Unsa Senf

Am Ende einer langen Reise

03.06.2015, 09:20 Uhr von:  Redaktion

Den Schlüssel ins Schloss. Eine Dusche. Dann ab ins Bett. Müde. Einfach richtig müde. Natürlich, so langsam ist man in dem Alter, in dem eine 24-Stunden-Tour schlaucht. Aber das erklärt trotzdem nicht so ganz diese bleierne Schwere in den Beinen. Es fühlt sich nach mehr an als nur eine Zugfahrt nach Berlin. Es ist, als würde man nach einer langen, aufregenden Reise nach Hause kommen. Eine Reise, die einen an tolle Orte geführt, die tief beeindruckende und bewegende Momente beschert hat. Kurzum: Eine Reise, die unvergesslich ist. Und wie bei fast jeder Reise ist das Ende nicht der beste Teil. Was bleibt, sind Fotos und Erinnerungen.

So richtig begann die Reise mit einem mörderischen Brummschädel. Warum auch nicht? Es ist Urlaub, der beste Teil liegt noch vor einem und das will gefeiert werden. Subotic, Frei, Frei. Und wie jeder andere Borusse bin auch ich felsenfest der Überzeugung, dass wir bei entsprechender Nachspielzeit nicht nur gefühlt, sondern auch tatsächlich noch gewonnen hätten. Das Foto ist dementsprechend völlig verwackelt und unscharf. Seit diesem Abend mag ich Ouzo nicht einmal mehr riechen. Und das war auch gut so. Um nichts in der Welt hätte ich auch nur einen Moment der nächsten Jahre verpassen wollen. Es ist so unfassbar viel passiert in unserer schwatzgelben Fußballwelt.

Derby - Hinspiel 2010/2011Die Empörung über die Derbypreise für das Spiel 2010, die hektische und doch total geile Betriebsamkeit, um auf die Schnelle Kein-Zwanni aus der Taufe zu heben. Fanclubs und Ultras zusammen. Bitter auf der einen Seite, den grandiosen Derbysieg nur im Hinterzimmer der Sonne gucken zu können, aber auch das gute Gefühl, das Richtige zu tun. Ein recht tristes 2:0 gegen Werder Bremen, bei dem ich zum ersten Mal die echte Gewissheit hatte, dass wir Meister werden. Unzählige Urlaubsbilder, die fast einen eigenen Ordner brauchen. Auf dem einen Bild rutscht Nuri mit erhobenem Zeigefinger an Podolski vorbei. Jürgen Klopp mit einem Jubellauf über die Tribüne. Norbert Dickel, der „Mach mich hoch“ ins Mikrofon brüllt und einem tobenden Stadion verkündet, was eh schon alle wissen. Die Bootsfahrt als frisch gebackener deutscher Meister zum Weserstadion. Auf dem nächsten Foto tanzt Neven auf der Motorhaube seines Autos. Mitten im Kreuzviertel. Und dazwischen immer wieder toller Fußball. Doppelpässe, Hackentricks und betörend schöne Spielzüge. Und weiter geht es. Auf dem einen Bild brüllt Neven einen frustrierten Robben an, auf dem anderen ist es unter der Süd noch weit nach dem Abpfiff gegen Gladbach voll und alles gröhlt „Ein Schuss, kein Tor“. Florian Kringe bekommt seinen letzten Auftritt für den BVB in Kaiserslautern und das „Wir ham' die Schnauze voll“ nach dem Führungstreffer der roten Teufel wirkt wie ein Nachhall auf die Zeiten, in der Fußball auch noch Humor konnte. Dann schwenkt Leitner die BVB-Fahne und, was auf Fotos natürlich nicht herüber kommt, die Toten Hosen schmettern aus den Lautsprechern dazu „An Tagen wie diesen“.

Neven und Marcel feiern das DoubleViele dieser Bilder kommen erst wieder hoch, wenn man sich bewusst an sie erinnert. Der absolute Höhepunkt der Reise, eine Aneinanderreihung perfekter Momente. Die junge Rasselbande, die im Titelkampf niemand so richtig auf der Rechnung hatte. Atemberaubend schöner Fußball, ein Trainer, dem man begeistert an den Lippen hing und auf der Tribüne das tolle Gefühl von Verbundenheit. Und laut waren wir. Und privilegiert, diesen Teil der wilden Reise erleben zu dürfen. Viele, viele Fans anderer Vereine erleben in ihrem gesamten Fanleben nicht einmal einen Bruchteil dieser Schönheit des Fußballs.

