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Von Rückpässen und schwachen Füßen: Marcel Schmelzer

23.02.2017, 18:51 Uhr von:  Gastautor
Von Rückpässen und schwachen Füßen: Marcel Schmelzer

Als "überfallartig" lässt sich die Kontersituation, die sich dem BVB im Anschluss an eine Standardsituation von Wolfsburg eröffnet hatte, nicht gerade bezeichnen, aber dennoch mag sich der eine oder andere – auch aus Gewohnheit – von seinem Sitz erhoben haben, ehe Marcel Schmelzer die Situation mit einem Querpass beendete und für ein kleines Raunen auf den drei gefüllten Tribünen sorgte. Und auch diese Szene mag dazu beigetragen haben, das im Livethread des BVB-Forums in der Pause eine kleine Diskussion über den «König des Rückpasses» geführt wurde.

Diese Bezeichnung ist zweifelsfrei übertrieben und wird dem Vorzeigeborussen nicht gerecht, geht aber sicher nicht völlig an der Wahrheit vorbei. Die Gründe dafür sind aber nicht auf die fehlende Risikobereitschaft des BVB-Kapitäns zurückzuführen.

Auf der Website der UEFA wird für jedes Spiel der Champions League ausgewertet, welche Spieler sich am häufigsten den Ball zuspielen und dies ist durchaus aufschlussreich und interessant:

  • Beim Spiel in Madrid landeten von 36 Pässen, die Marcel Schmelzer spielte, deren 19 bei Julian Weigl, den Innenverteidigern oder Torwart Weidenfeller und weitere 9 beim jeweils vor ihm postierten Mittefeldspieler (Schürrle bzw. Mor).
  • Beim «knappen» Sieg bei Legia Warschau waren es von insgesamt 57 angekommenen Pässen immerhin 37, die auf Bartra, Guerreiro, Weigl und Bürki gespielt wurden. Schmelzer erhielt an diesem Abend 48 Pässe, davon kamen deren 16 von Julian Weigl und 12 von Marc Bartra.
  • Zu Hause gegen Real Madrid spielte Schmelzer 66 Pässe zum eigenen Mann. 21 davon spielte er auf Matthias Ginter zurück und 3 Mal suchte er zusätzlich noch Roman Bürki. An diesem Abend hatte der eine Passquote von 97%.

Unabhängig von der konkreten Rolle, die Marcel Schmelzer in einer Vierer- oder Dreierkette des BVB einnimmt, ist diese dadurch charakterisiert, dass «Schmelle» nahe an der Außenlinie steht und den Ball meistens beim Spielaufbau übernimmt und entweder vom linken Innenverteidiger oder Julian Weigl erhält.

Dabei ist sein linker Fuß nicht bloß etwa sein starker, sondern eigentlich sein einzig existierender Fuß, wenn es darum geht, den Ball zu einem Mitspieler zu befördern. Damit stellt er, blickt man etwa nach München auf Arjen Robben oder erinnert sich an Schmelzers Vorgänger, Leonardo Dédé, natürlich keine absolute Ausnahme im Profifußball dar. Diese starke Fokussierung auf einen starken Fuß schränkt Marcel Schmelzer in vielen Konstellationen aber ein, wie in der Folge dargelegt wird.

Situation 1: Der aufbauende Schmelzer

Um sich vor dem Pressing des Gegners zu schützen, schirmt Schmelzer nach einem Pass aus der Innenverteidigung den Ball mit dem Körper ab und wendet diesen damit in Richtung seines eigenen Tors. Rot untermalt sind nun die möglichen Passwinkel, die sich aus dieser Konstellation ergeben, sofern Schmelzer den Ball in dieser Position belässt, was in Anbetracht des hohen gegnerischen Pressings auch vernünftig ist.

Es wird klar, dass ihm nur ein Querpass auf Weigl, ein Rückpass auf den linken Innenverteidiger oder Bürki oder ein eher ambitionierter Pass auf den rechten Innenverteidiger übrig bleibt. Daraus resultiert auch, dass Schmelzer, wie etwa beim Spiel gegen Madrid, sehr häufig entweder Julian Weigl (13 von 66 Pässen) oder eben Ginter (21 Pässe) sucht und findet.

Wie würde sich die Situation hier für einen Rechtsfuß darstellen? Selbst wenn dieser den Ball zum eigenen Tor hin stoppen würde, hätte er verschiedene Pass-Optionen, den Ball gleichzeitig abzuschirmen und weiterzuspielen. Diese sind grafisch in blauer Farbe unterlegt. Würde der beidfüßige Schmelzer leicht nach innen ziehen, bestünde die Möglichkeit, Reus oder Aubameyang anzuspielen. Zusätzlich könnte auch der Achter im Mittelkreis gesucht werden oder es würde sogar die Möglichkeit einer weiteren Verlagerung auf die rechte Seite offenstehen.

Dass Schmelzer aber in der Realität sehr häufig den Rückweg sucht, ist für einen reinen Linksfuß ohne europaweit bekannte Außenriststärke also rein anatomisch bedingt. Während ein Rechtsfuß gleichzeitig den Ball mit dem linken Fuß abschirmen und mit rechts weiterspielen kann, müsste sich der reine Linksfuß Schmelzer drehen, um einen ähnlichen Winkel zu erhalten, was Situation 2 demonstriert:

Situation 2: Der rennende Schmelzer

Wenn Schmelzer den Ball in den Lauf erhält und nicht direkt unter Druck steht, stellt sich die Situation deutlich anders dar. Sein Körper ist nun zum Spiel gedreht und dementsprechend ergeben sich für den Linksfuß Schmelzer unzählige Passmöglichkeiten. Bei einer leichten Drehung zur Seitenlinie kann er der Linie entlang den Außenstürmer suchen und auch sämtliche andere Möglichkeiten stehen ihm in dieser Konstellation offen.

