Wenn Fans Fankultur zerstören
Was ein schöner Fußballtag hätte werden können, war am Ende nur noch ein Trauerspiel: Zum wiederholten Male verkam die Südtribüne gegen Stuttgart zu einer Bühne für die Inszenierung von Kleingruppen, und diesmal war danach die Stimmung völlig im Keller. Abhilfe ist jedenfalls nicht in Sicht.
Spiele des BVB gegen den VfB Stuttgart waren in den letzten Jahren eigentlich immer Leckerbissen: Viele Tore, beide Teams mit offenem Visier, dazu als Gast eine Fanszene, die trotz weiter Anreise selbst unter der Woche oder sonntags die stolzen 8000 Gästekarten komplett abnimmt. Und das Spiel am Sonntag hielt, was es versprach: Selbst bei nasskaltem Novemberwetter war, gerade im Vergleich zu den letzten Partien gegen Darmstadt, Augsburg und dezimierte Gelsenkirchener, endlich mal wieder sowas wie heiße Bundesligaatmosphäre im Westfalenstadion zu spüren.
Sie währte ziemlich genau bis zur Halbzeit. Dann folgte zum wiederholten Mal in dieser Saison ein unwürdiger Auftritt von etwa 30 bis 50 Leutchen, denen der Fußball offenbar nur insofern wichtig ist, als er eine hervorragende Bühne für die Inszenierung der eigenen Gruppe bietet. Diesmal wurden keine obskuren Nachrichten per Transparent übermittelt oder konkrete Drohungen gegen verdiente Borussen ausgesprochen, sondern auf dem Zaun vor der Südtribüne gestohlenes bzw. geraubtes Material der Stuttgarter Ultragruppe "Commando Cannstatt" präsentiert, die daraufhin in der zweiten Halbzeit die akustische Unterstützung der eigenen Mannschaft einstellte. Ein Trauerspiel: Fans machen die Fankultur kaputt.
Erfreulich war auf Dortmunder Seite allein die Reaktion weiter Teile der Südtribüne. Anstatt wie so oft solche verniedlichend gern als Spielchen titulierte Aktionen teilnahmslos hinzunehmen, war am Sonntag sowohl optisch als auch akustisch deutlicher Unmut zu vernehmen. Bereits als die Gestalten in Schwarz Anstalten machten, auf die Zäune zu klettern, konnte man deutliche Pfiffe hören, und die eine oder andere Bierdusche gab es auch. Zudem versuchten einige Fans aktiv, die Leute an der Präsentation des Diebesguts zu hindern. Augenzeugenberichte lassen vermuten, dass dieser mutige Schritt mit dem einen oder anderen blauen Auge bezahlt wurde. Dass es überhaupt Fans sein mussten, die sich dagegen wehrten, dass die Tribüne als Bühne für solche Aktionen missbraucht wird, war der nicht vorhandenen Reaktion des Dortmunder Ordnungsdienstes geschuldet, der sich die Show lieber gemeinsam in sicherer Entfernung ansehen wollte, anstatt aktiv die Präsentation des Stuttgarter Materials zu verhindern. Etwas polemisch gefragt: Wofür braucht man gerade in Zeiten erhöhter Terrorgefahr einen Ordnungsdienst, der sich noch nicht einmal traut, drei Dutzend "eigene Leute" an solchen Aktionen zu hindern? Dass auch die vermutlich am eigentlichen Raubzug nicht beteiligten Leute von TU nichts Besseres zu tun hatten, als die Show mit einem schallenden "Stuttgarter Arschlöcher!" zu begleiten, war leider wenig überraschend und belegt erneut die wachsende Entfremdung zwischen den Leuten mit dem Mikrofon und dem Rest der Tribüne. Vom gemeinsamen Support mit Fokus auf Verein und Spiel ist nur noch wenig zu spüren, die schleichende Verschlechterung der Stimmung im Stadion ist für jeden greifbar.
Aber die Kritik kann und darf nicht nur Gruppen wie TU gelten. Gerade vor dem Hintergrund intensivierter Eingangskontrollen muss sich vor allem Borussia Dortmund schleunigst überlegen, wie der Verein und der Ordnungsdienst solche Aktionen in Zukunft wirksam verhindern können. Dem Großteil der Fans im Stadion ist nicht mehr vermittelbar, weshalb man sich selbst minutenlang betasten lassen muss, während einzelne Gruppen eine derartige Narrenfreiheit besitzen, dass sie nahezu unkontrolliert ins Stadion gelangen und ungestraft die gesamte Tribüne für die eigene Inszenierung nutzen dürfen. Und das mittlerweile im Wochentakt.
Kurzfristig wird sich daran wohl auch nichts ändern: Auf Rückfrage betonte man bei Borussia, dass das Betreten des Blocks durch den Ordnungsdienst in solchen Situationen nur das letzte Mittel der Wahl sei und ansonsten auf die spätere Identifikation durch Videomaterial gesetzt würde. Dies ist ein schwacher Trost für all jene, die auch in Zukunft bloß das tun wollen, was Fans halt so machen: Fußball gucken und die Mannschaft zum Sieg schreien. Bleibt wenigstens die Hoffnung, dass der Verein all jenen den Rücken freihält, die am Sonntag auf die Fresse gekriegt haben: Eine Anzeige zu stellen wird seitens des BVB angeraten.