One Pound for the Home of Football: „Lasst uns ein Stadion in England bauen!”
Die neue Saison steht in ihren Startlöchern. Borussia Dortmund wird vor über 80.000 Zuschauern im West-falenstadion auflaufen und im Minutentakt Nachrichtenseiten, Gerüchteküchen und Fanzines zum Kochen bringen. Wir werden Millionären hinterherreisen, die mit uns rein gar nichts zu tun haben, viel zu viel Geld in ihre Trikots investieren und unsere Kinder darauf trimmen, niemals die falschen Farben zu tragen oder an einem Spieltag krank zu werden. Selbstverständlichkeiten, die in Fankreisen so gut wie niemand in Frage stellen würde.
Anders ergeht es den Jungs, die den Fußball eigentlich erfunden haben. Ihr Verein, der Sheffield FC, befindet sich seit 150 Jahren auf der Suche nach seiner Heimat. Organisiert als Stiftung, nach deren Satzung keinem Spieler ein Gehalt gezahlt werden kann. Als hundertprozentiger Amateurverein, der niemals auch nur einen bedeutenden Pokal oder eine Meisterschaft gewonnen hat, spielend vor 250 bis 300 Zuschauern, romantisch und niedlich. Der ursprünglichen Fußball lebt, Ausrasten und Tränen an der Seitenlinie inklusive, aber weiter entfernt von fetten Schecks oder Sponsorentöpfen gar nicht sein könnte – und uns deshalb um unsere Hilfe bittet.
Die Sheffield Rules: Der Ball gehört unter die Latte, nicht darüber!
Der Sheffield FC wurde 1857 von Nathaniel Creswick und William Prest als erster Fußballverein der Welt gegründet. Die beiden Pioniere hatten die ersten verbindlichen Fußballregeln geschrieben und darin verbindlich festgehalten, dass ein Ball unter der Latte besser aufgehoben sein sollte als darüber. Eine ganz coole Regel, oder nicht? Trotzdem vergingen drei harte Jahre, in denen sie immer wieder gegen sich selbst spielen mussten – Verheiratete gegen Junggesellen, Väter gegen Kinderlose, alt gegen jung und alle weiteren Varianten, die man vom Bolzplatz um die Ecke bis heute kennt. Erst als 1860 ein zweiter Verein gegründet worden war, ebenfalls in Sheffield, konnten Spiele zwischen zwei Mannschaften ausgetragen werden, mit elf Spielern auf beiden Seiten – das erste Derby der Welt war geboren.
Gespielt wurde damals auf einem Gelände mit dem unscheinbaren Namen Olive Grove, einer abschüssigen Wiese, die heute nicht einmal zum Bolzplatz taugen würde. Bis 1862 haben die Jungs hier ihre Stiefel geschnürt, vielleicht auch ein bisschen länger. Es war damals nicht üblich, dass Vereine eine Heimat hatten, weil es streng genommen ja nicht einmal Vereine gab – kein Wunder also, dass sich Informationen über den genauen Zeitpunkt des Umzugs nicht einmal in den Tagebüchern der Gründer finden lassen. Was jedoch bekannt ist: Seit dem Wegzug von Olive Grove musste der Verein immer wieder umziehen und an anderen Orten spielen. Robert Zitzmann, Mitglied der Foundation Sheffield FC: „Sheffield FC has played football without a permanent home and its own ground for more than 140 years. Now it’s time to take the club back home to Olive Grove in Sheffield to where it all began. The world must know where football kicked off, and pay respect to the founders of the modern game.“
„Olive Grove ist so etwas wie die Weiße Wiese des Weltfußballs, die Ursuppe von uns allen“, pflichtet ihm Jan-Henrik Gruszecki (Janni) bei, der seit den Arbeiten für eine TV-Dokumentation 2012 in engem Austausch zu den Verantwortlichen steht und diese bei ihrem Anliegen unterstützt. „Nach vielen erfolglosen Anfragen hat die Stadt Sheffield eine Lösung gefunden und dem Verein endlich eine Rückkehr an den Geburtsort des Fußballs in Aussicht gestellt. Es gibt nur eine Bedingung: Der Sheffield FC muss das Gelände in fünf Jahren mit dem Bau eines Stadions nutzbar machen." Eine tolle Nachricht, die jedoch für ein großes Problem sorgt: Denn der Sheffield FC hat kein Geld.
