...Taktik-Experte Constantin Eckner: "Die Unterschiede zu Tuchel sind nicht so groß"
Als Nachfolger für Thomas Tuchel hat der BVB mit Peter Bosz einen relativ unbekannten niederländischen Fußballtrainer verpflichtet. Im Gespräch mit Schwatzgelb.de erläutert Taktik-Experte Constantin Ecker, was zukünftig auf dem Spielfeld von Borussia Dortmund zu erwarten ist.
Bereits in den vergangenen Jahren blickten wir auf die Entwicklung der BVB-Mannschaft unter Trainer Thomas Tuchel und dessen taktische Anpassungen in der Post-Klopp-Ära. Während eine turbulente Saison, deren Ereignisse wohl für mehrere Jahre genügt hätten, mit dem DFB-Pokalsieg gegen Eintracht Frankfurt ein sportlich versöhnliches Ende fand, fand die Beziehung zwischen Trainer Thomas Tuchel und Borussia Dortmund ein eher unrühmliches Ende. Zu groß waren die internen Gräben, als dass eine weitere Zusammenarbeit denkbar gewesen wäre.
Mit Peter Bosz hat der BVB nun einen international
noch nicht sehr bekannten Trainer verpflichtet, der seine Mannschaft Ajax
Amsterdam im letzten Jahr bis ins Finale der Europa League führen konnte.
Dementsprechend wirft auch die zukünftige taktische Ausrichtung noch einige
Fragen auf. Schwatzgelb.de hatte die Gelegenheit erneut mit Constantin Eckner,
einem der Autoren des Fußball-Taktik-Blogs Spielverlagerung.de, über die
kommende Saison und mögliche spielstatische Veränderungen zu sprechen.
schwatzgelb.de: Die Wege des BVB und Thomas Tuchel haben sich mittlerweile getrennt, um eine Frage zur Arbeit unter ihm komme ich dennoch nicht herum: In der letzten Saison hatte der BVB vor allem in der Hinrunde mit den Abgängen von Hummels, Mkhitaryan und Gündogan zu kämpfen. Wie fällt dein taktisches Fazit der Rückrunde aus? Konnte der Zuschauer wieder etwas mehr des in der ersten Tuchel-Saison so herausragenden Ballbesitzfußballes sehen?
Constantin Eckner: Taktisch ging es in der Rückrunde definitiv bergauf. Das Aufbauspiel wirkte griffiger und fokussierter. Der BVB verkaufte sich in manchen Partien sogar unter Wert, denn an der Qualität des eigenen Spiels gemessen hätten die Dortmunder einige Duelle deutlicher oder überhaupt für sich entscheiden müssen.
schwatzgelb.de: Mit dem Niederländer Peter Bosz kommt nun ein Übungsleiter nach Dortmund, der dem Großteil der schwatzgelb.de-Leser unbekannt gewesen sein dürfte. Kannst du erklären, in welchen Punkten die größten Unterschiede in den von Thomas Tuchel und Peter Bosz präferierten taktischen Fußballansätzen liegen?
Eckner: Im Makrotaktischen sind die Unterschiede nicht groß. Peter Bosz ist ebenfalls ein Ballbesitztrainer, der vielleicht manches Mal vertikaler spielen lässt, aber auch das gab es während Thomas Tuchels Karriere schon zu beobachten. Das aktive Vorstoßen der Innenverteidiger zum Beispiel setzen beide Trainer gezielt ein. Das gilt auch für die Nutzung von linienbrechenden Pässen aus der Tiefe und vielen weiteren Elementen. Bosz wollte schon als Trainer von niederländischen Mittelklasseteams Dominanz erzeugen. Darin liegt vielleicht ein kleiner Unterschied in den Biografien beider Trainer. Tuchels Entwicklung zum Ballbesitztrainer wurde erst in Dortmund finalisiert.
schwatzgelb.de: Läuft Peter Bosz mit seinem bevorzugten Spielstil möglicherweise Gefahr, diesen in der Bundesliga nicht so umsetzen zu können, wie es in der Eredivisie der Fall war? Und falls ja: Welche Anpassungen werden auf ihn zukommen?
Eckner: Nein, das sollte durchaus möglich sein. Wie gesagt, die Unterschiede zu Tuchel sind nicht so groß. Und wenn ein Trainer mit der Haltung in die Bundesliga kommt, die anderen Teams auf dem Rasen dominieren zu wollen, dann ist Dortmund neben dem FC Bayern die perfekte Adresse.
schwatzgelb.de: Daran knüpft auch die nächste Frage an: Wo siehst du Risiken und Chancen im Spielstil Bosz‘?
Eckner: In der Alternativlosigkeit seines fußballerischen Ansatzes. Er unterwirft seiner Idee alles, was im besten Fall zu einer perfekt laufenden Maschinerie führt und Spieler produziert, die diese Idee absolut verinnerlicht haben. Funktioniert allerdings sein Fußball einmal nicht, wird es kompliziert…
schwatzgelb.de: Ist die Vorbereitung vielleicht zu kurz, um die neue Taktik zu verinnerlichen? Auch bei Ajax dauerte es ja eine ganze Weile, bis erste Erfolge zu verzeichnen waren.