Was danach kommt, ist schwer zu beschreiben. Es kommen immer noch neue Bilder unvergesslicher Momente hinzu. Ein riesiges Stadion, das zwölf Minuten und zwölf Sekunden so laut schweigt, dass man das Knallen des Leders beim Schuss hören kann. Es ist das gleiche Stadion, das ein paar Monate später mit der Wucht einer Bombe explodieren wird, als Santana den Ball gegen Málaga über die Linie drückt. Unfassbar traurig macht mich heute der Anblick des Flughafens in Donezk. Kaum vorstellbar, dass in diesem Trümmerfeld mal das Lied vom schmucken Prinz im Karneval fröhlich geschmettert wurde. Das nächste Foto ist eigentlich nur grau. Der Betonboden im Bernabéau, den ich die letzten zehn Minuten angestarrt habe. Elendig lange zehn Minuten. In der Tasche mein Handy mit einem anderen Bild, das vielleicht das wichtigste Foto meines Lebens ist. Ein kleiner Punkt auf einem Ultraschallbild. Irgendwann werde ich ihr mal von ihrem ersten Auswärtsspiel erzählen und ich hoffe, sie begreift die Faszination, die so etwas auf ihren Papa ausübt.

Borussia wirft Real Madrid aus der Champions-LeagueUnd trotzdem, auf dem eigentlichen Höhepunkt, in Wembley, war es schon anders. Beim Pokalspiel gegen Hannover waren erste Risse in der Einigkeit auf der Tribüne zu sehen. Der Fußball, die Tribüne, der Verein. Alles irgendwie geschäftsmäßiger. Aus „Wir sind alle ein bisschen verliebt in diesen Verein“ wurde die „Echte Liebe“. Es war eine gute Zeit, keine Frage. Aber es fehlte das Besondere. Oder zumindest das Gefühl, etwas wirklich Besonderes zu erleben. Das ist die Krux an unfassbar schönen Momenten: sie machen süchtig. Dieses Gefühl, vor Freude fast platzen zu können und etwas Großes zu erleben. Dabei vergisst man nur zu leicht, dass die Bauwerke nie wieder so beeindruckend, das Wasser am Traumstrand nie wieder so kristallklar und die Tour mit den Freunden nie wieder so lustig sein wird wie beim ersten Mal.

Vermutlich haben wir zu lange festhalten wollen. Uns zu sehr daran geklammert, einfach anders als alle andere zu sein und darüber irgendwie vergessen, dass wir eigentlich nur eins sein müssen: Borussia Dortmund. Und wir dürfen auch gerne mal ganz normal sein. Warum auch nicht?

Von den letzten beiden Etappen der Reise wandern viel weniger Fotos ins Album. Wo aus den Jahren 2011 und 2012 sofort massenhaft Erinnerungen aufsteigen, bleibt 2014 irgendwie leer. Ich sehe einen brennenden Gästeblock im Derby. Kein schönes Foto, aber prägnant. Wir waren wieder mal in Berlin und ich sehe Scherben von Bierflaschen auf dem Boden und einen Wagen mit einer schwatzgelben Werbetafel hinten drauf. Oh, doch. Das große BVB-Logo über die gesamte Kurve. Das Foto kommt auch rein, weil es so schön ist. Tja, und dieses Jahr? Ich könnte ein Foto einkleben, in dem eine demoralisierte Mannschaft nach dem Heimspiel gegen Hamburg wieder von der Tribüne aufgemuntert wird, aber das wäre nicht ehrlich. Ich habe mich nach diesem und vielen anderen Spielen einfach unfassbar geärgert. Am besten wird es wohl sein, wenn ich einfach die Tabelle des 18. Spieltags in die Sammlung aufnehme. Es soll mich immer daran erinnern, dass am Ende doch alles gut wird.

Choreo Pokalfinale 2014Vielleicht fange ich einfach sofort damit an und sortiere alle blöden Bilder aus der letzten Zeit aus. Das Bild, wie Leverkusen neun Sekunden nach Saisonbeginn das 1:0 macht, geraubtes Fanmaterial und Briefe, in denen man mir ankündigt, wieder mehr Geld haben zu wollen. Das ist kein schönes Ende für das Reisealbum. Für das letzte Bild muss ich eine Schere nehmen, um ein Banner auszuschneiden. Auf diesem Banner steht: „Wir brauchen viele Jahre, um zu verstehen, wie kostbar Augenblicke sein können.“

Ein tolles Ende für diese Reise. Wir haben massig kostbare Augenblicke angesammelt während dieser wilden Fahrt und statt mit Wehmut sollte man mit Freude auf diese Augenblicke zurückschauen. Diese Reise war etwas ganz außergewöhnliches. Der Reiseleiter ist von Bord. Wir haben uns freundschaftlich die Hände geschüttelt und für die tolle Zeit bedankt. Jetzt erst einmal schlafen und ausruhen. Kräfte sammeln für die nächste Reise. Es gibt noch viele Alben, die gefüllt werden wollen.

Sascha, 03.06.2015

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