Derzeit versuchen die Engländer mit Hilfe eines Crowdfunding-Projekts die benötigten 150.000 Pfund einzusammeln, um sich ihren großen Traum zu erfüllen. „One Pound for the Home of Football“ heißt die Kampagne, die bei Indiegogo (Link) zu finden ist und jeden Fan um einen symbolischen Beitrag von einem Pfund bittet. Wie bei anderen Crowdfunding-Projekten – BVB-Fans werden sich an die Finanzierung des Gründerfilms „Am Borsigplatz geboren“ erinnern – wird es als Dankeschön für etwas größere Beiträge auch ein bisschen mehr geben: Für fünf Pfund kann man seinen Namen auf einer Supporters Wall am neuen Stadion verewigen lassen, für 20 Pfund gibt es ein Ticket für das erste Spiel und für 30 Pfund eine edle Mitgliedschaftsurkunde. Besonders großzügige Spender dürfen für 1000 Pfund sogar selbst Geschichte atmen und in einem Pflichtspiel eine Halbzeit für den Sheffield FC auflaufen.
Dem Opa geht es schlecht: Hoffen auf weltweite Unterstützung
Doch warum sollten ausgerechnet deutsche Fans einen Stadionbau in England unterstützen, wenn dort alleine über TV-Rechte Milliardensummen gescheffelt werden? Richard Tims, Chairman des Sheffield FC und Initiator der Kampagne, appelliert an das Traditionsbewusstsein der Fußballfans: „We really are establishing a new spiritual home for football on the original ground and, as a charitable foundation, we will continue to protect and preserve the world’s first football club. Let’s all remember, without Sheffield FC there would be no game as we know it today.“ Bewusst wurde die Kampagne deshalb nicht auf England begrenzt, sondern weltweit angelegt und nicht zuletzt ruhen die Hoffnungen auf Deutschland, wo Fankultur und Geschichtsbewusstsein der Vereine einen höheren Stellenwert haben als in anderen Ländern Europas. Janni: „Natürlich wäre es geil, wenn die Premier League nur ein Promille ihres TV-Vertrags geben würde, aber leider wird dieses Geld ganz anders verplant. Wie so oft gilt der Prophet nichts im eigenen Land.“
Tatsächlich stößt die Kampagne in Deutschland auf ein positives Echo. Ein großer Teil der bislang eingegangenen 18.000 Pfund stammt aus Deutschland, wo Berichte im Kicker und einigen Tageszeitungen Wirkung zeigten. Dazu kommen auch Beiträge von Proficlubs, die in einem gesonderten Verfahren um eine Summe in der Höhe ihres Gründungsdatums gebeten werden – der BVB gehörte mit 1909 Euro zu den ersten Spendern, der finanziell angeschlagene Rot-Weiß Essen gab 1907 Euro und auch Clubs wie der FC St. Pauli, TuS Haltern oder der FC St. Gallen konnten sich ihren Eintrag auf der virtuellen Supporters Wall bereits sichern. Die meisten Vereine sind begeistert und sehen ihren Beitrag als Ehrensache, was Janni auf eine bei fast allen Bundesligaclubs vorhandene Dankbarkeit zurückführt: „Lass es mich etwas pathetisch ausdrücken: Der Sheffield FC ist der Großvater aller Vereine, die es ohne ihn heute gar nicht gäbe. Nun geht es dem Großvater schlecht, er wird von Pflegeheim zu Pflegeheim geschoben und hätte doch eigentlich viel mehr verdient. Da sind Fußballvereine irgendwie verpflichtet zu sagen: ‚Danke, Opa, das war cool! Wir geben dir ein bisschen was zurück!‘“
Für die Clubs gibt es außer der Emotion und dem Gefühl, etwas Gutes getan zu haben, keine Rendite – sie können die 19XX Euro meist locker entbehren und verzichten darauf, ihre Spende an die allzu große Glocke zu hängen. So nahm der BVB die von Fanseite vorgetragene Idee einer Kooperation mit dem Sheffield FC gerne auf, die mittlerweile intensiv gelebt, kommunikativ erfreulicherweise aber nicht besonders groß gespielt wird. In einem ersten Schritt wurde eine Fanauswahl ins Leben gerufen und auf den Namen BVB III getauft, um sich mit den Engländern auf Augenhöhe messen zu können – gesucht wurden Hobbyfußballer, die nicht zu gut, aber bitte auch nicht zu schlecht spielen sollten. Das Hinspiel gegen die Traditionsmannschaft des Sheffield FC entschied der BVB III im vergangenen Sommer in England mit 5:2 für sich, das Rückspiel in der Roten Erde ging vor wenigen Wochen gegen die erste Mannschaft der Gäste mit 6:0 recht deutlich in die Binsen. Weitere Schritte sollen und werden folgen.
