Mats und die Kilos
Wer kennt das nicht? Ein mieser Arbeitstag und abends will man sich nur noch mit Schokolade, Chips oder Eis vor den Fernseher hocken und den Rest der Welt ausblenden. Alles ganz normal, alles ganz menschlich. Und auch nicht schlimm, wenn man beispielsweise als Frisör, Bankangestellte oder Lehrer arbeitet. Dann hat man eben mal das ein oder andere Kilo mehr auf der Waage und muss vor dem nächsten Strandurlaub ein bisschen an sich arbeiten. Anders sieht es allerdings aus, wenn man Profifußballer in einer europäischen Topliga ist. Dass man damit erhebliche Probleme bekommt, hat jetzt Mats Hummels im Interview mit dem Kicker eingestanden.
In der Hinrunde habe er vermutlich den schlechtesten Fußball seiner bisherigen Karriere gespielt. Das wird jeder regelmäßige Verfolger unserer Borussia nur so bestätigen können. Zu seiner Ehrenrettung muss man aber auch sagen, dass das wohl für jeden unserer Spieler Gültigkeit haben dürfte. Gerade in der Abwehr wäre es zu billig, die zahlreichen Slapstickeinlagen an Hummels allein fest zu machen. Trotzdem sollte die Messlatte für ihn als Kapitän und einzig „echtem“ Weltmeister höher liegen. Da, wo er voran gehen sollte, ging er mit den anderen unter. Konnte er auch gar nicht, da er nach eigener Aussage nicht in dem dafür notwendigen, körperlichen Zustand war:
"Das war gewichtsmäßig eine Katastrophe von mir. Ich trage das Laster des Frustessens in mir. Und weil mir die Hinrunde eben viel Frust beschert hat, bin ich in einen kleinen Teufelskreis geraten."
Bumm! Man muss Hummels hoch anrechnen, dass er hier klare Kante fährt und offen Gründe und eigenes Verschulden für seine schwachen Leistungen nennt. Das hätten aus Angst vor der öffentlichen Reaktion nicht mehr viele Profifußballer gemacht, sondern sich wachsweich mit irgendwelchen körperlichen Wehwehchen herausgewunden. Und im Gegensatz zur sonst in der Bundesliga üblichen Müssen-Gras-fressen-Rhetorik gibt er sogar freimütig eine Schwäche zu. Augenscheinlich kann er Niederlagen und schlechte Spiele nicht einfach so abhaken, sie belasten ihn. Und er reagiert ganz normal menschlich in so einer Stressreaktion und sucht sich einen Katalysator. Frustessen. Von diesem Standpunkt aus sind Hummels Worte direkt sympathisch, weil sich wohl jeder irgendwie darin wiederfinden kann. Also alles gut?
Nein, so ganz einfach stehen lassen kann man das nicht. Mats Hummels übt eben keinen Job wie jeder andere aus. Sein Körper ist ein unverzichtbares Arbeitswerkzeug und dieses Werkzeug in einem Topzustand zu halten, ist eine seiner wichtigsten Pflichten. Nur wenn er dieser Pflicht nachkommt, ist er im heutigen Fußball in der Lage, Topleistungen zu bringen. Die Zeiten, in denen Spieler noch mit einer nur schwerlich kaschierten Bierplautze halbwegs mithalten konnten, sind spätestens seit Ende der Achtziger vorbei. Klar, ganz so schlimm war es bei Hummels natürlich nicht. Jeder männliche Normalsterbliche ist auch in der letzten Saison neidvoll erblasst, wenn Hummels mit hochgezogenem Trikot seinen Oberkörper präsentiert hat. Aber offenbar war es doch genug, um sich nicht richtig fit und austrainiert zu fühlen. Und wer sich nicht gut fühlt, kann nur schwerlich gut spielen. Genau für dieses gut spielen wird er aber sehr gut bezahlt. Die Schokolade auf dem heimischen Sofa war für den BVB eine überaus teure Angelegenheit und da bekommt dieses Eingeständnis im Nachgang einen faden Beigeschmack. Das Eingeständnis von Hummels kommt jetzt zu einem Zeitpunkt, an dem es ihm eigentlich nicht mehr schaden kann. Sportliche Konsequenzen sind nicht mehr möglich, der Wechsel zu Manchester United ist erst einmal vom Tisch und auf eine Rücküberweisung zumindest eines Teils seines Gehaltes wird beim BVB auch niemand mehr bestehen. Er gesteht Schwächen ein, ohne wirklich die persönlichen Folgen tragen zu müssen. Dabei ist es ja nicht so, als hätte Hummels nichts gegen sein Frustessen und die daraus resultierenden körperlichen Probleme unternehmen können.
So muss man neben dem Lob für das offene Umgehen mit seinem Laster auch kritisch anmerken, dass Hummels seinem Beruf als Profifußballer nicht gerecht geworden ist. Wenn er sich bewusst ist, dass er auf Frust gerne mit übermäßigen Genuss reagiert, dann hat er auch besonders darauf zu achten und dagegen zu arbeiten. Psychologen sind heutzutage im Fußball eher Normalität denn die Ausnahme und er hätte Hilfe beim richtigen Verarbeiten solcher Stresssituationen konsultieren können. Und wenn dann doch mal ein oder zwei Kilo zu viel auf den Rippen sind, so sollte das Trainingsgelände in Brackel ausreichend Möglichkeiten bieten, um sie wieder los zu werden. Der, wie er selber sagt, kleine Teufelskreis war nicht undurchbrechbar und offenbar hat er nur wenig dafür getan, dort wieder herauszukommen.
Diese Eigenantwortlichkeit muss man aber besonders in einem Beruf erwarten können, in dem der körperliche Zustand ausschlaggebend für das Arbeitsergebnis ist. Das hätte dem BVB in der letzten Saison höchstwahrscheinlich mehr geholfen als eine nachträgliche Selbstkritik.