Liga, bleib' bei deinen Stärken!
England, Mutterland des Fußballs: Mittwoch verkündete die Premier League stolz, die nationalen Erlöse aus den Medienrechten für die Spielzeiten 2016/17, 2017/18 und 2018/19 zusammen auf ganze 5,136 Milliarden Pfund Sterling gesteigert zu haben. Das sind etwas weniger als 7 Milliarden Euro, also rund 2,3 Milliarden Euro pro Saison. Irre Summen, die nun eine neidgesteuerte Debatte deutscher Fußball-Funktionäre lostritt.
Doch wenn nun ausgerechnet die Allofs und Völlers der Liga mit ihren bodenlosen Plastikclubs fordern, man müsse doch auch unpopuläre Maßnahmen ergreifen, um nicht alle Stars nach England zu verlieren, verschließen sie die Augen davor, dass England und Deutschland komplett unterschiedliche Voraussetzungen für den Absatz dieser Medienrechte bieten.
Fangen wir einfach mal beim sportlichen Teil an: Die Premier League bietet in der Regel einen verhältnismäßig ausgeglichenen Kampf der "Big 4" um den Titel, wenn auch nicht jedes Jahr spannend bis zum letzten Spieltag. Dazu gesellen sich dann in schöner Regelmäßigkeit Überraschungsteams wie aktuell der Southampton FC oder eines der Top-Teams schwächelt wie Manchester United letzte Saison - es gibt jedenfalls keine jahrelange Dominanz eines Teams, welche die Liga nahezu langweilig macht. Dazu bietet die Premier League zwei Teams mehr, was nicht nur die Anzahl der Spiele an einem Spieltag sondern auch die Anzahl der Spieltage pro Jahr erhöht.
Die breitere Streuung der Qualität in der Spitze sorgt entsprechend auch dafür, dass der Reiz, Spiele ohne Beteiligung des "eigenen Teams" zu gucken, ungleich größer ist als hier. Seien wir mal ehrlich: Wer von uns guckt sich wirklich gern ein anderes Einzelspiel als das des BVB an? Ich kann mich oft nicht mal dazu durchringen, die Konferenz zu gucken, wenn der BVB nicht samstags spielt, aber Wolfsburg gegen Hoffenheim und Hannover gegen Paderborn am Sonntag - ernsthaft? Da gucke ich von hier aus doch wirklich lieber Liverpool gegen Everton.
Eine Zerstückelung des Spieltags, wie sie in England nun noch weiter betrieben wurde als eh schon, dürfte also vielleicht mehr Sendezeit füllen - höhere Quoten dürfte es bei Aufsteigern wie Ingolstadt oder Heidenheim aber eher nicht bringen. Ich mag mich irren, aber bis auf Bayern, uns und vielleicht die Blauen hat wohl selten mal ein Einzelspiel wirklich gute Quoten, vor allem verglichen mit der Konferenz, die dem typischen "neutralen" Fußballfan nun wirklich alles bietet, was er braucht: Eine gute Zeit zwischen Mittagessen und Abendbrot, geeignet für alle Altersklassen und man bekommt jedes wichtige Ereignis des Spieltags live mit, ohne dafür von Freitagabend bis Montagabend durchgängig vor dem Fernseher zu sitzen. Es ist die Live-Alternative zur Sportschau, welche nicht grundlos schon seit Jahrzehnten eine (familiäre) Institution ist, weil sie in kurzer Zeit jede wichtige Szene vermittelt.
Außerdem ist die gesamte Fußballsozialisation der Premier League nicht mit der unserer Bundesliga vergleichbar. Während hier Stehplätze, Ermäßigungen und größtenteils faire (wenn auch immer weiter steigende) Eintrittspreise dazu führen, dass sich die Bundesliga seit Jahren an der Spitze der europäischen Zuschauertabelle festsetzen konnte, erlebt das Mutterland des Fußballs eine Alterung des Stadionpublikums, was die legendäre Stimmung schon jetzt Legende sein lässt. Hierzulande genießt der Fußballfan das Spiel wirklich noch am liebsten mit Bratwurst, Bier und Rasenduft im Stadion, während dies in England mehr und mehr den oberen Schichten vorbehalten ist. Teilt man diese Spiele nun auf immer mehr Termine auf, die bei weiten Anreisedistanzen zu unmöglichen Uhrzeiten zu immer weniger Zuschauern vor Ort führen wird (Hallo Wochenspieltage!), nimmt man der Bundesliga ihren aktuell größten Reiz der vollen Stadien mit berauschender Stimmung und dem direkten Duell.
