Borussia Dortmund - FC Liverpool - You’ll Never Draw Alone …
In der jüngeren Vergangenheit gab es wohl selten eine Begegnung mit Beteiligung der Schwatz-Gelben, bei dem das Ungleichgewicht für die Aufmerksamkeit zwischen sportlicher Bedeutung und medial-kreiertem Störfaktoren größer war als bei diesem Duell. Ein teils leicht übertriebener Hype ist um das Viertelfinal-Hinspiel in der UEFA Europa League zwischen den „Reds“ aus Liverpool und dem BVB entstanden, und das, seitdem Ex-Borusse Alex Frei (wer sonst?) bei der Auslosung mit dem Ziehen der Loskugel mit dem Inhalt „Sevilla FC“ auch die letzten Zweifel an einer „märchenhaften“ Rückkehr des Ex-Trainers nach Dortmund beseitigte. Eben jener Jürgen Klopp, mit dem die Borussia so großartige Erfolge feiern konnte und der bei den Dortmundern selbst noch absoluten Heldenstatus besitzt. Doch bei all den Nostalgie-Anfällen und ohne mediale Brille mit Gläsern der Firma Gebrüder Grimm ließ sich schlicht und einfach festhalten: Es war „nur“ ein außerordentlich wichtiges Europapokalspiel gegen einen hochklassigen Gegner. Außer ein paar innigen Umarmungen am Mittelkreis vor Anpfiff zwischen Watzke und Kloppo gab es dann auch keine weiteren Nettigkeiten zu beobachten. Denn wie mit jeder Ex sollte auch an diesem Abend das Motto im Tempel lauten: Ein bisschen Small Talk ist angebracht, doch Geschenke gibt es mitnichten.
Taktik & Personal
Wie schon auf der PK vor dem Spiel angeklungen, verzichtete Trainer Thomas Tuchel am Ende komplett auf den noch nicht ganz fitten Spielmacher Ilkay Gündogan. In der Innenverteidigung ersetzte „Manni“ Sokratis, Hummels, Schmelzer und Piszczek komplettierten die Abwehrreihe. Jule Weigl agierte überwiegend als einziger echter Defensiver vor der Abwehr, Castro übernahm den offensiveren Part der „6“. Die Offensivabteilung setzte sich aus Durm, Mkhitaryan, Reus und Auba(me) zusammen.
Beim Team von Jürgen Klopp saß der angeschlagene Brasilianer Firmino vorerst auf der Bank. Die Offensivpower konnte sich mit Coutinho, Milner, Lallana und Origi nichtsdestotrotz durchaus sehen lassen. Kapitän Henderson und Nationalspieler Emre Can waren für die defensive Stabilität im Mittelfeld zuständig, Lovren, Sakho, Clyne und Moreno sollten die Dortmunder Offensivmaschine zum Erliegen bringen. Belgiens Nationalkeeper Mignolet hütete den Kasten.
Erste Hälfte
Was man sich von der Mannschaft nur erhoffen konnte, riss allen voran die Süd schon vor der ersten Spielminute ab. Ob durch die Umstände, das zuvor eindrucksvoll zusammen mit den Liverpoolern geschmetterte „You’ll Never Walk Alone“ oder einfach Eigendynamik, die komplette Tribüne wollte scheinbar schon frühzeitig dafür sorgen, dass das restliche Stadion Bescheid wusste, in welche Richtung es an diesem Abend stimmungstechnisch gehen sollte. Doch zum Spiel.
Es ist nicht völlig aus der Luft gegriffen wenn man annimmt, dass bei einer der Analysen von Thomas Tuchel im Vorfeld der Spielvorbereitung der Name von Simon Mignolet zumindest mal angeschnitten wurde. In der 5. Minute bewies der Ersatzkeeper der belgischen Nationalmannschaft dann auch, wieso der Schlussmann nicht zu den unumstrittensten Akteuren der englischen Premier League gehört. Auba spekulierte und rutschte in den Passweg, und entweder Mignolets persönliche Fortuna oder aber die pure flämische Coolness bewahrte die Liverpooler vor einem frühen Rückstand.
