Batman holt die Kohlen aus dem Feuer
„Man vermisst etwas erst so richtig, wenn es schon weg ist.“ So oder so ähnlich ließe sich wahrscheinlich das Gefühl beschreiben, mit dem ein Großteil der Borussen am Samstagnachmittag zur ersten Bundesligapartie der neuen Spielzeit in den Tempel strömten. 15:30 Uhr, Samstag, Sonne und Westfalenstadion - vier Elemente der Glückseligkeit für einen Schwarzgelben.
Der Vorhang zur neuen Saison öffnete sich also für den ersten Akt Mainz 05. „Ausgerechnet“, hieße der Deckmantel, unter dem unter normalen Umständen über dieses Spiel im Vorfeld berichtet werden würde. André Schürrle, Thomas Tuchel - zu offensichtlich sind die Verknüpfungen zu den rheinland-pfälzischen Karnevalisten, die in die nicht allzu ferne Vergangenheit reichen. Doch nach einer überdurchschnittlich ereignisreichen Sommerpause hat sich der Fokus bei den Medien und den Dortmundern selbst grundlegend verschoben. „Intergration“ ist der essentielle Kernaspekt, um den sich momentan beim Trainerteam und Staff um Chef Thomas Tuchel alles dreht. Acht neue und frische Akteure werden die Anhänger im BVB-Dress zu sehen bekommen. Alle gilt es schnellstmöglich in das von Tuchel bereits nach der ersten kompletten Saison spielerisch so gut zusammengewachsene, mit den schwerwiegenden Abgängen aber teils wieder zerrüttete Mannschaftskorsett zu „pressen“. Die Partie gegen die Mainzer, versehen mit dem Etikett „immer unbequem“, sollte Schritt 1 auf dem Weg zur Findung einer neuen Identität und (Achtung, potenzielles neues Lieblingswort für die kommende Saison) „Komplizenschaft“ innerhalb der neu formierten Truppe werden.
Vor dem Anpfiff des ersten Heimspiels und der Pflicht stand noch eine kleine aber feine Kür auf dem Programm. Youngster und Senkrechtstarter Juilan Weigl wurde vom „kicker“-Magazin absolut verdient zum „Newcomer der Saison“ gekrönt. Sven Bender und Matze Ginter wurden für ihre olympischen Verdienste in Brasilien geehrt, Raphael Guerreiro ließ sich von der Südtribüne als aktueller Europameister feiern und begrüßen.
Taktik und Personal
Der BVB mit der komplett gleichen Startelf und vier Neuzugängen wie im Pokalspiel bei Eintracht Trier. Götze, Bender und Ginter sind wie geplant nicht im Kader. Die Mainzer ohne echte Spitze, dafür mit einem offensiven Dreigestirn aus Malli, Onisiwo und Clemens. Neuzugang Lössl feiert im Tor sein Bundesligadebüt.
Erste Hälfte
Fast mit dem Anpfiff sorgte der Mainzer Gästeblock für die erste Ernüchterung: Nicht nur, dass das komplette Stadion in Rauch gehüllt wurde, durch ihre Bengalos wurden auch offenbar andere sich im Block befindende Menschen in Mitleidenschaft gezogen und verletzt. Ein absolutes Unding.
Sportliche Leistungen auf Topniveau abzuliefern war an diesem bullenheißen Nachmittag im Westfalenstadion eine alles andere als einfache Angelegenheit. Bei 40 Grad auf dem satten Grün, sehnten sich mit großer Wahrscheinlichkeit sogar die austrainierten Profisportler schnellstmöglich die Eistonne herbei. Die Partie begann schleppend und nervös, keiner wollte merklich den ersten Fehler machen. Die Mainzer waren logischerweise darauf bedacht möglichst defensiv kompakt zu stehen, verteidigten vor der Abwehrreihe bei gegnerischem Ballbesitz mit einer 5er-Kette im Mittelfeld.
In das erste (negative) Highlight der Partie war dann Neuzugang Dembele verwickelt: Nach einem (nicht letzten) rasanten Antritt über rechts kam Linksverteidiger Brosinski mit Vollgas zu spät und senste den Franzosen um. Der anschließende Freistoß aus dem Halbfeld verpuffte ergebnislos. Das erste Tor der neuen Spielzeit fiel dann jedoch standesgemäß und sogar mit ein wenig Stil: Die #17 traf in der 17. Aubameyang knüpft unweigerlich da an wo er letzte Saison aufgehört hat. Starke Flanke von Schürrle, Auba stiehlt sich am langen Pfosten davon und köpft zum 1:0 ein.
