Man muss die Feste feiern wie sie fallen!
Das Westfalenstadion bleibt auch weiterhin eine Festung. Mit 3:0 wurde der HSV auch in der Höhe verdient aus dem Stadion geschossen. Die Abwehr wirkte zwar nicht immer sattelfest und man hätte sich auch nicht groß über das ein oder andere Gegentor beklagen gedurft. Vorne spielte man sich aber derart viele Torchancen heraus, dass die Hamburger sich vermutlich phasenweise in einem weiteren Münchener Alptraum wähnten. Allein an der Chancenverwertung haperte es ein wenig, so dass es letztlich doch bei einem eher moderaten Kantersieg blieb. Auch das Dortmunder Publikum zeigte sich dem Spielverlauf entsprechend gut aufgelegt und peitschte die Mannschaft immer wieder nach vorne. Selbst vermeintlich verpöhnte Stilmittel wie das Anfeuern einzelner Spieler kamen mal wieder zur Anwendung.
Ausgangslage
BVB gegen HSV, ein Klassiker der Bundesliga trotzdem war man offenbar rund um den BVB irgendwie nicht wirklich motiviert vor dem Spiel am Dienstagabend. Die Artikel bei schwatzgelb.de schienen die Stimmungslage ganz gut wiederzugeben. Der HSV war nicht mehr so geil wie früher, die Stimmung im Stadion zuletzt sowieso schlecht und irgendwie hatte man auch gar keinen Bock mehr auf Fußball. Das spiegelte sich auch an der Anzahl von Karten wieder, die man vor dem Spiel angeboten bekam. Ein Mitredakteur hatte Schwierigkeiten „zwei Sitzplätze für lau“ an den Mann oder die Frau zu bringen und auch vor dem Stadion wedelte man zunehmend verzweifelt mit den sonst so heißbegehrten Zetteln, die den Einlass in den Tempel der Glückseligkeit verheißen. In sozialen Netzwerken war gar von der Aalen-Grippe die Rede. Sind die Borussen inzwischen wirklich derart übersättigt, dass ein solches Traditionsduell maximal noch eine lästige Pflichtaufgabe darstellt? Dabei hatte die Partie durchaus auch sportlich ihren Reiz, denn die Borussen waren nach dem unnötig verpassten Derbysieg vom dritten Platz verdrängt worden und der HSV kämpft natürlich mal wieder gegen die drohende Relegation.
Erste Halbzeit
Das Stadion schien dann doch ordentlich gefüllt zu sein, beim Klassiker aus Liverpool wurden die Schals in die Höhe gereckt und die nach Leibeskräften gegröhlt. Der Rahmen stimmte also. Ist es am Ende doch nur die eigene Blase der sogenannten „aktiven Fanszene“ die einem diesen negativen Eindruck vermittellt? Zum Einlauf der Mannschaften gab es dann sogar eine kleine Choreo der DES mit großer Zaunfahne, die auf die Serie der ungeschlagenen Heimspiele anspielte und dazu eine Menge goldenen Glitter in Block Drölf. Es war also anscheinend alles für den Spieltag angerichtet und spätestens jetzt stellte sich auch die gewohnte leicht nervöse Vorfreude auf den Kick ein, der doch eigentlich den Höhepunkt der Woche bilden sollte oder zumindest das wichtige Warmlaufen zum als „German Clasico“ gehypten Spiel in München.
Thomas Tuchel war erneut zu einigen Umstellungen gezwungen. Matthias Ginter vertrat den gesperrten Sokratis, Guerreiro sprang für den angeschlagenen Käptn hinten Links ein ein und auf der linken offensiven Außenbahn durfte sich mal wieder der hochtalentierte aber noch etwas unreife Emre Mor versuchen, für den Pulisic eine Pause auf der Bank verordnet bekam. Dem Türken gehörte auch die erste nennenswerte Aktion des Spiels, als er eine Mischung aus Schuss und Flanke ans Außennetz setzte. In Abwesenheit von Schmelzer und Reus durfte Aubameyang die Binde aufs Feld tragen, was nochmal verdeutlichte, dass sein Status in der Mannschaft nicht durch irgendwelche Mätzchen zu erschüttern ist. Über mögliche Konsequenzen aus seinen Werbeaktivitäten auf dem Feld wird laut Thomas Tuchel demnächst gesprochen werden, allerdings ohne die Anwesenheit des Trainers.
