Gündogan klingelt uns wieder wach
Die emotionalen Abschiede von Jürgen Klopp und Sebastian Kehl haben uns Dortmundern mal wieder diese Geschichten beschert, „die nur der Fußball schreibt“. Dass Klopp uns nach sieben spektakulären Jahren zum Abschluss noch vom letzten Tabellenplatz in die Europa League führte, war mindestens genauso märchenhaft wie Kehls Traumtor in der Verlängerung gegen Hoffenheim, mit dem unsere Nummer 5 seine 13-jährige Karriere bei uns krönte. Als Sahnehäubchen auf dem i-Tüpfelchen hätte es dann sogar fast noch einen Pokalsieg als Abschiedsgeschenk für die beiden gegeben, die das Gesicht der Borussia so lange prägten. „Aber das wäre dann wohl etwas zu kitschig gewesen“, musste selbst Klopp nach der Finalpleite gegen Wolfsburg zugeben.
Am Ende einer eigentlich verkorksten Saison durften wir uns also nochmal dieser Traumwelt hingeben, die wir im Fußball suchen. Diese Traumwelt, in der man sich als Fan wünscht, dass sich da unten auf dem Platz elf Freunde für ihren Herzensverein den Allerwertesten aufreißen. Diese Traumwelt, in der die Liebe zum Sport größer ist als die Gier nach Reichtum und in der Kampfeswille und Leidenschaft regelmäßig gegen Geld und Kommerz gewinnen. Diese Traumwelt, wegen der wir jeden Samstag ins Stadion gehen.
Das Beschissene an Träumen ist, dass sie sehr schnell vorbei sind. In den meisten Fällen werden sie morgens um 5:30 Uhr vom eigenen Wecker zerstört. Bei uns übernimmt jedoch derzeit Ilkay Gündogan diese Aufgabe. Mit seinem Transfer-Theater führt er uns leider mal wieder vor Augen, dass in diesem Business nicht viel Platz für Romantik ist.
Die Akte Gündogan – Mysteriöser als manche Akte X
Die Fakten, so kurz und knapp wie möglich: Gündogan wechselte 2011 für 5,5 Millionen Euro Ablöse von Nürnberg zu uns und entwickelte sich innerhalb von zwei Jahren zu einem der besten zentralen Mittelfeldspieler der Welt. Zu Beginn der Saison 2013/14 zog er sich eine mysteriöse Rückenverletzung zu, die ihn mehr als ein Jahr außer Gefecht setzte. Während seiner Auszeit kursierten bereits Gerüchte, wonach Gündogan nie wieder professionellen Sport treiben könne, da verlängerte der BVB plötzlich Gündogans bis 2015 gültigen Vertrag um ein Jahr.
Zu Beginn der vergangenen Saison artikulierten Klopp und Co. dann eine leise Hoffnung darauf, dass Gündogan im Laufe der Rückrunde womöglich wieder spielen könne. Als mitten in der Hinrunde jedoch gefühlt der halbe Kader verletzungsbedingt fehlte, ereignete sich bei Gündogan eine Wunderheilung, die ihn auf einmal wieder einsatzfähig machte. Auch wenn er in der Rückrunde immer besser ins Spiel fand, konnte Gündogan nie an die alte Klasse anknüpfen. Als sich die Saison dem Ende entgegen neigte, fragten sich Fans und Medien, wie Gündogans sportliche Zukunft wohl aussähe: Verlängert er beim BVB? Kauft ihn ein anderer Verein im Sommer? Oder geht er im kommenden Jahr ablösefrei?
Hans-Joachim Watzke sprach dann Ende Mai Klartext, als unser Geschäftsführer unmissverständlich zu Protokoll gab, dass Gündogan im Sommer den Verein verlassen würde. Der BVB wollte Gündogan halten. Gündogan wollte jedoch weg. Daher das Machtwort von Watzke.
Und genauso kam es...nicht. Aktuell ist eine Verlängerung mit Gündogan wieder die „Wunschlösung“, wie es Watzke formuliert. „Die Tür für eine Vertragsverlängerung war unsererseits nie zu. Es gibt vielleicht doch noch eine Chance, dass er umdenkt. Wir sind in Gesprächen", so Watzke im Interview mit der WAZ. Auch Gündogans Onkel und Berater Ilhan sieht in einer Verlängerung "ganz klar wieder eine Option". "Es spricht ja einiges dafür, dass Ilkay es in einem gewohnten, angenehmen Umfeld leichter fällt, wieder auf sein altes Niveau zu kommen", sagte Ilhan Gündogan der Süddeutschen Zeitung. Ilkay fände die Pläne des neuen Trainers Thomas Tuchel so spannend, „dass er sich jetzt Gedanken macht“.