Eckner: Das hatte bei Ajax mit einem taktischen und zum Teil personellen Umbruch zu tun. Da Bosz kein gänzlich neues System zum BVB mitbringt, sondern eher auf dem Fundament Tuchels aufbaut, sollte sich die eigentlich sehr kurze Vorbereitungszeit nicht zu negativ auf die Frühform der Mannschaft auswirken. Aber: Die fußballerische Integration neuer Spieler – gerade auf Schlüsselpositionen wie der Sechs oder Neun – könnte sich recht schwierig gestalten.
schwatzgelb.de: Bezüglich Ajax: In der KO-Phase der Europa League wechselten sich berauschende Heimspiele mit teilweise haarsträubenden Auswärtsspielen ab. Inwieweit waren diese Ergebnisse in den taktischen Vorgaben begründet? Es war zu lesen, dass Bosz teilweise zu engstirnig an seinem präferierten Fußball festhalten würde.
Eckner: Genau. Auswärts konnte Ajax weniger stark dominieren und fand sich selbst vermehrt in 50:50-Konfrontationen wieder. Dabei wurden die defensiven Schwächen deutlich, die ansonsten eher verborgen blieben. Ich würde das aber nicht als Engstirnigkeit des Trainers auslegen. Bosz kannte die Schwächen seiner Mannschaft und versuchte diese bestmöglich zu kaschieren.
schwatzgelb.de: Sprechen wir noch etwas über das Spielermaterial: Mit Weigl, Sahin, Dahoud und Castro hat der BVB vier gute Optionen für das defensive Mittelfeld, allerdings sind diese in ihren Anlagen ja eher unterschiedlich. Wer glaubst du passt am besten in das neue Spielsystem ins Zentrum?
Eckner: Julian Weigl und Mahmoud Dahoud werden, sofern sie fit sind, die erste Wahl auf der Doppelsechs sein. Sie ergänzen sich sehr gut und Dahoud bringt dieses attackierende Element mit, was Bosz im Mittelfeldzentrum benötigt. Nuri Sahin verfügt ebenso über seine Qualitäten, aber ich bin mir unsicher, ob sein eher Strategen-artiger Spielrhythmus und sein limitierteres Bewegungsspiel nicht manchmal hinderlich sein könnten. Vielleicht widerlegt er diese Aussage aber direkt zu Saisonbeginn.
Eckner: Rein vom Spielertyp her gibt es bestimmt bessere Mittelstürmer für Bosz‘ System. Eigentlich ist für Bosz ein Wandspieler im Zwischenlinienraum wertvoller. Aubameyang jedoch brilliert eher im Spiel mit Blick zum Tor – und natürlich im Torabschluss. Trotzdem würde ihn seine individuelle Klasse zu einem wertvollen Bestandteil des Teams machen. Und die passenden Alternativen scheinen aktuell nicht auf dem Markt. Da nützt es auch nichts, wenn der BVB eine immense Ablöse aus China, Milano oder London überwiesen bekommt.
schwatzgelb.de: Abschließend noch eine Frage: Wer dürfte unter den zuvor besprochenen Gesichtspunkten die besten Chancen haben, in der Startelf zu stehen? Wie würde diese deiner Meinung nach aussehen?
Eckner: Ein typischer Gewinner des Bosz’schen Fußballs könnte Marc Bartra sein. Er ist der offensivste Innenverteidiger des BVB und beherrscht Vorstöße und Angriffspässe wie kaum ein anderer zentraler Abwehrspieler in der Bundesliga. Wie bei Tuchel werden alle technisch versierten Kicker ihre Chancen erhalten. Auf den Außen braucht es zudem simple Durchschlagskraft, die Marco Reus oder auch sein Zwillingsbruder Maximilian Philipp mitbringen. Für das offensive Überraschungsmoment hat der BVB Shinji Kagawa, Christian Pulisic und natürlich Ousmane Dembélé. Als Problemlöser in der Offensive steht hoffentlich bald wieder Mario Götze bereit. Man müsste eher fragen: Wer dürfte während der Saison auf der Strecke bleiben? Im Moment versucht der BVB allerdings eben diese Spieler abzugeben. Es läuft sicher nichts ohne die Mitsprache von Neu-Trainer Bosz.
schwatzgelb.de: Wir bedanken uns für das Gespräch.
Zur Person: Constantin Eckner ist Analyst beim Fußball-Taktik-Blog Spielverlagerung.de und leitender Redakteur der englischen Version Spielverlagerung.com. Außerdem schreibt er als freier Journalist über Taktik, Statistik und Trainingslehre für Sport1, T-Online.de, n-tv.de, ZEIT Online und andere.