Nichts als Fußball – außer dem Fußball
Wenn sich heute Abend langsam die Tribünen des altehrwürdigen Böllenfaltors füllen, die BVB-Fans im Gästeblock dem angekündigten Gewitter ausgesetzt sind und die Mannschaft den Rasen betritt, der den Namen wohl nicht verdient haben wird, dann wird man den Geist von früher fühlen können. Den Geruch des nassen Rasens, von altem Gebälk und gebrochenem Beton. Den Geruch von Urin auf den Toiletten und Moos auf den Rängen.
Es liegt nicht daran, dass man ohne Dach so außergewöhnlich gut Feuerwerk abbrennen kann, oder daran, dass man vor der Saison davon ausgegangen ist, den „Ground“ mitnehmen zu müssen in der einzigen Saison der Darmstädter in der ersten Liga, weswegen die meisten Auswärtsfans Darmstadt als ihr Lieblingsziel auserkoren haben. Das sind bestenfalls Zugaben. Es ist das ursprüngliche Stadion, die Reise in eine Vergangenheit, die es in der Bundesliga seit dem Abbruch der Stadien am Bruchweg, des Bökelbergs, des Tivolis und noch vielen anderen vergangener Legenden einfach nicht mehr gibt, die eine Auswärtsfahrt nach Darmstadt so verlockend machen. Es ist eine Spur Helmut Rahn, eine Spur Fritz Walter, eine Spur Lothar Emmerich. Frei vom Komfort und Kommerz der modernen Arenen mit Schiebedach und Heizstrahlern. Nichts als Fußball.
Uli Hoeneß hat einmal sehr frustriert und uninformiert einen Stimmungsboykott kritisiert mit einer Bemerkung in die Richtung „Was wollen sie denn jetzt schon wieder? Beheizte Sitzplätze?“. Dass er dies nicht ernst gemeint hatte, ist klar. Ihm dürfte jedoch kaum bewusst gewesen sein, wie weit weg von der Realität seine sarkastische Einlage eigentlich war. Es mag durchaus sein, dass eine Tribüne über dem Kopf auf die Dauer ganz angenehm ist, sicher in einem eher regnerischen Land wie Deutschland und einer Liga, die normalerweise die einzigen drei Monate im Jahr ruht, in denen das Wetter zum Draußen sein einlädt. Dennoch sehnen sich Fußballfans im Allgemeinen eher danach, das ursprüngliche Erlebnis zu konservieren und ich habe keinen einzigen der gut 3.000 BVB-Fans, die sich damals im Dezember 2013 im Ludwigspark zu Saarbrücken den Arsch abgefroren haben, sich beschweren hören, es sei zu kalt, zu nass, zu dreckig oder zu alt gewesen. Im Gegenteil. Noch heute kursieren Geschichten von diesem Spiel, weil es etwas ganz besonderes war. Das alte Stadion! Die Gerüche! Die Anzeigetafel! Und jetzt kommt das Ganze sogar in die Bundesliga. Wenn auch in Form eines anderen Vereins. Es könnte kaum etwas Schöneres geben für einen echten Fußballfan.
Wenn, ja wenn da nicht das große Aber wäre. Es ist nämlich nicht zu erwarten, dass heute groß Fußball gespielt wird. Der Rasen ähnelt einem Acker, auf dem sich ein paar Monate lang wilde Fohlen und Kälber vergnügt haben, was jegliches Kurzpassspiel zum Risiko machen dürfte. Ein Pass über drei Meter kann locker drei Meter in der Breite verspringen oder aus Versehen einmal über das Stadiondach fliegen. Daher sollte man jeglichen Bodenkontakt des Balles und besser auch der eigenen Füße weitestgehend vermeiden. Da jedoch keiner unserer Spieler mit der robbenschen Gabe des natürlichen Fliegens ausgestattet ist, dürfte es eher dazu führen, dass man sich hypervorsichtig in Zeitlupe zu bewegen versucht, um sich nicht die Gelenke zu brechen.
Auch das handballerische den Gegner weichspielen vor dem Sechzehnmeterraum, das zwar reichlich langweilig anmutet, bisher aber zu großen Erfolgen geführt hatte, muss heute wohl per Kopfball aufgezogen werden. Der Acker dürfte also eher dem zu erwartenden Darmstädter Motto „Hoch und weit bringt Sicherheit“ entgegen kommen.
Das ist aber nun mal auch ein Teil des echten Fußballerlebnisses, daher sollten wir uns zurücklehnen und genießen (oder besser: nachvorne lehnen und singen!) und wenn möglich beweisen, dass man für schönen Fußball, gute Stimmung und einen herrlichen Abend im Stadion nicht zwingend einen Rasen braucht.
Heja BVB!
So könnten sie spielen
SV Darmstadt 98: Mathenia – Garics, Sulu, Rajkovic, Caldirola - Niemeyer, Gondorf - Heller, Rausch - Rosenthal - Wagner
Borussia Dortmund: Bürki – Piszczek, Bender, Hummels, Schmelzer – Weigl – Gündogan, Kagawa – Mkhitaryan, Aubameyang, Reus
Schiedsrichter: Gräfe (Berlin)
Zuschauer: 16.000 (ausverkauft)
Nadja, 02.03.2016