Ich gehe nicht wegen Ilkay Gündogan ins Stadion
Auch wenn man bei diesem irrsinnigen Hickhack immer damit rechnen muss, dass bereits morgen dann doch noch alles anders kommt, gehe ich zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass Gündogan seinen Vertrag beim BVB verlängert und noch mindestens eine weitere Saison für die Borussia spielt. Was darf ich davon halten?
Werfen wir zunächst mal einen Blick auf den rein sportlichen Aspekt. Mit Ilkay Gündogan bleibt ein Spieler, der in der Rückrunde einen soliden Job gemacht hat. Nach seiner ewig langen Verletzung hat Gündogan nun die Möglichkeit, erstmals wieder eine komplette Vorbereitung zu absolvieren, die ihm sicher dabei helfen wird, den nächsten Schritt hin zur alten Klasse zu machen. Er kennt seine Mitspieler bestens und müsste nicht, wie es zum Beispiel bei der Verpflichtung eines Johannes Geis der Fall gewesen wäre, erst aufwendig und womöglich erfolglos ins Team integriert werden. Mit Ilkay Gündogan behalten wir einen guten Mittelfeldspieler, bei dem die Chance besteht, dass er sehr bald zu einem sehr guten Mittelfeldspieler wird.
Während ich mich also sportlich betrachtet auf den Erhalt eines tauglichen Spielers freue, geht mir der ewige Vertragspoker jedoch emotional ordentlich gegen den Strich. Im Vergleich zur Causa Gündogan wirkt selbst der Fall Lewandowski wie ein sauberer Abschied.
Die einen unterstellen Gündogan, er erkenne nun, dass er mit seiner Krankenakte und seiner aktuellen Form nicht die erhofften lukrativen Angebote der ganz großen Clubs erhält und deswegen das Sprungbrett BVB noch ein wenig länger benutzen will. Die anderen wollen Gündogan zugute halten, er würde seinen Vertrag nur deswegen erneut verlängern, um dem BVB im kommenden Jahr eine höhere Ablöse zu bescheren. Die Beweggründe für die einzelnen Akte in dieser ätzenden Posse sind mir natürlich nicht bekannt und reine Spekulation. Fakt ist jedoch: Ich komme mir bei diesem ewigen Hin und Her als Fan mächtig verarscht vor. Ich ergebe mich gewiss nicht der Illusion, dass jeder BVB-Profi gleichzeitig Vollblut-Borusse sein muss. Wenn die Shinji Kagawas dieser Welt zu uns kommen und gleich ehrlich eingestehen, dass sie den Ballspielverein als Bühne nutzen wollen, um sich für die Premier League zu empfehlen, kann ich damit leben. Aber wenn mir jemand vorgaukelt, es sei für ihn als Kind des Ruhrpotts eine Ehre hier zu spielen, dieser Spieler aber eigentlich lieber gestern als heute wechseln will, keinen neuen Verein findet und sich dann doch wieder dafür entscheidet, dass Dortmund ja eigentlich voll super ist, dann kotzt mich das an.
Allerdings möchte ich Gündogan nicht die alleinige Schuld für dieses Theater in die Schuhe schieben. Auch das Management beim BVB spielt da wohl eine entscheidende Rolle. Watzke, Zorc und Co. hatten sich nach Gündogans mengelnder Bereitschaft zur Vertragsverlängerung offenbar erhofft, für einen ohnehin wechselwilligen Spieler im Sommer groß abzukassieren. Dumm nur, dass die Verantwortlichen in Barcelona und Manchester in den vergangenen beiden Saisons ganz offensichtlich die Bundesliga verfolgt und gesehen haben, dass Gündogan aktuell keine 30 Millionen wert ist und eine europäische Spitzenmannschaft nicht ernsthaft verstärkt. Das Transferverbot bei Barca dürfte den Wunsch nach einem Verkauf im Sommer ebenfalls nicht gerade befeuert haben. Und als man beim BVB recht zügig merkte, dass man mit Gündogan in diesem Sommer keine Rekorderlöse erzielt, ruderte man blitzschnell zurück mit seinen Plänen, Ilkay zu verkaufen.
Die Causa Gündogan ist eines von vielen Beispielen, die mir als Fußballromantiker zeigen, dass ich im Profisport fehl am Platze bin. Wenn ich dennoch dabei sein will, weil ich einfach nicht anders kann, dann muss ich akzeptieren, dass solche Marktmechanismen dazugehören. Und das mache ich. Ich akzeptiere das. Denn ich gehe nicht wegen Ilkay Gündogan ins Stadion. Sondern wegen den Klopps und Kehls. Den elf Freunden, die sich für ihren Herzensverein den Allerwertesten aufreißen...zumindest im Traum.
25.06.2015, Elster