Der moderne „moderne” Fußball
In England gibt es sie schon eine ganze Weile, in Deutschland kommen Anhänger gebeutelter Vereine langsam auf den Geschmack. Die Rede ist von eigenen Vereinsgründungen in den Niederungen der Amateurligen, weil der einst geliebte Klub plötzlich beschlossen hat, unter neuen „moderneren“ Voraussetzungen zu arbeiten und dabei den Blick fürs Wesentliche verloren hat.
Die Übernahme des englischen Riesen Manchester United durch den amerikanischen Milliardär Glazer, beginnend im Jahr 2003 mit dem Erwerb von Aktien im großen Stil, stieß den Fans der Red Devils gewaltig vor den Kopf. Ihr Verein wurde veräußert und niemand hatte sie gefragt. So sollte der Fußball nicht sein. Der Fußball, den wir nach wie vor lieben, soll nicht gewaltsam verändert werden – noch dazu von denjenigen, die nicht nur in der absoluten Unterzahl sind, sondern auch vom Wesens des Fußballs keinen Schimmer haben.
Um der erschreckenden Entwicklung vor der eigenen Haustür entgegenzuwirken und sich weiterhin die Faszination des schönsten Sports der Welt bewahren zu können, gründeten einige Fans den FC United of Manchester. Ihren eigenen Klub mit transparenten Strukturen und der Wahrung des so wichtigen Vereins-Mythos’. 2005 war das und markierte den Beginn einer kleinen Revolution innerhalb der europäischen Fanszene, die sich nicht weiter von fettleibigen Amerikanern und rappeldürren Scheichs ohne Fußballbezug auf der Nase rumtanzen lassen wollte. Der FC United of Manchester genießt seitdem Kultstatus.
Natürlich wissen wir alle, dass der traurige Trend, nämlich der schleimig triumphierende Einzug machtgieriger Investoren, durch dieses Statement nicht wirklich versiegte. Dennoch ist die Geschichte als klarer Erfolg zu werten, der viele Fans weltweit schon relativ zeitig für diese Problematik sensibilisiert hat – auch in Deutschland.
Auch wir sind mittlerweile in der harten und herzlosen Realität angekommen. Und angesichts eines drohenden Teilnehmerfeldes der Bundesliga für die kommende Saison mit Retortengrößen wie Leverkusen, Hoffenheim, Wolfsburg, Ingolstadt und dem brech-und-würg-Krösus ReizBrause Leipzig können wir diesen Trend nicht mehr von der Hand weisen. Dass dann aber noch Traditionsvereine scharf darauf sind, das bisherige Vereinsleben umzukrempeln und ähnliche Wege einzuschlagen, macht uns sprachlos und setzt der negativen Entwicklung die goldene Krone auf.
Zum HSV kann man als Dortmunder sagen, was man will. Eins aber war immer klar. Der Dino ist der Dino und gilt als großer Traditionsklub in der deutschen Fußballlandschaft, der sich über viele Jahre, in denen auch die Stadt immer weiter wuchs, zum Publikumsmagneten mit richtig treuen Anhängern entwickelt hat. Irgendwann pochte das Konsumherz des HSV allerdings immer lauter. Die Wettbewerbsfähigkeit sollte gesteigert werden, sodass mehr Gelder akquiriert werden mussten. Vor allem aufgrund der enorm gestiegenen Eintrittspreise verlor der einst so stolze Klub viele Sympathien.Die Spitze des Eisberges war damit aber bei weitem noch nicht erreicht. Man holte sich Investoren ins Haus, weil mehr (holländische) Qualität Einzug in den Kader halten sollte.
Und dann ging irgendwann alles ganz schnell. Es gab eine Abstimmung, bei der die fußballerische Demokratie – mit all ihren liebenswerten Auslegungen und Mythen – mit donnerndem Applaus den Bach runterging. HSVPlus schimpfte sich das Ergebnis dieser Abstimmung unter Mitgliedern des Hamburger Sport-Vereins. Kurz gesagt bedeutete diese fatale Entscheidung nichts anderes als „mehr Konserve, weniger Fans“.
Und tatsächlich, viele der treuen Anhänger, vor allem aus Ultra-Kreisen entsagten ihrem Klub von einem Tag auf den anderen. Sie legten ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten nieder und engagierten sich nicht mehr in ihrer Freizeit für die ehemalige große Liebe.
Kein Verein, keine Unterstützung. Das überraschte die Klub-Verantwortlichen so ein bisschen. „Wie können es die Fans nur wagen, sich vom HSV abzukehren, die sollen sich gefälligst weiter den Arsch aufreißen so wie früher. Es hat sich doch nichts verändert. Sie haben halt nur kein Mitspracherecht mehr, denn das wollen all die machtgeilen Millionarios aus Fernost ja nicht.“ So oder so ähnlich formulierte der Verein seine Stellungnahme zur Problematik, denn das Ganze hatte durchaus Spuren hinterlassen. Besserung trat aber nicht ein. Im Gegenteil, war die Kacke eh schon am Dampfen, konnte man dann ja noch einen draufsetzen. Des Geldes wegen versteht sich. So kündigte man dem langjährigen Partner Holsten die Kooperation und holt sich, beginnend im Sommer 2015, ein neues Bier ins Haus, das so rein gar nicht mit der Region in Verbindung steht. Macht ja nichts, denn Holsten ist ja nur der älteste Sponsor (seit mehr als 75 Jahren besteht eine Partnerschaft) der Bundesliga und konnte halt nicht die vom HSV geforderte Summe aufbringen. Wenn die Schulden nun mal drücken...