Bereits in der dritten Spielminute wurden die Sitzplätze zum Aufstehen aufgefordert und mächtige Wechselgesänge erschallten im Westfalenstadion. Davon angespornt ging der maskierte Werbeträger das erste Mal auf die Reise, konnte aber aus einigermaßen spitzem Winkel den Routinier René Adler nicht wirklich in Verlegenheit bringen. Der BVB machte gleich von Beginn an deutlich, dass man auch heute wieder Herr im eigenen Hause bleiben wollte. Doch nachdem eine schöne Flanke von Weigl leider keinen Abnehmer fand, hatte Bobby Wood im Gegenzug die erste einigermaßen interessante Konteraktion der Hanseaten. Zum Abschluss kam er allerdings dank der in dieser Situation aufmerksamen BVB-Defensive noch nicht. Das sollte sich aber noch gründlich ändern...
Dann versuchte sich Aubameyang erneut in einer Situation als Vorbereiter, in der er vielleicht lieber abgeschlossen hätte. Die Chance war damit wieder vorbei, auch wenn sie bei weitem nicht von der Qualität gewesen war, wie die vergebene Möglichkeit das Derby zu entscheiden. Im direkten Gegenzug durfte Wood frei auf Bürki laufen, doch der Schweizer klärte den Ball per Fußabwehr. Das war die erste hundertprozentige Chance des Spiels, etwas überraschend auf Seiten der Gäste. Der nächste Angriff der Schwatzgelben endete mit einem Trickschuss von Dembélé aus spitzem Winkel. Durchaus unterhaltsam, diese Anfangsphase.
Kurz darauf durften die Borussen auch schon jubeln. Einen Freistoß aus halblinker Position setzte Gonzo Castro ins rechte Toreck. Ganz unhaltbar sah der nicht aus, Adler hatte sich verspekuliert und einen Schritt in die falsche Ecke gemacht. Aber was soll´s? Standardtore nimmt man als BVB-Fan immer gerne mit, denn sie haben angesichts des Potentials der Mannschaft erstaunlicherweise eher Seltenheitswert.
Der BVB versuchte nun etwas kontrollierter nach vorne zu spielen, blieb aber weiter deutlich dominant. Wer den Arsch am Dienstagabend hoch bekommen hatte, sollte sein Kommen bis hier nicht bereuen. Auch auf den Rängen lieferte der BVB-Anhang eine dem Spiel angemessene, motivierte Vorstellung ab. Die Mitmachquote auf der Süd war zuletzt schon deutlich schwächer gewesen und so entwickelten Klassiker wie Nanana heeey BVB über einen längeren Zeitraum ordentlich Druck. Die Gästefans ließen angesichts des Spielstands nach munterem Beginn deutlich nach. Mit HSV-Wechselgesängen zwischen Unter- und Oberrang sendete man dann aber doch noch einmal ein deutliches Lebenszeichen aus dem Norden. Auf dem Feld wurde der HSV mehr und mehr in die eigene Hälfte eingeschnürt und konnte nur noch mit weiten Befreiungsschlägen die Mitellinie überwinden. Ein Stockfehler von Weigl eröffnete dann Wood erneut den Weg Richtung Bürki, aber Piszczek brachte noch einen Fuß in den Ball, bevor der Amerikaner zum Abschluss kommen konnte. Der HSV bot spielerisch wenig, hatte aber trotzdem schon einige brauchbare Chancen.
Kurz darauf hatte das selbsternannte Kind im Manne erneut die Chance, die Sache frühzeitig einzutüten. Ein traumhafter Doppelpass mit Kagawas Hacke und der heute Unmaskierte hatte wieder die Chance zum Finish. Diesmal zeigte Adler allerdings seine ganze Klasse, blieb lange stehen und hatte mit starkem Reflex noch die Hand am Ball. Im Süden blieb man weiter bemüht, den Rest des Stadions mit einzubinden. Angesichts einiger aus Dortmunder Sicht zweifelhafter Freistoßentscheidungen versandeten die Wechselgesänge allerdings und machten Platz für spielbezogenen Support in Form von einem zünftigen Pfeifkonzert gegen den ex-blauen Freistoßschützen. Der ehemalige Bankollege des von André Schürrle brachte trotzdem eine brauchbare Flanke zustande, die aber von Bartra kompromisslos geklärt wurde.
