Ein Meilenstein und immer wieder Berlin
Das ist also so ein Sieg, den man gemeinhin als ungefährdet und völlig souverän bezeichnet. Soll vorkommen und das auch durchaus nicht selten. Vielleicht aber unter anderen Voraussetzungen und mit anderen Rahmenbedingungen. Denn betrachtet man genau diese, wird schnell klar, dass Borussia Dortmund mit diesem 3:0 im Berliner Olympiastadion ein weiterer Meilenstein gelungen ist. Ein Meilenstein in Bezug auf diese Spielzeit, aber auch ein Meilenstein in Bezug auf die generelle Entwicklung des Vereins in den vergangenen acht Jahren.
Zum einen war es ein Halbfinale, das da gespielt wurde. Ein Pokalhalbfinale gegen den Tabellenvierten der Bundesliga. Auswärts. Ein Pokalhalbfinale, das großes Potenzial barg, eine bis vor wenigen Tagen überragende Saison irgendwie doch noch in größerem Stil an die Wand zu fahren. Gegen einen Gegner, der seit Anbeginn der Zeit nach einem Finale im eigenen Wohnzimmer lechzt und allein den Halbfinaleinzug schon als größten Erfolg der vergangenen Jahre bezeichnet hatte. Da spielte der BVB also diese spezielle Begegnung – und tat dies so nüchtern und abgeklärt als wäre es ein leichtes auch zum dritten Mal in Folge ins DFB-Pokalfinale einzuziehen und zum fünften Mal in Folge in ein großes Finale generell. Den damit leider fast schon gleichbedeutenden Nimbus des Zweiten loszuwerden, wird ein anderes Kapitel im Mai. Aber bis dahin ist ja noch ein wenig Zeit.
Im Olympiastadion versuchte die Mannschaft jedenfalls von Beginn an über ihren Liverpool-Schatten, der nach wie vor nicht so einfach abzuschütteln ist, zu springen und tat das in beeindruckender Weise. Zu kaum einem Zeitpunkt der Partie hatte man das Gefühl, die Berliner Hertha könnte tatsächlich zum ersten Mal ein Heimfinale spielen. Und das obwohl – wie schon erwähnt – die Rahmenbedingungen dieses Aufeinandertreffens allerlei Druckpotenzial mit sich brachten.
Marco Reus dient vielleicht am besten als Beispiel der Dortmunder Kaltschnäuzigkeit dieser unterkühlten Pokalnacht. Denn dem Flügelspieler wird ja gern mal – und sicherlich nicht zu Unrecht – das Untertauchen in großen Spielen nachgesagt. Nun wird der eine oder andere „große Spiele“ anders definieren. Für mich war das gestern ein großes Spiel – siehe Aufzählungen oben. Marco Reus spielte dabei auch bei weitem nicht das Spiel seines Lebens, aber er zeigte endlich mal wieder Qualitäten, die in letzter Zeit leider zu selten zum Tragen gekommen waren: Abgezockt vor dem 2:0 mit überragenden Laufweg und blindem Verständnis mit Shinji. Zweikampfintentive Spielweise in den entscheidenden Phasen der Partie und letztlich das wohldosierte Aufblitzen der individuellen Fähigkeiten zur Entlastung der eigenen Offensive. Ähnliches kann man auch über zwei, drei andere Spieler in der Startelf sagen, denen in letzten Wochen vielleicht ein paar Prozentpunkte abhandengekommen waren – Motivation und Konzentration als Stichworte. Zum Schluss waren sich aber alle einig: Viel verdienter kann eine Mannschaft nicht in ein Pokalfinale einziehen. Unter den tatsächlich eher schwierigeren Vorzeichen eine beachtliche Leistung und unterm Strich dennoch nur die Erfüllung der Pflicht. Vielleicht ja aber trotzdem ein bisschen mehr als das.
Hertha BSC jedenfalls hatte vor dem Duell richtig Bock auf Finale. Die Ostkurve, die kurz vor Anpfiff eine sehr gelungene Choreo präsentierte, zeigte sich enorm motiviert und erzeugte in Teilen des Spiels eine noch nicht gekannte Lautstärke im Akkustikloch Olympiastadion. Die, die sonst auch schon da waren, ließen sich durch ungewohntes Halbfinal-Flair extrem pushen. Die anderen im weiten Rund – der undurchsichtigen Doppel-Vorverkaufsphase für Mitglieder geschuldet – hatten schon Probleme, die Namen der eigenen Spieler beim Verkünden der Mannschaftsaufstellung korrekt von der Anzeigetafel abzulesen. Oder auch die für die Choreo vorgesehenen kleinen Fähnchen nicht schon viel zu früh in die Höhe zu halten. Im Gegensatz zum Liga-Vergleich im Februar waren so deutlich weniger gelbe Flecken im Stadion zu beobachten. Hier und da hatten sich vereinzelte Borussen außerhalb des Gästeblocks unter die Berliner gemischt.
