Mondpreise für Wundertüten
Es muss irgendwann in der ersten Halbzeit des Spiels gegen Mainz gewesen sein, als der Gedanke vollends Form annahm: "Verdammte Scheiße, was schmeißen wir im Augenblick für Geld aus dem Fenster!" Vorausgegangen war der vermutlich dritte ganz nette Ballgewinn in der eigenen Hälfte, der wenig später mit einem üblen Fehlpass von Kevin Kampl nicht nur zunichte gemacht wurde, sondern den Mainzern noch dazu die Chance für einen schnellen Angriff in unserer Hälfte bot. Und als wäre das beim Stand von 0:1 nicht schon schlimm genug gewesen, stand dann diese Ablösesumme vor meinem geistigen Auge: Kolportierte 12 Millionen, vielleicht auch nur 10 Millionen, aber wurscht: Von der Handlungsschnelligkeit mit Ball am Fuß her würde es vielleicht für eine Mannschaft aus der österreichischen Bundesliga reichen, aber dann wohl auch nur für einen Gegner aus dem unteren Mittelfeld der Tabelle.
Bis heute ist mein Eindruck vom Neuzugang aus Salzburg nicht wesentlich besser geworden, aber ihn weiter prominent herauszuheben, wäre unfair. Allein schon, weil Kevin Kampl wohl kaum selbst entschieden haben dürfte, für welchen Betrag er nach Dortmund wechselt, aber vor allem, weil er nur einer von vielen Spielern aus den letzten beiden Jahren ist, bei denen man sich nicht nur die Frage stellt, ob sie wirklich besser als Alternativen im eigenen Kader waren, sondern auch, wie zur Hölle man derartige Beträge als Ablösesumme auf den Tisch legen konnte. Die Zahlen sind zwar nicht bestätigt, aber ungefähr dürften sie ja schon stimmen. Also dann die wesentlichen Summen:
2013/14: Mkhitaryan 27 Mio., Aubameyang: 13 Mio., Sokratis: 10 Mio.
2014/15: Immobile: 19 Mio., Kampl: 12 Mio., Ginter: 10 Mio., Ramos: 10 Mio., Kagawa: 8 Mio., Sahin: 7 Mio.
Macht insgesamt (und ohne eigene Transfereinnahmen, von denen aber nur Götze wirklich zu Buche schlägt) den schlanken Betrag von 116 Mio. Euro. Natürlich sind das aus Sicht des deutschen Durchschnittsverdieners alles Zahlen jenseits von Gut und Böse, aber zumindest die Beträge für Sahin und Kagawa dürfen schon als marktüblich gelten und bei Aubameyang und Sokratis mag man sich zumindest nicht beschweren. Aber sonst? Bei allem Wissen um die spezifischen Qualitäten der jeweiligen Spieler lässt sich polemisch ein bitteres Fazit ziehen: Wer Hendrikh Mkhitaryan zuletzt mal im Tempodribbling gesehen hat, weiß, dass der Junge nur dann eine realistische Chance auf einen Torabschluss hat, wenn sich kein Gegenspieler mehr zwischen ihm und dem gegnerischen Tor befindet. Weil er nämlich sonst voll in den Gegenspieler hinein rennt. Ciro Immobile erinnert weder optisch noch vom Bewegungsablauf her an Nelson Valdez, ist ansonsten aber genau so ein Ritter der traurigen Gestalt: Unermüdlich im Einsatz, nur dummerweise oft mit den völlig falschen Laufwegen und viel zu selten mit dem nötigen Killerinstinkt vor dem Tor. Und die Liste lässt sich halt fortsetzen: Matthias Ginter besitzt zwar Entwicklungspotential, hält aber einige Aktien an absurden Gegentoren in dieser Saison. Und von Adrian Ramos hat man auch vor der letzten Verletzung zuletzt im Trikot von Hertha BSC was gesehen. Insgesamt: 78 Mio. Euro. Wofür?
Selbst wenn die meisten Spieler ablösefrei gekommen wären, hätte man die Transferbilanz der letzten Jahre vermutlich eher kritisch betrachten müssen. Gegen den Ball sieht das bei den meisten unserer Spieler sehr gut aus, und auch die Gegentorbilanz passt in dieser Hinscht, von blöden Konzentrationsfehlern einmal abgesehen. Nur bei Ballbesitz sieht es oft wirklich scheiße aus, und das betrifft nicht nur Fehlpässe wie die genannten von Kampl gegen Mainz. Vielleicht die frappierendste Erkenntnis des Pokalspiels bei den Bayern: Weder körperlich noch taktisch waren wahnsinnige Unterschiede zu sehen, aber in München springt der Ball bei Ballannahme keine zwei Meter weg, und dazu ist selbst unter Druck, gerade auch im letzten Drittel des Spielfelds, noch eine hohe Passsicherheit gegeben. Und daran kranken nicht nur, aber gerade unsere Neuzugänge.
Ein bekannter Reflex wäre nun, den Vergleich mit den Bayern allein schon deswegen abzulehnen, weil dort unter ganz anderen wirtschaftlichen Bedingungen gearbeitet wird. Bis zu einem gewissen Grad stimmt das auch, und gerade die Tiefe ihres Kaders ist für uns im Moment unerreichbar. Aber trotzdem muss man mit Blick auf die genannten Zahlen und bei allem Respekt und aller Dankbarkeit für die Leistung unseres Trainerteams in den sieben Jahren ihres Wirkens sagen: Spätestens seit 2013 wurde einfach schlecht eingekauft.
Zum Teil aus der Not heraus, weil die Qualifikation zur Champions League nun einmal perdu ist, aber vielleicht auch aus eigenem Antrieb scheint Thomas Tuchel da etwas intelligenter vorgehen zu wollen. Keine Mondpreise mehr für Spieler, die ihre Qualität bisher regelmäßig nur in zweit- oder drittklassigen Ligen nachgewiesen haben. Stattdessen geistern die Namen gestandener Spieler aus der Bundesliga wie Gonzalo Castro oder Stefan Reinartz durch die Presse, oder es wird über entwicklungsfähige Spieler wie Johannes Geis nachgedacht, gerade wenn man sie noch von früher kennt. Einen ähnlichen Weg hatte Jürgen Klopp selbst zu Beginn seiner Zeit in Dortmund eingeschlagen: Neven Subotic, Lukasz Piszczek, Kevin Großkreutz oder Sven Bender kamen aus Deutschland, und bei externen Transfers wie Lucas Barrios oder Robert Lewandowski wurde das Risiko bewusst minimal gehalten. Hier wieder anzuknüpfen und nicht jeden Preis zu bezahlen, polyvalente Spieler speziellen Talenten vorzuziehen, im Zweifel noch dazu den Spielern aus dem eigenen Nachwuchs eine Chance zu geben: Vielleicht führt das wirtschaftlich und sportlich wieder nach oben. Und wenn dann mal ein doofer Fehlpass passiert, blinkt wenigstens nicht das Lämpchen mit dem zweistelligen Millionenbetrag.