Von den Neuzugängen war bis zu diesem Zeitpunkt Ousmane Dembele der mit Abstand auffälligste: Immer wieder zog er auf seiner Seite den Sprint an und ließ die Gegner im Dribbling wie Slalomstangen stehen. Die ein oder andere falsche Entscheidung im Timing des Abspiels zeigte jedoch wiederholt, dass bei dem erst 19-jährigen noch viel Luft nach oben ist.
Nach knapp 20 Minuten bat Schiri Hartmann die Profis dann zur ersten Trinkpause, denn die Akteure zollten der Hitze deutlich Tribut. Die Phase unmittelbar nach der Unterbrechung nutzten die 05er dafür, die Partie durch einige Torabschlüsse offener und ausgeglichener zu gestalten. Der BVB war merklich bemüht die Lücken im Mainzer Bollwerk aufzuspüren, scheiterte aber zunehmend am finalen gefährlichen Pass in die Spitze. Zum Halbzeitpfiff ließ sich konstatieren: Die schwitzenden Mengen im Tempel bekamen eine für die klimatischen Verhältnisse bemerkenswert intensive und umkämpfte erste Hälfte zu sehen.
Zweite Hälfte
Mit unveränderter Ausrichtung und Mannschaft aus der Kabine gekommen, hatte der überzeugende Schürrle die erste gefährliche Aktion des zweiten Spielabschnitts: In typischer Manier zog der Nationalspieler mit einer guten Bewegung nach innen, und sein Abschluss strich nur knapp oberhalb der Latte vorbei am Tor. Eine kurze kollektive Schrecksekunde gab es dann bei der wohl größten Mainzer Torchance in diesem Spiel, als eine völlig missglückte Abseitsfalle Christian Clemens blank vor Bürki auftauchen ließ, der den Ball aber nicht mal aufs Tor brachte und die beste Möglichkeit zum Ausgleichstreffer fahrlässig liegen ließ.
So souverän und stark antizipierend sich Neuzugang Marc Bartra bei seinem Debüt in der Defensive präsentierte, so deutlich fiel in zentraler Rolle Gonzalo Castro ab. Folgerichtig wurde der unglücklich agierende Routinier für Jule Weigl ausgewechselt, und der „Newcomer des Jahres“ konnte der Partie in der anschließenden Phase deutlich seinen Stempel aufdrücken. Durch sein sicheres Passspiel, gepaart mit seinen zum Inventar gehörenden langen Diagonalbällen zur Spielverlagerung, versuchte der Jungnationalspieler das Tempo und die Kontrolle über das Spiel an sich zu reißen. Bedingt gelang dies auch, und die Borussia konnte an der 70-Minuten-Marke eine Ballbesitzquote von knapp 70 % vorweisen. Einzig und allein das Ergebnis war alles andere als beruhigend und zufriedenstellend. So ließ man den Mainzern noch Luft zum Atmen und die Hoffnung auf einen mehr oder weniger unverdienten Ausgleichstreffer, und mit Einwechslung von Muto unterstrichen die Rot-Weißen dann nochmals ihre finalen Offensivbemühungen. Der beste Mann auf dem Platz, Andre Schürrle, sorgte dann in Minute 88 für so etwas wie Ruhepuls auf den Rängen und bei Coach Tuchel. Der Nationalspieler zog mit Tempo in den Strafraum, wurde von Onisiwo ungestüm zu Fall gebracht und sorgte für den berechtigten Elfmeter, Aubameyang erzielte souverän das 2:0.
Das späte und unnötige Anschlusstor der Mainzer durch Muto, ermöglicht durch schlechtes und passives Zweikampfverhalten und defensive Unkonzentriertheiten, kam letztlich zu spät und die Schwarzgelben brachten den verdienten Sieg über die Zeit.
Bei brütender Hitze kamen auch die Fans auf den Tribünen nur schwer ins Rollen. Anfangs noch stimmgewaltig und mit offensichtlichem Enthusiasmus, zollten auch sie den Temperaturen mit zunehmender Spieldauer Tribut und bauten nach und nach ab. Nichtsdestotrotz: Fans und Mannschaft an diesem heißen Spieltag mit überzeugender Leistung zum Auftaktsieg.