Das war nur ein weiteres Mosaiksteinchen im großen Gebilde des Hamburger Niedergangs. Viele Anhänger hatten sich da schon längst einem neuen Verein hingegeben. Aber nicht etwa einem anderen Profi-Verein in Deutschland – so etwas würde schließlich nicht funktionieren. Man gründete eben nach englischem Vorbild einen eigenen Verein, bei dem die Fans als Mitglieder die Basis bilden und alles andere als Mitsprache gar nicht erst in Frage kommt. Seit Juli letzten Jahres gibt es den Hamburger Fußball-Klub Falke e.V. Der Beisatz „dankbar rückwärts, mutig vorwärts“ sollte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Ein eigener Verein für die geschundenen Fans des HSV. Dieser Schritt nötigt Respekt ab. Respekt von anderen Fanszenen in ganz Deutschland, die einschätzen können, welchen Schmerz die Negativ-Entwicklung beim Traditionsklub in der Fanseele ausgelöst hat. Die Rede ist hier jedoch ganz klar von Fanszenen anderer Traditionsvereine. In Wolfsburg, Hoffenheim, Leipzig und Co. wird wohl kaum jemand diese Aktion nachvollziehen können, wo sie sich als Kunden ihrer Unternehmen doch so geherzt und umworben fühlen.
Der Weg zum eigenen (Fan)Verein war wahrlich kein einfacher. Doch die Zeit, die vorher ehrenamtlich für den HSV hergegeben wurde, war plötzlich frei um sich voller Eifer den neuen Aufgaben und Herausforderungen bei den Falken hinzugeben. Die großen Erfahrungswerte aus der aktiven Fanzeit halfen da natürlich enorm mit. Denn einst hatte man beim HSV – in guten Zeiten, als den Fans noch eine gehörige Portion Mitsprache zu Teil wurde – gelernt wie ein gut geführter Verein funktioniert und wie auch das engagierte Umfeld an grundlegenden Entscheidungen beteiligt werden kann. Als dieses Modell beim Bundesliga-Dino nach und nach abgeschafft wurde, adaptierte man einfach all die guten Eigenschaften von früher und übertrug sie in den eigenen Klub. So ist es weiterhin allen Fans der Raute möglich, ein aktives Fanleben praktizieren zu können und die großartigen Kontakte und entstandenen Freundschaften voll und ganz auszukosten. Denn man kann sich nur schwerlich vorstellen wie schlimm es ist, wenn plötzlich der ins Fleisch und Blut übergegangene Rhythmus von Auswärtsfahrten und Heimspielbierchen von einem Tag auf den anderen nicht mehr existent ist.
Beim HFC wird diese Tradition gewahrt und kann in einem neuen Umfeld, dass noch familiärer ist, neu interpretiert werden.
Die Initiatoren stürzten sich so in ein Abenteuer, das sowohl mit Erfahrung als auch Unwissenheit angegangen wurde. Es gab keinen übergeordneten Verantwortlichen für die Abteilung Fußball, keinen Trainer, keinen Physio, keine Heimspielstätte und keine Spieler. Aber wo ein Fanwille ist...
Regelmäßig treffen sich die Mitglieder der Falken und besprechen den weiteren Weg. Auf jeden Fall soll der Spielbetrieb mit der neuen Saison aufgenommen werden. Seit letzter Woche gibt es dazu nun endlich auch ein Trainerteam, das in den kommenden Wochen und Monaten nun die reizvolle Aufgabe innehat, eine schlagkräftige Truppe zusammenzustellen. Die wichtige Stelle des Fußballobmanns wurde schon Ende des letzten Jahres mit einem erfahrenen Mann besetzt. Der Pressekonferenz zur Vorstellung des Trainerteams wohnten mehr als 100 Mitglieder und Freunde bei – eine beeindruckende Zahl für einen zukünftigen Kreisklasse-Verein. Bereits im letzten Jahr gab es für künftige, potenzielle Spieler einen Aufruf, dem mehr als 60 Kicker folgten.
Es gab auch schon eine Reise nach Manchester zum englischen Vorreiter, dem bereits erwähnten FC United of Manchester. Dort trafen sich die Verantwortlichen und tauschten Erfahrungen und Gedanken zum Thema aus. Ein Freundschaftsspiel in Zukunft ist geplant. Sympathien hat der HFC Falke schon jetzt reichlich, noch bevor überhaupt das erste Mal ein Spiel ausgetragen wird.
Wenn es soweit ist, hat auch Deutschland endlich einen Weg gefunden, die schöne Seite des Fußballs zu konservieren und vor feindlicher Übernahme zu schützen. Und vielleicht ist dies ja sogar der Startschuss auch für andere durch die Widrigkeiten des modernen Fußballs frustrierte Fans, sich ihre eigene Fußball-Oase zu schaffen – so wie echter, ehrlicher Fußball sein sollte.
Auf der Homepage des HFC heißt es dazu so passend:
„Wir wollen diesen langen und sehr steinigen Weg gemeinsam gehen und zur Saison 2015/2016 mit einer eigenen Mannschaft am Ligabetrieb in der Kreisklasse teilnehmen und uns das wieder zurückholen, was wir glauben verloren zu haben: die Liebe zum Sport.“
Für dieses ehrenvolle Vorhaben kann man den Hamburgern nur viel Erfolg wünschen!
Tim, 17.01.2015