Auswärtssieg. Beim Angstgegner.
Tagsüber Regen. Schietwetter so weit das Auge reicht. Eine matschige Anreise. Der HSV am Boden – am Tabellenende. Noch kein Sieg. Erst zwei erzielte Tore. Schlechte Stimmung intern und im Umfeld. Schon kräftig das Trainerkarussell gedreht. Die Vorzeichen stimmten. Die Rahmenbedingungen passten. Für diese Partie konnte es nur einen logischen, der Statistik der letzten Jahre folgenden Sieger geben: Den HSV.
Das Vorprogramm zum Spiel hielt neben dem obligatorischen „Hamburg meine Perle“ vor allem einen Gratulationsmarathon für HSV-Legende Uwe Seeler bereit, der seinen 80. Geburstag feierte. Als Ehrengäste hatten sich unter vielen Pfiffen von den Rängen unter anderem der Hamburger Oberbürgermeister Olaf Scholz und DFB-Präsident Reinhard Grindel am Mittelkreis aufgestellt um Seeler zu beglückwünschen. Derweil bereiteten die Hamburger in ihrer Kurve ein gepfeffertes Spruchband vor, dessen Umsetzung allerdings beim Probeausklappen weit vor Spielbeginn besser funktionierte. „Erste Liga, keiner weiss“ war da lange Zeit zu lesen. Klingt philosophisch. Das „warum“ fehlte. Und keiner wusste warum. Der Teil des Spruchbandes lag wahrscheinlich noch mutterseelenallein im Oberrang. Dazke sag‘ ich da. Lustig auch noch ein Einspieler auf den Anzeigetafeln zu Ehren Seelers, in denen OB Scholz folgendes von sich gab: „Uwe Seeler ist der einzige Hamburger, der richtig Fußball spielen kann.“ Recht hat er.
Sah man dann auch direkt nach wenigen Minuten, in denen die Rothosen von Beginn an völlig verunsichert über das Feld schlichen. Erster Gratulant für Uns Uwe war dann folgerichtig Aubameyang in der vierten Spielminute. Nach einem katastrophalen Abpraller von Adler traf er zur frühen Führung. Pulisic hatte seinen Freiraum auf Außen genutzt und in der Mitte Mor per Flachpass bedient. Seit einer gefühlten Ewigkeit mal wieder eine Führung in der Hansemetropole. Und was wären wir für ein Medium, wenn wir an dieser Stelle jetzt nicht die Suspendierung Aubameyangs erwähnen würden. Also hier: Mensch, ausgerechnet Aubameyang. Und dann rennt er direkt nach dem Tor auch noch zu seinem Trainer und beide flüstern sich fußballerische Zärtlichkeiten ins Ohr. Schön!
Weiter mit der Partie. Auch HSV-Kapitän Djourou wollte dem guten Uwe ein schönes Geschenk bereiten und bediente Mor mustergültig 15 Meter vor dem eigenen Strafraum. Der Neuzugang legte uneigennützig quer auf Aubameyang – 2:0. Zu einfach und doch so schön. Das sichere Polster schon nach knapp 20 gespielten Minuten. Und wieder: Ausgerechnet Aubameyang. Offensichtlich frisch und ausgeruht, hat er über sein internes Vergehen nachgedacht und liefert die Antwort auf dem Platz – Phrasenalarm.
Zum 80. Wird man reich beschenkt. Unglaublich. Hattrick Aubameyang. Keine Abwehr vorhanden, Adler mit einem eher bescheidenen Tag. Das Stadion hatte mittlerweile auch die Zeichen der Zeit erkannt, lautstark erklang – auch von den Haupttribünen – „Außer Uwe könnt ihr alle gehen“. Der fühlte sich bestimmt geschmeichelt und schwelgte in Erinnerungen an gute HSV-Zeiten in einer Zeit vor unserer Zeit. HSV-Coach Gisdol reagiert direkt nach dem Gegentor und nahm Reis runter – Tuchel gefiel das, denn Reis (auch Vollkorn) ist bekanntlich vom Ernährungsplan der Spieler gestrichen.
Ein Highlight dann noch kurz vor der Pause: Adler fängt eine wirklich schlechte Flanke von Piszczek ab und bekommt lautstarken – und natürlich höhnischen – Applaus. Einfach ein lustiger Verein. HSV Plus halt. Mehr Struktur, größerer Erfolg. Ein Modell, das funktioniert.
