Von 0 auf 100 im Schleudergang - Der Aufstieg des Julian Weigl!
Julian Weigl ist ein Perspektivspieler für das zentrale Mittelfeld, dem wir großes Entwicklungspotenzial zutrauen". Dies war der Wortlaut von Sportdirektor Michael Zorc in der am 08. Juni vom BVB veröffentlichten Pressemitteilung zur Verpflichtung des U-20 Nationalspielers von 1860 München.
"Wer?" - diese Frage stellten sich als erste Reaktion sicherlich nicht nur einige BVB - Anhänger. Der 1,87 Meter große, vom blauen Nachbarn des FCB aus München stammende 19-Jährige kann allerdings für sein noch sehr junges Alter einige prägende Erfahrungen sein Eigen nennen. Sowohl positiver als auch negativer Art.
"Jugendsünden" beim TSV 1860 München
Als U19- Kapitän des TSV 1860 München unterschrieb Weigl im März 2013 einen langfristigen Vertrag und spielte seit Juli selben Jahres für die zweite Mannschaft. Durch konstant gute Leistungen empfahl er sich für die Profis, und debütierte schlussendlich für selbige am 21. Spieltag der Saison 13/14 bei einer Auswärtsniederlage gegen den FC Ingolstadt. Der steile Aufstieg des damals erst 18-jährigen ging weiter, als er Ende Februar 2014 einen langfristigen Profivertrag bis 2017 unterschrieb. Der vorläufige Höhepunkt in Weigls Karriere sollte jedoch noch folgen. Zu Beginn der letzten Saison wurde er dann vom damaligen Trainer Ricardo Moniz sogar zum Kapitän, und damit im Alter von 18 Jahren zum jüngsten der Vereinshistorie ernannt.
Ganze zwei Spieltage verweilte das Hochgefühl beim neuen Juniorkapitän, bis es zu einem Vorfall kam den man getrost unter der Kategorie "Jugendsünde" abstempeln, verpacken und verschwinden lassen darf. Ein paar Bierchen zu viel mit drei Teamkollegen, damit einhergehend ein paar abfällige Bemerkungen dem Arbeitgeber gegenüber und ein redseliger, pflichtbewusster Taxifahrer der nichts auf seine geliebten Münchner Löwen kommen lässt - und fertig war die verhängnisvolle Kombination aus jugendlichem Leichtsinn und unglücklichen Umständen. Den freien Tag darauf nutzten Weigl und Kollegen für Reuebekundungen jeglicher Art. Der U-Nationalspieler ließ folgendes über seine Facebookseite verlauten:
"Ich möchte mich hiermit bei Euch für meinen Fehler entschuldigen. Ich wollte Euch niemals vergraulen oder irgendwem etwas Böses. Ich habe meinem Verein so viel zu verdanken und würde ihm nie schaden wollen. Ich weiß, dass es nicht richtig war und so etwas wird definitiv nicht mehr vorkommen."
Der Verein und die betroffenen Spieler gaben zum besagten Zeitpunkt ein überwiegend einheitliches Bild ab: wenig Leistung und unprofessionelles Verhalten. So die einhelligen Reaktionen der 1860 - Fans.
Vom "Perspektivspieler" zur Startelf
Ein knappes Jahr später könnte die Situation für Julian Weigl wohl kaum unterschiedlicher sein. Die Verantwortlichen bei Borussia Dortmund scheint dieser Fleck auf der ansonsten weißen Weste des blutjungen Nationalspielers nicht verschreckt zu haben, denn zu Beginn der neuen Saison verpflichtete der BVB den absoluten Wunschspieler des neuen Trainers Thomas Tuchel. Als "Perspektivspieler für das zentrale Mittelfeld" geholt, sollte Weigl langsam an das doch deutlich intensivere und höhere Erstliganiveau herangeführt werden, notfalls sogar über die zweite Mannschaft in der Regionalliga. Hinzu kam noch die Tatsache, dass das defensive Mittelfeld nominell mit Sven Bender, Nuri Sahin, Ilkay Gündogan, Moritz Leitner, Olli Kirch und dem ebenfalls neu verpflichteten Gonzalo Castro nicht gerade alternativlos besetzt war. Nichtsdestotrotz war Thomas Tuchel vor der Abreise ins alljährliche Sommertrainingslager nach Bad Ragaz nicht müde zu betonen, dass mit seiner Ankunft "alles und jeder bei Null anfängt".
Genau diese Tatsache sollte sich für Weigl als absoluter Glücksfall erweisen. Er überzeugte den neuen Übungsleiter dermaßen im Training, dass dieser in den Testspielen gegen Luzern und Juventus Turin den Youngster in der Startelf aufbot und dieser auch dort vollends zu überzeugen wusste. Daraufhin folgten ebenfalls mehr als zufrieden stellende Auftritte in vier der ersten fünf Pflichtspiele der Saison gegen Wolfsberg in der Europa League Quali und in der Bundesliga gegen Mönchengladbach und Ingolstadt. Selbstverständlich ist Weigls Spiel keinesfalls frei von Fehlern, besonders in Drucksituationen bei eigenem Ballbesitz landet der Ball noch zu häufig beim Gegenspieler. Aufgrund seines Alters, der Unerfahrenheit und des enormen Entwicklungspotenzials muss man ihm das jedoch sicherlich nachsehen und mindestens ein Auge zudrücken. Denn zu groß scheinen die positiven Aspekte in Julians Spiel zu sein, welche Tuchel so sehr an ihm zu schätzen scheint. Vor allem die überragenden Fähigkeiten im richtigen Raum zu antizipieren und diesen optimal zuzustellen, sowie mit seiner Ballsicherheit als defensiv orientiertes Bindeglied zwischen Abwehrverbund und Offensive zu fungieren, bringen ihm im Moment wohl den entscheidenden Vorteil gegenüber etablierten Kräften auf der defensiven "6"er - Position wie zum Beispiel Sven Bender.
Zugegeben, die jetzige Situation ist nicht mehr als eine Momentaufnahme in der jüngsten Phase einer Saison, in der sich der neue Trainer und die Mannschaft in einer Wechselbeziehung noch intensiver aneinander gewöhnen müssen. Der Auftakt in den Pflichtspielen der neuen Saison vermittelt jedoch zumindest den Eindruck, als habe Thomas Tuchel in Ilkay Gündogan und Julian Weigl im defensiven Mittelfeld vorerst die perfekte Symbiose der Eigenschaften gefunden, welche für das neue Spiel der Borussia in dieser Saison wohl von essentieller Bedeutung sein wird.
Sollte Weigl jedoch seine gute Frühform im Laufe der Saison konservieren können und seine Entwicklung mit solch großen Schritten voranschreiten, dürften die Fans des BVB und, wer weiß, vielleicht schon bald die der Nationalmannschaft, einen weiteren Grund zur Freude haben. Es würde nicht verwundern, wenn Weigls nächstes Karrierehighlight nächsten Sommer in Frankreich stattfinden würde ...