Beide Teams hielten offensichtlich nicht viel von einem langen Abtasten, so dass das Tempo der Partie von Anfang an hoch war. Hohes Pressing und frühes Anlaufen bestimmten das Bild in der Anfangsphase. Emre Can setzte mit einem ersten taktischen Foul direkt mal ein Ausrufezeichen und holte sich früh die erste gelbe Karte des Spiels ab.
Die erste Chance für Schwarzgelb lag auf Reus’ Fuß, nach 15 Minuten verzog der Dortmunder jedoch deutlich. Erster richtiger Aufreger dann in Minute 18: Weigl spielte einen traumhaften Diagonalball auf Schmelzer, der Schuss aus dem Rückraum von Mkhitaryan konnte in größter Not noch von Sakho geblockt werden. Kurze Zeit später dann die erste Torannäherung der Engländer, als Lovren den Ball per Kopf auf das Tor von Weidenfeller brachte und anschließend das Gesicht des Schlussmanns bei einem krachenden Zusammenstoß auf seine Festigkeit prüfte. Die Behandlungspause für Roman überbrückte der Liverpooler Fanblock mit spontanen und deutlich hörbaren „Jürgen Klopp“-Sprechchören.
Geprägt wurde das Spiel in dieser Phase jedoch vor allem durch fehlenden Spielfluss und teils schlampig ausgespielte Kontermöglichkeiten seitens der Borussen. Der erste brillant vorgetragene Angriff der Reds erwischte den BVB dann eiskalt: In Minute 36 verlängerte Milner per Kopf perfekt in den Lauf von Origi, der ließ Piszczek links liegen und schob überlegt ins linke Eck zur Führung ein. Die bitterkalte Dusche für den Gastgeber hinterließ bleibenden Eindruck, denn dem BVB fehlte in der unmittelbaren Phase nach dem Gegentor, anders als den Anhängern der Liverpooler, die zündende Idee im Spielaufbau und Ballvortrag. Glücklicherweise verfügt der Tempel über ein ausgesprochen feinfühliges Publikum, das im Anschluss versuchte, die Mannschaft mit einem guten Gefühl in die Pause zu tragen. Leider gelang das nur mit mäßigem Erfolg, denn kurz vor dem Halbzeitpfiff hatte Origi die riesige Chance auf das 0:2, doch Roman blieb mit all seiner Erfahrung lange stehen und „parierte“ den Heber mit dem Kopf. Schiri Carballo, die zu diesem Zeitpunkt aufgrund einiger zumindest fragwürdiger Regelauslegungen beliebteste Person im Stadion, beendete kurz darauf die erste Hälfte und schickte die Mannschaften zum (teils englischen) Pausentee.
Zweite Hälfte
Nuri Sahin war die einzige frische Kraft auf Seiten der Borussia, die zu Beginn der zweiten Hälfte auf dem Platz erschien. Für ihn musste der leider erschreckend schwache Erik Durm weichen. Nach einer scheinbar deutlichen Ansage kam der BVB mit Vollgas aus der Kabine. Kapitän Mats Hummels ging dann auch mit Entschlossenheit in den Flankenball, der nach einer kurz ausgespielten Ecke in den Strafraum segelte und den Ausgleich markierte. Schwarzgelb schien sich schnell rehabilitiert zu haben. Doch das genaue Gegenteil war der Fall. Das Tor gab dem Gastgeber keinerlei Sicherheit ins eigene Spiel, und in Minute 51 war es einzig und allein zum wiederholten Male Roman zwischen den Pfosten zu verdanken, dass die Mannen von Klopp nicht erneut in Führung gehen konnten. Gleich drei Mal parierte der Schlussmann stark und der BVB wackelte.
Mit der Einwechslung von Sahin bekam das Spiel zwar mehr Struktur, größtenteils ließ sich der BVB aber vom einem Gegner einlullen, der sich deutlich erkennbar zufrieden mit dem Resultat zeigte und die Schwarzgelben zu einem zerfahrenen und ungenauen Spielaufbau zwang. So war der harmlose Freistoß von Reus (59.) für lange Zeit noch die „gefährlichste“ Torannäherung. Viel Ballbesitz, guter Ballvortrag in die gegnerische Hälfte, schlechter letzter Pass: So ließe sich im großen und ganzen die zweite Halbzeit aus Sicht der Heimmannschaft zusammenfassen. Liverpool wollte und musste nicht, Dortmund konnte an diesem Abend wohl nicht. Castros Chance in der 81. Minute zwang Mignolet zwar nochmals zu einer Faustabwehr, am Spielausgang änderte sich aber nichts mehr und die Partie plätscherte flach über die Ziellinie.