Es schien nun aber so, als hätte die vergebene Großchance von Aubame die Hamburger aus ihrem Tiefschlaf erweckt. Der HSV rückte ein paar Meter weiter nach vorne und versuchte, die Borussia erstmals geschlossen unter Druck zu setzen. Die heute komplett in Blau angetretenen Rothosen konnten zeigen, dass Trainer Gisdol es seit seiner Amtsübernahme geschafft hatte, einer klinisch toten Mannschaft eine ordentliche spielerische Struktur zu verpassen. Der BVB tat sich in dieseer Phase schwer, den geordneten Spielaufbau der ersten halben Stunde aufrechtzuerhalten.
Nach einem Fehler von Piszczek kam erneut Wood zu einer Chance, aber sein Flugkopfball verfehlte den Kasten von Bürki einigermaßen deutlich. Dann flitzte der bislang weitgehend unauffällige Mor einmal seinem Gegenspieler davon und spielte Castro im gegnerischen Strafraum frei. Aber dessen Flanke in den Rückraum konnte Dembélé nicht gewinnbringend verwerten. Das Spiel blieb weiter attraktiv, weil beide Mannschaften mit offenem Visier agierten. Eine schöne Flanke von Mor landete auf dem Schädel von Aubameyang, dessen Kopfball Adler nur mit Mühe aus der Ecke fischen konnte. Zur Pause begleitete freundlicher Applaus die Mannschaften in die Kabine. Das Publikum zeigte sich mit der Darbietung beider Mannschaften zurecht einverstanden.
Zweite Halbzeit
In der Pause beschwerten sich die JuBos über das Materialverbot, das anscheinend heute Abend die HSV-Anhänger daran gehindert hatte, den Gästeblock wie gewohnt zu beflaggen. „Fanmaterialien bleiben unverhandelbar – Materialverbote abschaffen“ und ballspiel.vereint! erinnerte an Mehmet Kubasik, das Dortmunder Opfer der Naziterroristen vom NSU, der heute vor 11 Jahren in seiner Nordstadt-Trinkhalle ermordet wurde. Damit zeigte sich erneut, dass BVB-Fans willens und in der Lage sind, auch über den sportlichen Tellerrand hinaus zu blicken.
Der BVB fing auf dem Rasen auch nach Wiederanpfiff druckvoll an. Eine erste Großchance wurde nach Versuchen von Aubameyang und Kagawa durch Guerreiro vergeben, der einen Hackentrick ansetzte, aber keinen Druck hinter den Ball bekam. Nach Foul an Dembélé gab es einen Freistoß aus einer ähnlichen Position aus der die Führung erziehlt worden war. Diesmal überließ Castro aber Guerreiro den Ball und der setzte ihn in die Mauer. Dem BVB boten sich weiter Räume, die er auch immer wieder zu nutzen wusste. Als nächster hätte Kagawa erhöhen können, aber er scheiterte mit mehreren Schussversuchen aus kurzer Distanz an der HSV-Abwehr. Das Stadion hätte gerne einen Elfmeter bekommen, aber falls es wirklich Hand war, dann wohl eher unabsichtlich aus der kurzen Distanz. Dembélé nahm immer wieder Fahrt auf und hatte auch die große Chance, seine Leistung zu krönen, aber sein Schuss wurde noch zur Ecke abgefälscht. Auch die große Emre Mor Schow führte nicht zu einem Treffer, doch sein Dribbling riss die Leute von den Sitzen, so dass der junge Türke mit stehenden Ovationen verabschiedet wurde, als er direkt nach seinem Abschluss von Thomas Tuchel ausgewechselt wurde.
Der HSV hatte wie zu Beginn der Partie große Mühe damit, sich aus der eigenen Hälfte zu befreien. Die Leistung der Dortmunder Mannschaft machte Laune und so erhob man sich auf den Sitzplätzen willig und stimmte in die Wechselgesänge ein. Genau in diesem Moment wurde es aber das erste Mal nach dem Wechsel brenzlig für die Schwatzgelben. Bürki segelte unter einem hohen Ball hindurch und hatte Glück, dass seine Abwehrspieler die
Situation noch für ihn bereinigen konnten. Jetzt wurde es ein munterer Schlagabtausch, denn auch Hamburg wollte wieder mitspielen. Erneut zeigte sich, dass die Dortmunder Mannschaft nicht wirklich sicher steht, wenn sie unter Druck gerät. Auf der anderen Seite boten sich aber auch Räume für das BVB-Tempospiel. Die Angriffe wurden bloß nicht sauber zuende gespielt. Dann spielte Bartra den Ball ins Aus und sank zu Boden. Er hielt sich den Kopf und deutete auch mit Gesten an, nicht ganz frisch zu sein. Nach kurzer Pause und einigen Duschen aus der Mineralwasserflasche konnte der Spanier aber wieder weitermachen und die Partie beenden. Eine Verletzung des zuletzt konstantesten BVB-Innenverteidigers wäre gerade zu diesem Zeitpunkt der Saison auch mehr als bitter.