Allerdings gibt es auch in Deutschland Vereine, die nicht unbedingt ein ausgeprägtes Vereinsleben führen, Sponsoren sehr große Mitspracherechte einräumen und die Vergangenheit lieber ruhen lassen. „Die sagen, dass diese Kampagne nicht in ihr Marketingkonzept passe“, wundert sich Janni und schüttelt den Kopf. Namen möchte er zwar keine nennen, aber ergänzen, dass es sich „in der Bundesliga erfreulicherweise nur um zwei Vereine handelt“.
Ein kleines Stadion für alle, die den Fußball lieben
Dass die Bäume in Sheffield nicht in den Himmel wachsen sollen, ist allen Beteiligten klar. Ein kleines Stadion für eine niedrige vierstellige Zahl an Zuschauern soll entstehen, die abschüssige Wiese in einen bespielbaren Platz verwandelt und dazu Platz für Umkleideräume geschaffen werden. Sollte mehr Geld zusammen kommen, könnte auch über ein kleines Museum oder ähnliche Dinge nachgedacht werden. Geld zurück wird es für die Spender aber in keinem Fall geben, wie Janni betont. „Alle Beteiligten sind so überzeugt von dem Projekt, dass wir es in jedem Fall umsetzen werden – die einzige Frage ist, wie gut das Stadion am Ende sein wird. Deswegen würde ich mich freuen, wenn sich an diesem Projekt möglichst viele Menschen beteiligen und dem Sheffield FC die Chance geben würden, ein richtig geiles Stadion zu bauen!“
Es sind Fußballromantik und Leidenschaft, aber vor allem die Ursprünge, die die Initiatoren der Kampagne antreiben: In einer Zeit, in der sich alles immer schneller dreht, in der eine Twitter- oder WhatsApp-Nachricht nach 15 Minuten schon alt ist, soll dort, wo der Fußball erfunden wurde, ein kleines Monument entstehen. Und jeder, der den Fußball liebt, einmal für 90 Minuten innehalten können.
Hierzu ist der Sheffield FC ist auf Unterstützung angewiesen und hofft nicht zuletzt auch auf eure Spendenbereitschaft. Auf der Projektseite zur Crowdfunding-Kampagne erhaltet ihr weitere Informationen, wie ihr eure Spende am besten an den Verein bringen könnt. Jeder Betrag ab 1 Pfund ist hoch willkommen und wird mit einem kleinen Dankeschön belohnt. Einen historischen Kurzüberblick über die Geschichte des Fußballs bekommt ihr auf The World's First.org, zur Vereinshomepage geht es hier entlang. Wenn ihr also das Gefühl haben wollt, einen eigenen bescheidenen Beitrag zur Geschichte des Fußballs geleistet und dem Sport die Rückkehr zu seinen Wurzeln ermöglicht zu haben - los geht's!
SSC, 4.8.2015 / Bilder: Sheffield FC