Rein in die 2. Hälfte
Vom Anpfiff weg der HSV mit Sturm und Drang. Für handgestoppte 97 Sekunden. Dann netzte Aubameyang eiskalt zum vierten. Die ersten Hamburger hatten genug gesehen und wollten nicht mal mehr die Ironie-Schiene fahren. Sie gingen einfach nach Hause. Oder in die nächste Kneipe. Hauptsache was ohne Fußball. In der Zwischenzeit marschierte Abameyang mal wieder in den Strafraum und hatte Tor Nummer fünf auf dem Fuß, verzog aber letztlich leider deutlich. Das Unmögliche für den Mann des Tages, sozusagen die X-Akten des Stürmerstars. Adler fiel ein Stein vom Herzen.
Auf den Tribünen tat sich in dieser Zeit auch wieder mehr. Das aus dem Gästeblock gut vernehmbare „Absteiger“ – ein insgesamt guter, weil lauter Auftritt des Gästeanhangs an diesem Nachmittag – animierte die durchaus selbstironischen Hanseaten im Norden des Volkspark. So wurde kurzerhand eine Laola entfacht, die vom ganzen Stadion getragen wurde. Wie beflügelt konnte Nicolai Müller frei durchstarten und blieb vor Bürki cool. Ausnahmezustand auf den Tribünen. Scooter aus den Lautsprechern. Party. Ekstase. Endlich genauso viele Tore erzielt wie Platzverweise erhalten. Zwei Minuten später kam dann unnötigerweise wirklich nochmal so ein wenig Dampf auf den Kessel, in einer Phase in der die Borussia nicht mehr so richtig wollte und der HSV Schadensbegrenzung für möglich hielt. Der Ball landete im Tor zum vermeintlichen 2:4, doch Schiri Steegemann hatte ein Foulspiel erkannt. Eine Kann-Entscheidung, wie die Wiederholungen später zeigten. Tatsächlich wirkte unser Spiel zwischen der 55. und 75. Minute arg wild. Eine Tatsache, die Tuchel nicht gefallen konnte, wie er nach dem Spiel in der Pressekonferenz auch deutlich machte – nicht nur anhand seiner Körpersprache. Auch die Statistiken zeigten sprachen nicht für einen hohen Auswärtssieg. Eine ausgeglichene Ballbesitzbilanz, ähnliche Zahlen bei den gewonnen Zweikämpfen und eine Torschuss-Statistik pro HSV.
Neue Kräfte sollten mit Dembele und Schürrle ins Spiel kommen. So wirklich passierte aber nichts. Zumindest vorerst nicht. Dann aber hatte wieder einmal Aubameyang einen Geistesblitz. Per Direktablage des Stürmers landete der Ball im Lauf von Joker Dembele, der mit Tempo in den Strafraum zog und cool verwandelte. Adler ausnahmsweise mal ohne Chance. 5:1.
Passlack kam für Sokratis und Müller auf Seiten der Hamburger durfte sich erneut in die Torschützenliste eintragen. Schützenfest. Der HSV verdoppelte mal so eben sein Torkonto der bisherigen Saison. „Einer geht noch, einer geht noch rein“ im Duett von Gästeblock und Heimkurve. Eine unterhaltsame Partie, sicherlich auch für den neutralen Beobachter. Zwei Gegentore gegen die schlechteste Offensive der Liga aber vielleicht auch ein Tick zu viel.
Unter dem Strich steht ein wichtiger Auswärtssieg beim Angstgegner im vielleicht vorerst letzten Gastspiel in der Hansemetropole. Aubameyang zeigt, warum er so unverzichtbar für unsere Angriffsreihe ist und Tuchel kann auch mit viel Rotation auf eine gute Teamleistung blicken. Nach dem sieglosen Oktober fängt der November sehr gut an, auch wenn jetzt schon wieder eine unsinnige Länderspielpause den Rhythmus stört. Drei Punkte mitnehmen. Ausruhen. Lederhosen ausziehen.
Stimmen
Pierre-Emerick Aubameyang: „Ich fühle mich sehr gut, bin richtig glücklich. Es war ein spezieller Tag für mich. Nachdem wir einige Bundesliga-Spiele in Folge nicht gewonnen hatten, war das ein sehr wichtiger Sieg für uns. Das ganze Team hat die richtige Reaktion gezeigt. Ich ganz besonders, denn ich habe vor dem Spiel gegen Lissabon einen Fehler gemacht. Dafür entschuldige ich mich bei der ganzen Mannschaft.“
„Sebastian Rode: „Wir waren eigentlich auf eine sehr aggressive Hamburger Mannschaft eingestellt und haben nicht erwartet, dass sie es uns so einfach machen. Das frühe Tor spielt uns in die Karten. Wir bekommen dann ein bisschen mehr Sicherheit. Die individuellen Fehler der Hamburger begünstigen das dann auch noch. Als wir dann mal 3:0 geführt haben, war eine gewisse Sicherheit im Spiel, dass wir das Ding gewinnen.“
Tim, 06.11.2016