Schiedsrichter, wir müssen reden!
Allenthalben keimen sie auf, die Rufe nach Videobeweisen und Regeländerungen. Der Ursprung: Zunehmende Fehlentscheidungen und vor allem der mangelnde Einsatz persönlicher Strafen. Während man Situationen sicherlich auch mal falsch wahrnehmen kann, nervt die fehlende Konsequenz in der Bestrafung von Woche zu Woche mehr. Denn: Sie öffnet rohem Spiel Tür und Tor.
André Schürrle ging so hart mit dem Ellbogen in den Zweikampf, dass Dominik Kohr erst nach wenigen Minuten Behandlung weiterspielen konnte, Ciro Immobile erlitt bei vergleichbarem Einsatz des Dresdeners Michael Hefele eine blutige Wange und Thomas Kraft musste sogar benommen ausgewechselt werden, nachdem ihn Georg Niedermeier mit der Schulter niederstreckte. Das gleiche Schicksal erlitt Marco Reus im Pokal, als er abseits jedes Kampfes um den Ball von Dennis Erdmann hinterlistig getreten wurde. Glimpflicher kam glücklicherweise Henrikh Mkhitaryan bei Valon Behramis Ellbogenschlag in Hamburg davon. Was all diese Szenen gemeinsam haben: Der Täter wurde, selbst wenn es Freistoß gab, nicht verwarnt oder gar folgerichtig vom Platz gestellt, es blieb immer bei ein paar netten Worten des Schiedsrichters, alles innerhalb einer Woche. Ich frage: Geht's noch?
Wir erinnern uns alle an das Drama, das um das Foul von Kevin-Prince Boateng an Michael Ballack gemacht wurde, weil dieser deshalb die WM 2010 verpassen sollte. Wir erinnern uns daran, dass Marco Reus sich heute nicht zu den Weltmeistern des letzten Sommers zählen darf, weil er bei einem Foul im letzten Testspiel vor dem Turnier verletzt wurde. Und sicherlich ist uns der fiese Tritt des Ex-Dortmunders Bakalorz im Gedächtnis, der dem frisch genesenen Reus eine erneute Auszeit von mehreren Monaten bescherte. Schon vor Jahren, als der Bremer Diego oder der damalige Bayern-Neuzugang Ribery nur noch durch Fouls zu stoppen waren, forderte die halbe Liga: "Schützt endlich unsere Superstars!"
Von der Forderung eines solchen Artenschutzes für Tempodribbler und Edelkicker bin ich weit entfernt, keine Sorge. Auch wenn Reus, Ribery oder de Bruyne sicherlich herausragende Akteure ihrer Teams und der ganzen Liga sind, sie sind nicht schützenswerter als Jonathan Schmid vom SC Freiburg, Nico Schulz von Hertha BSC oder Süleyman Koc vom SC Paderborn. Und ich fordere auch sicher keine Regeländerungen wie zum Beispiel die weltfremde Idee, foulende Spieler nachträglich für die gesamte Ausfallzeit ihres verletzten Opfers zu sperren. Sowas würde der wahren Härte des Vergehens nicht gerecht, denn oft führt schon ein vollkommen harmloser Zweikampf durch widrige Umstände zu langen Verletzungen, während böse Tritte und Schläge zum Glück glimpflich ausgehen.
Was ich fordere, ist Konsequenz. Die geltenden Regeln sind einigermaßen klar formuliert, fast jeder kennt sie, und doch finden sie viel zu häufig kaum angemessene Anwendung. In Gelsenkirchen erlebte Christian Fuchs seine Auswechselung trotz klarem taktischen Foul und fehlender gelb-roter Karte, Xabi Alonso wird gefühlt nur in internationalen Spielen verwarnt, obwohl er Tempogegenstöße dank seines Tempodefizits oft nur mit dem "cleveren" Zupfer am Trikot unterbinden kann und die Schwalben (also unsportliche "Täuschungsversuche") eines Jonas Hofmann im Trikot unserer Borussia blieben auch viel zu oft ungesühnt.
Liebe Schiedsrichter, ihr tragt zwei Karten in eurer Brusttasche mit euch herum - Setzt sie konsequent ein! Holt euch Respekt und die Kontrolle über das Spiel durch eine klare, konsequente Linie zurück, statt euch die Spiele reihenweise entgleiten zu lassen! Ahndet Täuschungsversuche, taktische Fouls und vor allem rohes, gefährliches Spiel endlich so, wie es die Regeln vorsehen, um sie auch langfristig wieder einzudämmen. Ellbogenschläge, Schulterchecks und Tritte abseits des Spielgeschehens haben nichts, absolut nichts mit dem Sport zu tun, den wir alle so schätzen und lieben und ihr seid in der Verantwortung, solche Szenen angemessen zu sanktionieren. Wir brauchen keine neuen Regeln, wir brauchen eine konsequente Anwendung persönlicher Strafen.
Dann haben wir am Ende nicht nur weniger verletzte Superstars, wir haben auch ein saubereres Spiel, bei dem gelbe Karten für das Verlassen des Spielfelds oder das Bedecken des Kopfes nicht mehr in krassem Missverhältnis zu ungeahndeten Ellbogenschlägen oder Zweikämpfen mit Verletzungsgefahr stehen. Und wir können vielleicht irgendwann wieder zurecht behaupten, dass das deutsche Schiedsrichterwesen vorbildlich ist für die weltweite Zunft der unparteiischen Spielführer. Aktuell sind wir davon nämlich weit entfernt.
NeusserJens, 09.03.2015