Fazit
Diese Partie kann gepflegt in die Kategorie „eher schwierig“ eingeordnet werden. Besonders die äußeren Bedingungen machten es für die Akteure schwierig, das Spiel geordnet und konzentriert aufzuziehen. Umso beeindruckender war die Intensität und die Physis, die beide Teams auf den Rasen brachten. Der BVB war über das gesamte Spiel die überlegene und spielerisch klarer strukturierte Mannschaft, Mainz lauerte erwartungsgemäß auf Konter und leichte Ballverluste. Spätestens mit dem Elfmeter des BVB war die Partie entschieden, der Anschlusstreffer der Rheinhessen kam zu spät. Ein letztlich äußerst ordentliches Premierenspiel der Schwarzgelben und ein verdienter Sieg gegen einen unangenehmen Gegner.
Statistik
BVB: Bürki - Passlack (77. Piszczek), Bartra, Sokratis, Schmelzer - Rode (89. Guerreiro), Castro (59. Weigl) - Dembele, Kagawa, Schürrle - Aubameyang
Mainz: Lössl - Donati, Bell, Balogun, Brosinski - Gbamin, Frei - Serdar (71. Öztunali) - Onisiwo, Malli (86. De Blasis), Clemens (81.)
Schiedsrichter: Robert Hartmann
Assistenten: Christian Dietz, Eduard Beitinger
Vierter Offizieller: Harm Osmers
Tore: 1:0, Aubameyang (17.), 2:0, Aubameyang (Elfmeter, 89.), 2:1, Muto (90.)
Zuschauer: 81.360 (ausverkauft)
Karten: Brosinski, Serdar, Onisiwo (alle Gelb)
Torschüsse: 17:12
Ecken: 7:2
Ballbesitz: 69 : 31 %
Stimmen zum Spiel
Thomas Tuchel … (zum Spiel): „Heute waren wir eher ein Angriffs- und Passmaschinchen. Eine richtige Maschine war das nicht. Aber das ist nicht als Vorwurf gemeint, sondern eher beschreibend. Wir haben ein Stück weit nervös gewirkt. Es sah ein bisschen zäh aus. Es war ein mühsamer Sieg. Das Ergebnis ist wichtig, vor allem, weil wir nicht die beste Tagesform hatten. Ich freue mich, dass Auba doppelt getroffen hat und wir uns reingebissen haben.“
… zu Felix Passlack: „Er war die Lösung für heute.“
Abseits
Abseits des Platzes gab es vor und während der Partie ebenfalls genügend Gesprächsstoff. Das in Kooperation mit dem bodo e.V. und unserer Redaktion entstandene Sonderheft zum Saisonauftakt, konnte man am Spieltag nun endlich ergattern. Für schwatzgelb.de die vierte Printausgabe und eine Möglichkeit, redaktionelle Texte zu präsentieren, für bodo e.V. auch eine karitative Angelegenheit, ging der komplette Erlös von 2,50 Euro pro Heft vollständig an bodo e.V. und seine Verkäufer. Ob direkt im Stadion, im Internet oder ab September auch im Straßenverkauf: Die mit viel Herzblut und Sorgfalt kreierte Spezialausgabe gab und gibt es bei Bedarf auf den unterschiedlichsten Wegen käuflich zu erwerben. Eine gute Sache für Fans, schwatzgelb.de und vor allem bodo. Ein großes Danke für jedes erstandene Heft!
Weniger positiv gestaltete sich die wetterbedingte Situation im und um das Stadion an diesem Samstag. Im Vorfeld mehrmals seitens des BVB kommuniziert und angekündigt, wurde der Preis für Wasser aufgrund der teils unmenschlichen Temperaturen auf 2,50 Euro gesenkt. Doch durch augenscheinliche Fehlkalkulationen stockte die Wasseversorgung schon kurze Zeit nach Anpfiff. Teilweise unzureichende Vorräte an Trinkwasser sorgten bei den Fans an manchen Stellen für Unmut und Unverständnis. Doch nicht überall schien dies der Fall zu sein, da widersprüchliche Meldungen und Berichte über die tatsächliche Situation kurz nach Abpfiff die Runde machten. Nichtsdestotrotz, eine optimale Vorbereitung auf eine extreme und potentiell gesundheitsgefährdende Situation sieht sicherlich anders aus.
28.08.2016, Boris Davidovski