Fazit
Ein nach 90 Minuten durchaus gerechtes Unentschieden, mit dem Liverpool aufgrund des Auswärtstreffers sicherlich besser leben kann. Der BVB war vor allem im ersten Durchgang die bessere Mannschaft mit den größeren Torchancen, konnte den allerletzten Pass jedoch nicht an den Mann bringen und agierte im Abschluss zu ungenau. Liverpool hingegen setzte wenige, dafür präzise Nadelstiche und ließ die Defensive der Borussia ein ums andere Mal nicht gut aussehen. Vor allem Roman Weidenfeller war es in Durchgang zwei größtenteils zu verdanken, dass die Aufgabe im Rückspiel nicht noch schwieriger wird, als sie ohnehin schon zu sein scheint. Mit mehreren Rettungstaten bewahrte der Schlussmann die Dortmunder nach dem eigenen Ausgleich vor einem erneuten Rückstand. Divock Origi jedoch, an diesem Abend bester Mann auf Seiten der Reds, sorgte mit seinem überaus wichtigen Treffer für eine mehr als gute Ausgangsposition der Engländer für das Rückspiel an der Anfield Road nächsten Donnerstag.
Statistik
BVB: Weidenfeller - Piszczek, Bender (76. Sokratis), Hummels, Schmelzer - Weigl - Durm (46. Sahin), Castro, Mkhitaryan, Reus - Aubameyang (76. Aubameyang)
Liverpool: Mignolet - Clyne, Lovren, Sakho, Moreno - Henderson (46. Allen), Can - Milner, Lallana (77. Firmino), Coutinho - Origi (84. Sturridge)
Schiedsrichter: Carlos Velasco Carballo (Spanien)
Assistenten: Roberto Alonso, Juan Yuste (Spanien)
Torrichter: Jesus Gil Manzano, Carlos Del Cerro (Spanien)
Vierter Offizieller: Raul Cabanero (Spanien)
Tore: 0:1 Origi (36.), 1:1 Hummels (48.)
Zuschauer: 65.848 (ausverkauft)
Karten: Weidenfeller, Reus, Sokratis - Can, Lallana
Torschüsse: 7:5
Ecken: 5:1
Ballbesitz: 58:41 (%)
Stimmen zum Spiel
Thomas Tuchel: „Das Ergebnis ist okay. Wir können es aber viel besser. Wir hatten nicht die Form, das Vertrauen, die Präzision und das Durchsetzungsvermögen. Beim ersten Angriff hatten wir eine herausragende Torchance in der ersten Halbzeit. Sie hat aber nicht dazu beigetragen, sicherer zu werden. Vielleicht haben wir zu viele Infos reingegeben. Vielleicht war die Anspannung zu hoch. Es ging uns nicht so leicht von der Hand, wie es nötig ist in so einem Spiel. Wir müssen akzeptieren, dass wir nicht die Form hatten, die nötig gewesen wäre. Es ist auch mal okay. Die Ausgangslage ist nach wie vor offen.“
Jürgen Klopp …(zum Spiel) : „Im Großen und Ganzen bin ich sehr zufrieden. Wir haben es relativ gut gemacht. Wir haben geduldig im Mittelfeld verteidigt, waren gut organisiert. Wir hatten ein paar richtig gute Momente, in denen wir gezeigt haben, was wir können. Bei einem Team wie dem BVB kannst Du nicht jeden Pass verteidigen. Roman Weidenfeller hat in der zweiten Halbzeit sensationell gehalten. Wir haben nach dem 1:1 nicht das Gefühl, bereits durch zu sein. Jetzt ist richtig Pfeffer drin. Jetzt brennt die Anfield.“
… zur Rückkehr nach Dortmund: „Es war schön zurückzukommen, den leisen Applaus habe ich mal für mich gewertet."
08.04.2016, Boris Davidovski