Die nächste Chance zur Vorentscheidung vergab erneut Aubameyang, der von Kagawa wunderbar freigespielt wurde, sich diesmal aber nicht zum Doppelpass sondern zum Abschluss entschied und damit letztlich falsch lag. Da der HSV auch weiterhin immer wieder mal gefährlich vor Bürki auftauchte, wäre ein zweiter Treffer so wichtig gewesen. Thomas Tuchel gönnte dann den BVB-Eigengewächsen Felix Passlack und Nuri Sahin noch eine Viertelstunde auf dem Feld. Sahin ersetzte Weigl und Passlack Guerreiro. Nuri Sahin wurde von der Süd mit frenetischen Sprechchören gefeiert als er das erste Mal seit dem Hinrundenspiel gegen Gladbach den Rasen des Westfalenstadions betrat.
Eine pure Willensleistung von Pierre-Emerick Aubameyang erzwang dann die Entscheidung des Spiels. Der Gabuner zog einen eigentlich sinnlosen Vollsprint an, den wohl nur wenige Stürmer in Europa versucht hätten und luchste Ekdal in Höchstgeschwindigkeit den Ball ab. In seinem Rücken sprinteten auch Dembélé und Kagawa in den Strafraum. Aubame bediente den freistehenden Japaner maßgerecht, der den Ball nur noch über die Linie drücken musste. Auch der Torschütze wurde von der Süd mit seinem Lied gefeiert. Das muss man ja heutzutage gesondert erwähnen (s.o.). Insgesamt war es eine dem Spiel angemessene starke Leistung der gelben Wand und so flogen zur verfrühten Feier des Siegs die Schals in die Luft. Und obwohl sich, wie bei einem Spiel unter der Woche wohl unvermeidlich, bereits vor Spielende von den Sitzplätzen Massen von Fans auf die Heimreise begaben, bekam dieses insgesamt schöne Fußballspiel einen würdigen Rahmen. Die gelbe Wand schunkelte zum BVB-Walzer dem Schlusspfiff entgegen. Jeder der vorzeitig gegangen war, sollte das aber noch bereuen.
Denn einer hatte immer noch nicht genug. Auch dem letzten Steilpass von Kagawa hetzte Pierre-Emerick Aubameyang noch hinterher, als ob die Partie gerade angepfiffen worden wäre oder noch gedreht werden müsste. Mit schönem Übersteiger wurde auch Adler verladen und quasi mit dem Schlusspfiff war die Kirsche auf der Sahnetorte platziert. Im Süden erinnerte man die Mannschaft dann noch kurz daran, wem man nun die Hosen
ausziehen muss, ging dann aber schnell dazu über den wunderbaren Sieg und die starke Mannschaft zu feiern. Damit war sicher auch bei meinen miesepetrigen Mitredakteuren die Stimmung wieder in den Euphoriemodus gewechselt. Manchmal fallen die Feiertage im Fußball eben auch unerwartet vom Himmel und diese Ungewissheit, ob am Ende ein Sahnetag oder ein trostloser Grottenkick auf dem Programm steht, macht einen großen Teil des Reizes aus, der einen am Ende dann doch wieder Woche für Woche ins Stadion treibt. Borussia bleibt weiter fest auf Champions League Kurs und fährt wohl auch nicht komplett chancenlos nach München. Alles in allem nicht schlecht für eine Übergangssaison und das macht doch wieder Lust auf Fußball!
BVB: Bürki – Piszczek, Ginter, Bartra, Gurreiro (78. Passlack) – Weigl (78. Sahin) – Castro, Kagawa – Dembélé, Mor (60. Pulisic) – Aubameyang
HSV: Adler – Diekmeier, Ekdal (83. Janjicic), Mavraj, Ostrzolek – Sakai, Walace – Gregoritsch (60. Hunt), Holtby, Kostic – Wood (84. Lasogga)
Tore: 1:0 Castro, 2:0 Kagawa (Aubameyang), 3:0 Aubameyang (Kagawa)
Gelbe Karten: Ginter – Ekdal, Kostic, Holtby
Torschüsse: 17-16
Ecken: 6-4
Fouls: 6-10
Web, 03+1.03+1.2017