Volkswagen: Motor oder Lenker des deutschen Fußballs?
Der sportlich verdiente Aufstieg des FC Ingolstadt dürfte auch in der Stadt unseres Endspielgegners für einige Freude gesorgt haben, gehört der FCI doch inzwischen zur Familie. Gleichzeitig sorgt das Fußball-Engagement des Wolfsburger Mutterschiffs VW aber auch für immer mehr Stirnrunzeln und mediale Aufmerksamkeit. Zum Glück! Denn die Stellung des Konzerns ist bei weitem nicht mehr risikofrei.
Nicole Selmer vom österreichischen Fußballmagazin „Ballesterer“ spricht gar von der „Volkswagenliga“ und auch die deutsche Tageszeitung „Die Welt“ kommt zu dem Ergebnis, dass der Automobilkonzern eine problematische Macht im deutschen Fußball angehäuft habe.
Haarklein wird aufgelistet, dass nicht nur Volkswagen direkt sich den VfL Wolfsburg zu 100 Prozent einverleibt habe und über die Konzerntochter Audi zusätzlich Anteile am Branchenprimus FC Bayern und dem FC Ingolstadt hält, sondern darüber hinaus mit den diversen Tochterfirmen bei 13 weiteren Klubs aktiv ist und dort bisweilen als Haupt-/Sponsor auftritt. Den von VW-Tochter MAN unterstützten BVB hatten sie in der Weltredaktion sogar noch vergessen.
Pikant: Am kommenden Samstag tritt der Volkswagenkonzern sowohl als Inhaber eines der Finalisten wie auch als Hauptsponsor des Wettbewerbs auf. Und in der Bundesliga kommt es zukünftig immer häufiger zu direkten Begegnungen von Teams, die mit dem Unternehmen verflochten sind.
Man muss sich das vergegenwärtigen: Ein Pokalsieg des VfL Wolfsburg am Samstag würde letztlich bedeuten, dass jeder in diesem Jahr im deutschen Profifußball vergebene Titel an ein Team mit Volkswagen-Beteiligung vergeben würde. Ein Umstand, der seltsamerweise niemanden in der Branche beunruhigt. Zumindest äußert es keiner der Protagonisten hörbar.
Lex VW
Wie viel Einfluss der Konzern zwischenzeitlich erlangt hat, offenbart sich auch in den Regularien der Bundesliga, die wohl nicht ganz zufällig passend auf den Autokonzern zugeschnitten wurden. Die Süddeutsche Zeitung konstatiert hierzu, dass VW in Deutschland auf der sicheren Seite sei:
„Zwar beschloss die Deutsche Fußball Liga (DFL) im März, zukünftig Mehrfachbeteiligungen zu begrenzen auf höchstens drei Vereine, von denen nur an einem mehr als zehn Prozent gehalten werden dürfen. Das Volkswagen-Engagement, das beim VfL Wolfsburg 100 und in Ingolstadt 19,9 Prozent beträgt, ist davon aber ausgenommen. "Bestandsschutz", heißt es offiziell. "Lex VW", schimpfen Kritiker.“
Dass es auch weniger wachsweich geht, offenbart der europäische Fußballverband in seinem Reglement zur Königsklasse. Dort heißt es unter der Überschrift „Integrität des Wettbewerbs“:
„Niemand darf gleichzeitig, direkt oder indirekt, in irgendeiner Funktion oder mit irgendeinem Mandat an der Führung, der Verwaltung und/oder den sportlichen Leistungen von mehr als einem an einem UEFA-Klubwettbewerb teilnehmenden Verein beteiligt sein.“
Wie viel der UEFA diese Integrität aber tatsächlich wert ist, darf sie nun unter Beweis stellen: Dass man sich dort wirklich den Zorn eines DAX-Konzern aufzuhalsen gewillt ist und den Wolfsburgern die Teilnahme verweigert, darf freilich wohl bezweifelt werden.
Dass der Volkswagen-Konzern einen solchen Schutz genießt und sich die Kritiker derart zurückhalten, mutet auch vor dem Hintergrund seltsam an, dass man in der Vergangenheit durchaus bereits unter Beweis gestellt hat, eine einflussreiche Position auch für eigene Interessen nutzen zu wollen.
Satte zwei Millionen Euro Bußgeld musste der Konzern auf Bescheid der Staatsanwaltschaft immerhin latzen, weil er eine Auftragsvergabe an die Telekom-Tochter T-Systems im Automobilbereich davon abhängig gemacht haben soll, dass das Unternehmen bitteschön im Gegenzug die Fußballsparte des Konzern unterstützen möge.
Who is Who der Zulieferindustrie
Auch heute noch hört sich die Riege der Wolfsburger Sponsoren auffällig deutlich nach Ersatzteilkatalog an. Es ist das Who is Who der Zulieferindustrie: Motorenöl-Spezialist Castrol, Bremsen-Fabrikant Ats, Zündanlagen- und Lichtmaschinen-Lieferant Magneti Mareli, Leichtmetallfelgen-Hersteller Borbet – allein die Homepage des VfL weist mehr als 20 Unternehmen aus, die die Automobilindustrie als Kunden im Fokus haben.
So gesehen waren die staatsanwaltlichen Ermittlungen für den Konzern vielleicht sogar ein Segen. Immerhin dürfte sich spätestens durch die medienwirksamen Schlagzeilen in der Branche herumgesprochen haben, dass ein Engagement beim VfL die Chancen zumindest nicht vermindert, auch mit der Muttergesellschaft ins Geschäft zu kommen. Da braucht man nicht einmal mehr mit sanftem Druck darauf hinzuweisen.
All die Beispiele zeigen, wie sehr Regulierungsversuche wie das „Financial Fair Play“ der UEFA letztlich zum Papiertiger verkommen und von Beginn an zum Scheitern verurteilt sind. Für Konstrukte wie das des Autobau-Konzerns und seiner Fußballsparte wird es immer Mittel, Wege und Ausnahmen geben.
Zu leiden haben darunter vor allem kleinere Vereine, die ohne Sugar Daddy auskommen müssen, und die sich selbst mit noch so solider und akribischer Arbeit zunehmend schwer tun werden, ihren Platz im Profifußball zu behalten.
Schöne neue Fußballwelt.
Arne, 28.05.2015