Insgesamt werden es diesmal aber nicht mehr als 9.000 Borussen gewesen sein, die den Finaleinzug des BVB verfolgen konnten. Der Auftritt des Gästeblocks im Zusammenspiel mit der Zusatztribüne am Marathontor konnte sich sehen lassen. Auch wenn Ergebnis und Spielverlauf schon recht früh die letzte Spannung rausnahmen, war die gelbe Seite des Stadions über die gesamte Spieldauer gut vernehmbar. Vor allem natürlich nachdem Gonzalo Castro nach gut zwanzig Minuten mal wieder seinen feinen rechten Fuß eingebracht hatte und per In-den-Knick-Schlenzer zur verdienten Führung getroffen hatte. Zu diesem Zeitpunkt bewegte sich der BVB schon jenseits der 70 % Ballbesitz-Marke und drückte die Berliner Hertha tief in die eigene Hälfte. So gut der Auftritt der Ostkurve an diesem Abend war, so schlecht waren die BSC Spieler auf dem Platz. Ängstlich, ungenau und ohne den richtigen Biss hatten sie sich gefühlt schon im ersten Durchgang ihrem Schicksal ergeben und standen dem Dortmunder Finaleinzug Spalier. Ab und an wagten sich die Berliner zwar vor das Tor von Bürki, richtig gefährlich wurde es aber nur sehr selten. Und wenn, dann gaben die Hauptstädter die wenigen Torchancen kläglich ab – so wie Hegeler mit seinem Rückpass aus sieben Metern kurz vor der Pause.
Der BVB erledigte den Job auch im zweiten Durchgang äußerst cool, ließ den Ball geschickt in den eigenen Reihen zirkulieren und konnte sich vollends auf seine starke Defensive mit einem überragenden Mats Hummels verlassen. Und vorne war dann ja noch ein Reus, der mit dem 2:0 alles klar machte und später auch noch mustergültig für Mkhitaryan auflegte. Als dann ein sehr lautes „Finale oho“ aus dem Gästeblock drang, hatten sich die meisten Herthaner eh schon längst mit der Niederlage arrangiert und feierten ihrerseits die eigene Mannschaft.
Locker und leicht sah es aus, aber da steckte enorm viel Arbeit dahinter und nach wie vor ein großes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. So ist jetzt zumindest ein Teil des Erwarteten eingetreten. Das Olympiastadion bleibt dann die Kulisse für die Kür am 21. Mai.
Als die Mannschaft zusammen mit dem Gästeblock feierte, wurde die Marschroute schon direkt preisgegeben: Zieht den Bayern die Lederhosen aus!
Stimmen zum Spiel
Thomas Tuchel: „Wir sind sehr glücklich über das Ergebnis und die Art und Weise, wie wir heute gespielt haben. Ein dickes Kompliment an die Mannschaft für ihre Leistung und für ihre Energie. Wir haben uns gestrafft. Das war aber auch absolut notwendig in unserer Verteidigungshaltung, das war absolut nötig in den defensiven Abläufen und den Zweikämpfen. Da haben wir an unser höchstes Niveau herangereicht: jeder Einzelne und als Team. Das war der Schlüssel für eine sehr dominante Leistung.“
Gonzalo Castro: „Es war ein komisches Spiel. Wir dachten Hertha BSC würde aggressiver auftreten. Das war nicht so. Trotzdem ist Berlin zum Beispiel durch Kalou oder Ibisevic immer für ein Tor gut, deshalb war es nicht einfach. Im Endeffekt machen wir die Tore zum richtigen Zeitpunkt und waren über fast die komplette Spielzeit die dominante Mannschaft. Wir haben sicherlich verdient gewonnen.“
Mats Hummels: „Es ist alles so gelaufen, wie wir uns das vorgestellt und vorgenommen hatten. Wir haben ein sehr gutes Spiel abgeliefert und hochverdient gewonnen. Berlin hatte glaube ich drei gefährliche Aktionen, aber ansonsten waren wir in allen Belangen voll da, auch körperlich. Wir sind hochverdient ins Finale eingezogen, das war das große Ziel. Jetzt haben wir noch die Chance auf einen Titel.“
Tore:
0:1 Gonzalo Castro (21. Minute)
0:2 Marco Reus (75. Minute)
0:3 Henrik Mkhitaryan (83. Minute)
Tim, 21.03+1.2016