Entscheidend ist jedoch, dass Schmelzer sich rechtzeitig für eine Lösung entscheidet, damit er nicht angegriffen werden kann und er somit den Ball offen führen kann. Sobald er sich abdreht, um den Ball zu schützen, finden wir uns in Situation 3 wieder.

Situation 3: Der zurückgedrängte Schmelzer

Sobald Schmelzer sich bei Situation 2 nicht für eine rasche Lösung entscheidet, wird er unter Druck gesetzt und setzt wiederum seinen Körper ein, um dem Gegner die Balleroberung zu verunmöglichen. Selbiges passiert, wenn der Ball ohnehin aus der eigenen Abwehrkette kommt.

In der Folge steht Schmelzer dann nur noch die rot schraffierte Fläche zur Verfügung, um einen Pass anzubringen. Ein Pass zu einem Offensivspieler ist kaum mehr möglich und dementsprechend endet die Situation in einem Quer- oder Rückpass. Als Rechtsfuß würden ihm deutlich mehr Möglichkeiten offenstehen, wie blau untermalt dargestellt wird.

Situation 4: Der verzweifelte Schmelzer

Wohl jeder BVB-Fan wird sich mit einem Schaudern an das pausenlose Anrennen in Frankfurt oder Köln erinnern, das mit viel Ballbesitz, aber bedenklich wenig Gefahr für den BVB verbunden war. Kennzeichnend für diese Spiele war auch, dass Marcel Schmelzer relativ viel Ballbesitz auf der Höhe des gegnerischen Sechzehnerecks hatte, wobei er den Ball wiederum sehr häufig so erhielt, dass er diesen direkt abschirmen musste und sich dementsprechend sein Passwinkel so darstellte, dass er nur noch zurückspielen konnte.

Zugegeben – das Bild präsentiert sich auch für einen Rechtsfuß nicht massiv besser, doch dieser hat immerhin die Möglichkeit, den Ball mit Schnitt zum Tor hin zu drehen. Man erinnere sich dabei etwa an die Flanke von Felix Passlack beim späten 3:3-Ausgleichstreffer in Ingolstadt.

Situation 5: Der durchgebrochene Schmelzer

Und wo wir gerade tief in der Vorrunde waren: Das von Schmelzer in Madrid vorbereitete Tor darf da natürlich nicht fehlen und versinnbildlicht auch, wie man Schmelzer am besten offensiv einsetzen kann und weshalb er wiederholt versucht, hinter die gegnerische Abwehrreihe zu gelangen.

Was empfiehlt sich deshalb mit Blick auf das BVB-Spiel?

Was Marcel Schmelzer betrifft, sollte dieser nach Möglichkeit immer in den Lauf angespielt werden und dementsprechend erklärt es sich auch, weshalb der Spielaufbau bevorzugt über Weigl läuft, damit dieser dann die «Drehung» für Schmelzer übernehmen kann und diesen bestenfalls so anspielt, dass Schmelzer das Spiel und entsprechende Passmöglichkeiten vor sich findet. Ein Spielaufbau über einen gepressten Schmelzer droht infolge eines Rückpasses da zu enden, wo er begann.

In offensiveren Zonen könnte Schmelzer entweder über einen Doppelpass oder ein Dribbling versuchen, der Linie entlang durchzubrechen und damit einen besseren Winkel zu erlangen und nicht zurückzuspielen. Denkbar ist aber, dass dies zugunsten der allgemeinen Stabilität überhaupt nicht erst angedacht ist. Alternativ könnte sich Schmelzer durch ein engagiertes Freilaufen den nötigen Raum schaffen, wobei dies insbesondere bei enorm tiefstehenden Gegnern sehr schwer ist. Aber vor allem muss Schmelzer, wenn er den Ball vor sich hat, schnell eine Entscheidung finden und sich keinesfalls zurückdrängen lassen. Sobald er den Ball abschirmen muss, ist die Richtung des nächsten Passes vordefiniert.

Mannschaftstaktisch könnte Tuchel insbesondere bei Spielen, in denen der Gegner enorm tief steht, erwägen, gegen Ende des Spielers «inverse» Außenverteidiger einzusetzen, um Flanken aus dem Halbfeld in Richtung Tor zu ziehen, wenn ein spielerischer Durchbruch ohnehin nicht möglich ist.

Dass Marcel Schmelzer jedenfalls ganz gerne mal den Sicherheitspass nach hinten wählt, hat folglich sehr offenkundige Gründe. Zweifelsfrei treffen die hier dargelegten Aspekte in eingeschränkter Form natürlich auf Lukasz Piszczek zu, wobei beim polnischen Nationalspieler der schwächere linke Fuß sicherlich nicht in dem Ausmaß dem starken Fuß hinterherhinkt.

Ähnlich ließe sich auch erklären, warum etwa Arjen Robben als Linksfüßer auf der rechten Seite spielt und mit seinem unbrauchbaren rechten Bein so zumindest den Ball abschirmen kann, während ihm mit dem linken Fuß die Welt offensteht. Es erklärt auch, warum Mats Hummels als halblinker Innenverteidiger den Außenrist auspacken musste, um das Spiel mit dem rechten Fuß eröffnen zu können. Ein weiteres Beispiel ist Nuri Sahin, der als Linksfuß beim Spielaufbau oft die linke Seite sucht, um Seitenverlagerungen zum Tor hin drehen zu können, was ihm von der rechten Seite aus schwerfiele. Beidfüßigkeit ist also kein reiner Luxus, sondern eröffnet einem Spieler deutlich mehr Möglichkeiten in verschiedenen Spielsituationen.

geschrieben von Didi

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