Nach Feuerfehlalarm: Wölfe-Strafraum brennt lichterloh
Die wenigen Anhänger, die es schon mehr als eine Stunde vor Anpfiff ins VW-Hauptquartier gezogen hatte, sahen sich wohl einem feindlichen Angriff ausgesetzt, als plötzlich die Alarmstufe Rot erklang. Die Fans, die noch draußen standen schauten ebenfalls überrascht. Kurz nach dem Heulen der Sirene ertönte dann auch noch die automatische Ansage: „Dies ist ein Räumungsalarm, bitte verlassen sie das Gebäude!“ Also alle raus da. Als ob der VfL schon ahnte, dass das Spiel lieber direkt an den Nagel gehängt wird. Vor dem Stadion tauschten sich die Leute schnell fleißig aus. Die meisten tippten ob des Abgasskandals ohnehin auf Manipulation oder einen technischen Defekt. Und wie zur Bestätigung kam dann auch die Ansage der Polizei. Es konnte also weitergehen, das Spiel sollte wie geplant stattfinden.
Und so befinden wir uns jetzt also schon mal im Stadion und schauen, was die Partie im Vorfeld so zu bieten hat. Zum ersten Mal gibt es ja fast so etwas wie eine kleine gemeinsame (Transfer)Geschichte, wie es die schreibende Zunft wohl nennen würde, um eine einigermaßen gelungene Einleitung in einen Spielbericht zu finden. Immerhin wechselte der personifizierte Ablöse-Nomade, André Schürrle, vor der Spielzeit aus Wolfsburg zum BVB. In Wolfsburg wurde er nie richtig warm und beendete das Kapitel nach knapp 18 Monaten. Auf der anderen Seite ein gänzlich anderes Bild: Unser (ehemaliger weiterhin) Liebling Jakub Kuba, der an diesem Abend sogar die Heimmannschaft als Kapitän auf das Feld führte. Schürrle hingegen blieb angeschlagen in Dortmund und hofft spätestens kommende Woche gegen Real auf sein Comeback.
Tuchel rotierte diesmal wieder fleißig, brachte aber auch einige Stützen des Darmstadt-Schützenfestes. Lediglich Gonzo Castro nahm auf der Bank Platz, sollte später aber wieder seinen Teil zum Sieg beitragen. Vor Anpfiff stieg der VfL mächtig aufs Entertainment-Gaspedal, denn aus der Heimkurve wurde via Stadionmikrofon ein brennender Appell zum 20-jährigen Bundesliga-Jubiläum gehalten, samt Aufruf zum „Fanmarsch“ vor dem nächsten Heimspiel. „Arbeit. Fußball. Wolfsburg.“ Jawollo…
Ein Schmunzeln darauf konnte sich der gut gefüllte Gästeblock sicherlich nicht verkneifen. Zeit, um über dieses groteske Schauspiel nachzudenken, blieb aber nicht, denn nach vier Minuten bejubelte Neuzugang Raphael Guerreiro seinen ersten Bundesligatreffer. Innenverteidiger-Neuzugang Bartra hatte den Treffer mit einem Zuckerpass mustergültig eingeleitet. Die ersten zwanzig Minuten knüpfte der BVB nahtlos an das Darmstadt Spiel an, Wolfsburg hatte kaum Zeit sich zu orientieren, geschweige denn eigene Akzente nach vorne zu setzen. Nur in der 8. Minute musste Bürki eingreifen und parierte stark gegen Wobs Bruno Henrique. Borussia presste klug und ließ den Grünen keinen Raum, folgerichtig fiel dann auch der zweite Treffer. Guerreiro per Hacke auf Aubameyang, der im Tempo nicht zu stoppen war und zum 2:0 schlenzte – 17 Minuten waren da gespielt. Leider hatte Borussia zu diesem Zeitpunkt schon den ersten Wechsel zu vermelden. Bartra mit Problemen im Adduktorenbereich, Ginter ersetzte den bis dato starken Spanier. In der Drangphase hätte Schmelzer den Wölfen endgültig den Zahn ziehen können, scheiterte aber am Keeper. Wolfsburg zu diesem Zeitpunkt noch unter der Dieselnorm von Darmstadt und Warschau.
Apropos Keeper. So ab der 25. Minute begannen dann die mit Abstand stärkste halbe Stunde in Bürkis BVB-Historie. Selten habe ich eine solche Torhüter-Leistung gesehen, so viele klasse Paraden, die allesamt 100-Prozenter entschärften. Ob gegen wuchtige Schüsse von Arnhold und Rodriguez oder im Eins gegen Eins Duell mit Mario Gomez, Bürki schien an diesem Abend unüberwindbar. Wobei man auch sagen muss, dass Wolfsburg sich teilweise – milde ausgedrückt – ungeschickt anstellte. Da war zum Beispiel Mario Gomez, auf den oftmals Verlass ist. Denn er weiß zwar, dass die Haare liegen, aber ob nun der rechte oder der linke Fuß der bessere für einen Abschluss aus zehn Metern ist, erschließt sich ihm nicht. Gut für uns.
