"Nur" der BVB?
Ich konnte mir heute mal wieder eine Moralpredigt anhören, die die Planung meiner Freunde für das erste August-Wochenende betraf. Meine Antwort, die ich lieber vorher noch einmal durchdacht hätte, war:"Kommt drauf an...." Auf ein erwartungsvolles Augenbrauen-hochziehen antwortete ich kleinlaut:"... ob wir am 30. auswärts spielen und ob unser Gegner in Kasachstan oder Weißrussland wohnt oder ob es nur ein Nachbarland wird." So viel zur Vorgeschichte, denn schon folgte besagte Moralpredigt:
"Hör mal, ich finde das ja gut, was du immer so mitmachst, aber findest du nicht, du übertreibst es ein bisschen? Ich meine, es ist ja eigentlich nur Fußball! Und was du da alles an Geld reinsteckst. Was kostet denn so ein Trip? Doch locker hundert Euro! Die könnte man viel eher für Sinnvolleres ausgeben."
Es gibt Leute, die verstehen es wirklich, wirklich, wirklich nicht. Oder wollen nicht. Sie verstehen nicht, warum man all diese Wege zurücklegt, für ein nur 90-minütiges Spiel. Dass es eben mehr als nur das ist, wird dabei völlig außer Acht gelassen. Ich kann mich schwer in sie hineinversetzen, aber scheinbar existiert diese völlig realitätsfremde Auffassung, dass man zum Fußball geht, um Fußball zu gucken. Das kann ich auch daheim auf der Couch. Ist bei 5° minus und Schneefallrisiko von 95% auch angenehmer.
Aber darum geht es nicht. Denn viele meiner großartigsten Momente verdanke ich "nur" dem Fußball, "nur" meinem Verein. In vielen Momenten war "nur" der BVB mein Halt, mein Grund, niemals aufzugeben. Wenn es auf der Welt "nur" den BVB und sein ganzes Drumherum gäbe, mit all seinen verrückten Menschen - ich wäre kein einziges Mal allein. Manche meiner traurigsten Momente wurden durch "nur den Fußball" hervorgerufen, Geschehnisse, die mich normalerweise kaum interessieren, in solchen Momenten aber unheimlich berühren. "Nur beim Fußball" passiert es, dass meine Taschentuchration durch tätowierte, zwei Meter große Muskelprotze aufgebraucht wird - 0:1 gegen Augsburg, Platz 18. In solchen Momenten wird mir klar, welch eine Macht "nur" der Fußball, mein Verein, der BVB auf die Menschen und ihre Emotionen hat.
Es kann sein, dass ich mich jetzt zu weit aus dem Fenster lehne, aber ich glaube, er macht sie auch manchmal zu besseren Menschen. Ein Unternehmer hat eher Freunde, die vielleicht auch mehr Geld verdienen, die Ärmeren sind auch eher für sich. Beim Fußball ist das nicht so. Da ist das latte, wer du bist, woher du kommst und wie du aussiehst. Und ich finde, das macht ihn zu etwas ganz Besonderem. Für genau solche Momente stehe ich in der Woche nachts um halb 3 auf, um ans andere Ende der Welt zu fahren - um zu sehen, wie sich genau diese Menschen einfach freudig in den Armen liegen, weil IHR Verein das entscheidende Tor gemacht hat. Denn in solchen Momenten sind wir alle nur eins: Borussen! Ich hoffe, die anderen können eines Tages verstehen, dass "nur der Fußball" etwas ist, das uns etwas mehr Menschlichkeit verleiht und uns zu mehr macht als "nur einem Menschen".
Wenn du auch denkst, es ist "nur Fußball", dann kennst du sicherlich auch Sätze wie "nur ein Freund", "nur die Liebe" oder "nur ein Versprechen". Es sind nicht "nur" Freunde, es ist nicht "nur" die Liebe und es ist sicher auch nicht "nur" ein Versprechen. Und genau darum ist es auch nicht "nur" Fußball, bei dem 20 Bekloppte einem Ball hinterher rennen. Es ist so so viel mehr.
Michi, 16.07.2015