Mit einem wilden Ritt zum Gruppensieg
Wenn man auswärts bei einer der besten Mannschaften der Welt anzutreten hat und ein Unentschieden für den Gruppensieg benötigt wird, dann bestimmt vermutlich ein Gedanke die Taktik für das Spiel: Traue ich meiner Truppe zu, diesen Punkt eher über ein 0:0 oder eher über ein 3:3 zu holen? Thomas Tuchel und sein Team haben sich gestern für die zweite Variante entschieden und das Visier über die komplette Spielzeit offen gehalten. Am Ende stand, mit etwas Glück durch den späten Ausgleich in der Schlussphase, ein verdientes 2:2 auf der Anzeigetafel, und beide Teams hatten wahrlich Chancen genug, um das Spiel tatsächlich wie geplant auch 3:3 ausgehen zu lassen.
Besonders angenehm dabei: Was normalerweise nach einem Spielverlauf mit Herzinfarktgefahr klingt, fühlte sich gestern eher wie das wohlige Gruseln während eines sonntäglichen Tatorts der besseren Sorte an. Man wusste im Hinterkopf: So richtig schlimm würde es gar nicht ausgehen können. Schlimmstenfalls fliegt man als Gruppenzweiter mit erhobenem Kopf wieder nach Hause, weil man weiß, dass man bei Real Madrid (nahezu in Bestbesetzung übrigens) ein gutes Spiel abgeliefert hat. Umso schöner dennoch, dass gerade in einer Phase, als der Titelverteidiger das Spiel weit in unsere Hälfte verlagert hatte und vehement auf das 3:1 drückte (und als man sich beim starken Roman Weidenfeller bedanken konnte), dann doch noch das 2:2 fiel. Und was für ein Tor! Der eingewechselte Emre Mor gewinnt tief in der eigenen Hälfte den Ball und leitet dann mit einem Traumpass über den halben Platz einen Konter aus dem Bilderbuch ein, bei dem Marco Reus nach schöner Vorarbeit durch Pierre-Emerick Aubameyang den Ball am Ende nur noch einschieben muss. Umschaltspiel vom Feinsten und ein schöner Pogo im Gästeblock.
Was dabei normalerweise verrückt klingt, dass nämlich eine Mannschaft in Führung liegend kurz vor Schluss den Ausgleich durch ein Kontertor kassiert, war gestern hingegen völlig normal. Beide Teams standen die meiste Zeit sehr hoch und versuchten durch Ballgewinne in der gegnerischen Hälfte schnell Torchancen zu erspielen. Das ging manchmal gut, beim BVB ironischerweise insbesondere in der Phase zwischen dem 1:0 und dem 2:0 für Madrid, als man zu mehreren hochkarätigen Chancen kam, die zum Teil nur deswegen nicht zu Toren führten, weil der letzte Pass nicht richtig gespielt wurde (besonders unglücklich dabei: Gonzalo Castro), und das ging manchmal richtig in die Hose. Nicht nur aus Sicht von Real Madrid beim 2:2, auch der BVB kassierte den ersten Gegentreffer, weil er extrem offensiv orientiert war.
Gerade über dieses Tor haben wir in der Halbzeit kontrovers diskutiert. Am Ende fällt es nach einem Flachpass von der linken Dortmunder Abwehrseite, den Karim Benzema nur noch über die Linie drücken muss. Dabei hat Daniel Carvajal in der Vorbereitung ungefähr in einem Umkreis von 15 Metern keinen Spieler gegen sich, so dass sich nachdrücklich die Frage stellt, was eigentlich der linke Außenverteidiger in dieser Szene gemacht hat. Die Antwort? Pressing. In der Entstehung des Tores sieht man, wie Marcel Schmelzer bis in die gegnerische Hälfte hinein Druck auf den ballführenden Spieler ausübt. (Und dass André Schürrle ihm weder richtig beim Pressing mithilft noch versucht, den dadurch frei werdenden Raum auf der Abwehrseite zu decken.) Am Ende gewinnt Schmelzer den Ball nicht, der Pass kommt in den freien Raum, und dadurch fällt das Tor.
Ob das Pressing in dieser Situation taktisch gerechtfertigt war, kann nur der Trainer sagen, auffällig war aber das taktische Element: Marcel Schmelzer spielte über weite Strecken des Spiels sehr weit vorgezogen, nicht nur bei Dortmunder Ballbesitz. Und so wie dieses taktische Mittel einen Gegentreffer gekostet hat, so hat es auch zu einem Tor geführt: Das 2:1 fiel nach einem tollen Chip von Julian Weigl in den Strafraum von Real, den der einlaufende Marcel Schmelzer nur noch in die Mitte zu Pierre-Emerick Aubameyang passen musste. Ein Treffer, wie wir ihn in der Hinrunde der letzten Saison zuhauf gesehen haben. Könnte man auch gern wieder öfter haben.
Insgesamt bleibt zu hoffen, dass das Spiel noch einmal Schwung für die verbleibenden Spiele bis zur Winterpause geliefert hat. Für die Laune im Umfeld waren die beiden Partien der vergangenen Woche Balsam auf die Seele, und es hilft sicher, wenn man weiß, dass man auswärts auch bei einer der besten Mannschaften der Welt einen Rückstand aufholen kann. Und wer weiß? Holt man noch sechs Punkte aus den drei Spielen bis Weihnachten, dann fällt die Bilanz der Hinrunde insgesamt sogar positiv aus!