Pulisic, der weder brillierte noch abfiel, blieb in der Kabine. Castro nahm seine Position ein. Und Wolfsburg, gepusht durch die leidenschaftlichen Worte des Stadionsprechers kurz vor Wiederanpfiff - „Der Drops ist hier noch nicht gelutscht (LOL). Lasst uns die Festung Volkswagen-Arena verteidigen.“ – hatte sich tatsächlich etwas vorgenommen. Zwei Neue, Seguin und Didavi, machten ordentlich Druck. Endgültig zum Helden der Partie wurde Roman Bürki dann in der 50. Spielminute. Der Ex-Blaue und wiederum Gomez brachten das Leder auch aus kürzester Distanz nicht am neonfarbenen Oranje-Trikot von Bürki vorbei. Der Torlinien-Vibrator von Schiri Siebert blieb stumm. Bürki hielt die weiße Weste – wenn auch nur kurz. Didavi machte es drei Zeigerumdrehungen später besser und erzielte den Anschluss. In dieser Phase wurde der Druck auf unsere Defensive ziemlich hoch, sodass vor allem Ginter ein paar Minuten durch den Strafraum irrte und sich vielen VfL-Flanken und Torschüssen ausgesetzt sah. Wie konnte man diese sichere Partie nur so aus der Hand geben? Fast jedem war klar: Erzielt Wolfsburg jetzt den Ausgleich, kann das gesamte Spiel kippen.
Zum Glück zählt das Konterspiel weiterhin zu unserer Stärken-Palette. Genau in die Druckphase hinein ein perfekter Konter. Wieder Guerreiro, der stark auf Castro durchsteckte, quer auf Dembelé – 3:1. Dembelé stand beim Treffer hauchdünn im Abseits. Ich erzähle es aber keinem, wenn ihr es auch nicht tut. Damit war Wolfsburg der Zahn gezogen und die Offensivmaschine lief erneut warm. Castro perfekt quer durch den Sechszehner auf Aubameyang. Tor. Durch das Ding. Und dann durfte auch noch Piszczek treffen. Nach einer Ecke! Per Kopf! Fußballherz was willst du mehr. Das Ergebnis fiel letztendlich um ein bis zwei Tore zu hoch aus, zeugt dann aber auch von brutaler Effektivität. Wolfsburg war drauf und dran das Spiel zu drehen, lief dann aber in zwei Lehrbuch-Konter. Da ist dann die Motivation schnell hin. Alles in allem ein verdienter schwarzgelber Auswärtssieg, der vor allem Roman Bürki zu verdanken ist. In meinen Augen lieferte er seine stärkste Partie für den BVB. Auch stark: Castro und Guerreiro. 14 verschiedene Torschützen haben wir in dieser Saison bereits, ein besseres Argument gibt es nicht, um die Breite des Kaders zu untermauern. Dabei hatte sich Dieter Hecking vor dem Spiel selbst Mut zugeredet: „Ich glaube, dass wir besser sein können, als Darmstadt und Warschau.“ Waren sie ja auch – ein Tor erzielt, nur fünf bekommen. Mission erfüllt.
Eine fußballromantische Szene dann noch nach Abpfiff. Als sich unsere Mannschaft ihren verdienten Applaus vor dem Gästeblock abholte, der über 90 Minuten eine ordentliche Leistung zeigte und stets gut hörbar war, huschte auch Kuba über das Feld Richtung Kabine. Plötzlich wurde er aber lautstark vom Gästeblock gefordert und ließ sich nicht zweimal bitten. Vorbei an den ehemaligen Mitspielern, ließ er sich völlig zurecht feiern. „Kuba, Kuba, Kuba!“-Sprechchöre. Eine starke Szene mit Symbolcharakter. Denn es ist wohl vor allem an uns Fans, unserer Borussia dieser Tage zu zeigen, wie man mit verdienten Spielern umzugehen hat. Das läuft derzeit leider ja nicht wirklich rund – in diesem Sinne auch einen herzlichen Gruß an Neven Subotic, der kürzlich ja erst via Facebook verlauten ließ, wie sehr er die gemeinsamen unvergesslichen Momente zu schätzen weiß.
Und wir werden immer Borussen sein, es gibt nie nie nie einen anderen Verein!
Bisschen Statistik
Tore: 0:1 Guerreiro (4.), 0:2 Aubameyang (17.), 1:2 Didavi (53.), 1:3 Dembele (58.), 1:4 Aubameyang (62.), 1:5 Piszczek (73.)
Torschüsse: 15:10
Ballbesitz: 50% : 50%
Stimmen
Roman Bürki: „Ich hatte heute die Möglichkeit, mich mehrfach auszuzeichnen. Dass ich ein paar Paraden gezeigt und uns so im Spiel gehalten habe, freut mich natürlich. Wir wussten, was auf uns zukommt, denn Wolfsburg hat offensiv eine enorme Qualität. Natürlich bin ich glücklich über unseren derzeitigen Lauf.“
Marcel Schmelzer: „Auch wenn wir im Moment einen Lauf haben, ist es nicht gut, die heutige Mannschaft mit der aus der letzten Saison zu vergleichen – gerade wenn man eine so herausragende Saison gespielt hat, wie die letzte. Die Spielfreude ist uns zur Zeit einfach anzumerken. Wir freuen uns, alle drei Tage zu spielen.“
Jakub "Kuba" Blaszczykowski: "Nach dem Anschlusstreffer dachten wir, dass wir wieder im Spiel sind. Aber gegen so eine gute Mannschaft wie Dortmund weißt du auch, dass sie ihre Chancen nutzen. Wir haben ihnen dann auch viele Räume gelassen, weil wir den Ausgleich erzielen wollten."
Tim, 21.09.2016