Weil Fußball in Deutschland jedoch Volkssport ist und neben den Millionen Stadiongängern auch Millionen Daheimbleiber interessiert, hat das Kartellamt bisher immer ein Veto eingelegt, wenn die DFL die Fernsehrechte in Deutschland mit großer zeitlicher Verzögerung für das frei empfangbare Fernsehen vergeben wollte, um dem Bezahlsender mehr Exklusivität zu verschaffen. Wäre die Schlachtung dieser heiligen Kuh also vielleicht das Mittel, das die Erlöse aus Medienrechten explodieren lassen würde?
Natürlich nicht. Deutschland ist kein Pay-TV-Land, nicht zuletzt durch die Rundfunkabgabe, die vor allem auch die teurere Sportschau oder Champions League-Übertragungen finanziert. Während sich in Großbritannien verschiedene weit verbreitete Anbieter gegenseitig die Rechte wegschnappen wollten und für den neuen Vergabezeitraum sogar teilen, schwankt der einzige wirkliche Pay-TV-Anbieter in der Bundesrepublik regelmäßig zwischen Gewinn und Verlust, da er immer noch kein wirklich rentables Verhältnis zwischen Preis, Kundenzahl und Lizenzgebühren gefunden hat. Der Versuch, einen Konkurrenten mit attraktivem Preis für Fußballfans zu etablieren, scheiterte nach nur einer Saison. Selbst wenn man also dafür sorgen würde, dass vor 22:00 Uhr keine Bilder der Bundesliga-Samstagsspiele im frei-empfangbaren Fernsehen erschienen, bleibt zweifelhaft, ob Sky mit dem derzeitigen Geschäftsmodell wirklich einen derart großen Sprung in der Zahl der Abonnenten erzielen könnte, dass sie - ohne Konkurrenz auf dem Bietermarkt! - auch nur annähernd ähnliche Summen wie in England zahlen könnten.
Was hinzukommt: Exklusivität ist nicht immer etwas Positives! Die Bundesliga war zeitweise die umsatzstärkste Liga im Bereich Sponsoring-Einnahmen, weil die Reichweite von Trikot- oder Bandensponsoring durch die Präsentation in der vielgeguckten Sportschau deutlich höher ist als sie im verschlüsselten Bezahlfernsehen wäre. Wer viel Geld dafür ausgibt, auf der Brust eines Fußballclubs werben zu dürfen, will natürlich auch, dass diese Werbung viele Menschen sehen. Es wäre also durchaus möglich und zu erwarten, dass bei einer Abschaffung der zeitnahen Ausstrahlung von Zusammenfassungen im frei-empfangbaren Fernsehen die Sponsoring-Einnahmen ob der deutlich geringeren Reichweite sinken würden, sodass die Einnahmensteigerung durch teuerere TV-Rechte deutlich kleiner ausfiele.
Es bleibt also zweifelhaft, inwiefern "unpopuläre Maßnahmen" wirklich hilfreich sind und ob man sich unbedingt den durchkommerzialisierten Fußball in England als Vorbild nehmen sollte. Vielleicht sollte man stattdessen besser weiter an den eigenen Stärken arbeiten: Familienfreundliche Anstoßzeiten, bezahlbare Eintrittspreise und mitgliedergeführte Traditionsvereine könnten mit ein wenig Feintuning sicher dazu führen, dass die Bundesliga weiterhin eine unheimlich attraktive Liga ist und bleibt. Und das auch ohne die Gehälter mittelmäßiger Fußballer immer weiter inflationär aufzublähen. Denn auch in der Premier League kann nur eine Mannschaft Meister werden, auch in England dürfen pro Team nur 14 Spieler in einem Spiel eingesetzt werden und auch dort qualifizieren sich maximal vier Teams für die Champions League. Die Bundesliga hat eigene Pluspunkte, Reize und Vorzüge - diese sollten mit kreativen Wegen gestärkt werden, statt eine "Premier League light" erschaffen zu wollen. Man muss sich nur mal den Zustand der englischen Nationalmannschaft ansehen, um zu erkennen, dass auf der Insel auch nicht alles Gold ist, was glänzt.
NeusserJens, 13.02.2015