibt das Spielberichterstatterhandbuch zwingend vor, von einem psychologisch wichtigen Zeitpunkt zu sprechen. Gleiches gilt auch für Tore in der 48. Minute. Hüllen wir den gnädigen Mantel des Schweigens darüber und sagen einfach nur, dass Schmelzer völlig
unglücklich ins eigene Tor abfälschte. 2:1 für die Ponys und völlig verkehrte Welt. Eigentlich hatte der BVB richtig gut gespielt. Eigentlich war Gladbach echt schlecht. Eigentlich hatte die neue Dreierkette ihren Job richtig gut gemacht. Und eigentlich hatte Schmelzer einen guten Tag.
In diesem Moment haben nur noch die wenigsten an einen Erfolg an diesem Tag geglaubt. Es schien alles zu viel zu sein. Die letzten zwei Wochen, dieser Verlauf. Es wäre echt kein Wunder gewesen, wenn die Köpfe runtergegangen wären. Stattdessen ging Reus für Aubameyang vom Platz und die zweite Luft durch die Mannschaft. Direkt danach schickte Dembélé in seiner mit Abstand besten Szene des Tages Auba steil.
Erster Ballkontakt: Unter Kontrolle gebracht.
Zweiter Ballkontakt: An Sommer vorbei gelegt.
Dritter Ballkontakt: Aus spitzem Winkel über ein Abwehrbein hinweg ins Tor gepöhlt.
Eat this, Jünther.
Und unsere Dortmunder steckten nicht auf. Erst schoss Guerreiro den Ball an den Pfosten, dann köpfte er in der 87. Minute eine Freistoßflanke ins Eck. Der 1,70 m Sitzriese! Per Kopf! Ins Tor! Auf dem Platz kullerten die Spieler übereinander, daneben rastete der Block aus. Was für eine grandiose Moral die Truppe da gezeigt hat war phänomenal.
Völlig zurecht wurde sie dann noch einmal nach Abpfiff gefeiert und mit "Dortmunder Jungs" in den wohlverdienten Feierabend geschickt. Und natürlich wurden, bevor sich die Gladbacher Nordkurve endgültig leerte, noch einmal ein paar verbale Steine rübergeworfen.
Gut gelaunt dann Richtung Parkplatz und unterwegs noch einmal die Sinnfreiheit einer Polizei-Reiterstaffel bestaunen dürfen. Anscheinend schien der Gladbacher irgendwas angestellt zu haben, sonst wäre er nicht so flink unterwegs gewesen. Ob das, was er getan hat, für die Allgemeinheit allerdings gefährlicher war als acht riesige Zossen
unter "Achtung... Achtung"-Rufen durch die abfließenden Menschenmassen traben zu lassen, kann man geschmeidig anzweifeln.
Gastspiele in Gladbach sind eben manchmal doch schön. Vor allem, wenn man danach innerhalb von zehn Minuten vom Parkplatz aus wieder auf der Autobahn ist. Wie das geht? Nehmt in Zukunft doch einfach Parkplatz Nummer...
Borussia Dortmund: Bürki - Schmelzer, Ginter, Bender - Guerreiro, Sahin (Merino), Castro, Durm - Dembélé (Mor), Pulisic - Reus (Aubameyang)
Gladbach: Sommer - Wendt, Vestergaard, Christensen, Elvedi - Dahoud, Strobl - Traoré, Stindl, Hofmann - Hahn