Terror? Fußball! Zur Champions League in Lyon
Ein Kurztrip nach Frankreich und dann auch noch zum Fußball wird dieser Tage oft kritisch beäugt. Dabei war alles halb so schlimm. Ein Bericht über Angst vor Terror, die Rückkehr zur Normalität und welche Schlüsse man in Dortmund daraus ziehen kann.
Mein Trip gen Lyon beginnt am Montag, den 23. November mit dem notwendigen Flug von Düsseldorf nach Lyon. Aufgrund der Terroranschläge in Paris und des „Ausnahmezustandes“ in Belgien erwarte ich eigentlich verschärfte Sicherheitskontrollen. Davon allerdings keine Spur: Völlig entspannt gestaltet sich die Zeit bis zum Abflug. Ich fliege nicht besonders gerne und bin dankbar über jede Minute, die ich im Flugzeug verschlafe.
Nichtsdestotrotz freut es mich, dass ich einige Zeit vor Lyon geweckt werde. Eine nette, „steinalte“, französische Dame hatte mich angestupst. Verschlafen schaue ich sie an und sie deutet aus dem Fenster: Neben dem Flugzeug erheben sich die schneebedeckten Gipfel der Alpen aus den Wolken. Ein imposanter Anblick! Und so bedanke ich mich, indem ich ihr ein Kaugummi gegen den Druck auf den Ohren beim Landeanflug anbiete. Mehr kann ich aufgrund meiner geringen Französischkenntnisse nicht zur Völkerverständigung beitragen. Nach der Landung verabschiedet sie sich mit einem französisch akzentuierten „Auf Wiedersehen“, ich erwidere ein „Au revoir“. Am Flughafen werde ich von einer Ungarin abgeholt, die in Frankreich studiert. Sie hat mir über Couchsurfing ein Zimmer angeboten und macht meinen Kurzurlaub zu einem recht günstigen Trip. Warum ich hier bin? Einerseits, weil ich mal ein bisschen Urlaub machen möchte. Andererseits, weil sich in dieser Woche natürlich die Möglichkeit ergibt, zum letzten Mal ein Champions League Spiel im Stade Gerland zu sehen, das bald einer neuen Arena weichen wird. Als ich mich dazu entschieden habe, den Urlaub so zu legen, konnte ich noch nicht ahnen, dass nur eine Woche vor Reisebeginn, Paris, Frankreich, eigentlich sogar ganz Europa von Terroranschlägen erschüttert werden würde. Die räumliche Nähe, die Nähe durch den Bezug zum Fußball, das hatte viele wachgerüttelt.
„Es kann auch uns treffen, jederzeit, sogar beim geliebten Fußball“, war die einhellige Meinung und legte sich kurzzeitig wie ein Schatten über das Sicherheitsempfinden. Die Absage des Länderspiels in Hannover und die unbedachte Aussage von Thomas de Maizière taten ihr Übriges. Und so war es nur eine Frage der Zeit, bis ein Arbeitskollege Zweifel an meinen Plänen anmelden würde. „Erst zum Fußball nach Hamburg und dann nach Frankreich fliegen? Ich weiß nicht, ob man sein Glück so herausfordern sollte.“ Naja, meine Meinung ist da eine andere. Weder in Hamburg, noch bei meinem Flug nach Lyon empfand ich irgendwo Angst oder Unsicherheit.
Der Dienstag beginnt ebenso entspannt wie der Beginn der Reise. Eine erste Fahrt zum Stadion, Karten für den Abend kaufen. Mein Host wird mich begleiten. Sie war noch nie im Stadion und scheint keinerlei Bedenken zu haben. Am Freitag der Anschläge überkam sie kurz ein mulmiges Gefühl, als unweit ihrer Wohnung ein Auto brannte. Aber das stand in keinem Zusammenhang, also kein Grund ängstlich zu sein. Am Stadion unterhalte ich mich mit einigen Menschen. Ob sie zum Spiel gehen, frage ich, und ob sie Angst haben natürlich auch. Bei allen überwiegt die Vorfreude: „Wir lassen uns den Fußball nicht nehmen. Aufgrund einer Minderheit, die partiell Terror in Europa verbreitet, auf die schönen Seiten des Lebens verzichten? Nein, diesen Sieg will ich ihnen nicht zugestehen“, sagt einer der Olympique Lyon-Fans. Auch in der Altstadt, beim Mittagessen und später beim Kaffee wirken die Menschen „alltäglich“, ohne Angst gehen sie ihrem Leben nach. Die Verbindung zwischen Paris und heute Abend zieht niemand von ihnen. Einzig die Bedienung im Café möchte eine gewisse Angst nicht leugnen: „Ich verdränge das natürlich. Lyon ist nicht Paris. Wenn man Frankreich treffen will, dann muss man Paris attackieren. Es ist schade, dass das Festival de Lumière (so eine Art Lichterfest wie im Westfalenpark, nur größer ;-)) abgesagt wurde, aber angesichts der Menschenmengen wohl verständlich.“
Ganz alltäglich ist dann vielleicht doch nicht alles. Auf die Frage, ob er heute Abend trotzdem zum Fußball gehe, antwortet er lachend: „Ich würde, aber Lyon spielt in der Champions League einfach scheiße, das tue ich mir nicht an.“ Auffällig ist, dass die Stadt anders mit dem Fußball lebt als Dortmund. Man sieht nur wenige offensichtliche Fans oder Leute, die ganz „casual“ Vereinsklamotten tragen. Erneut spreche ich mit ein paar Fußballfans. An meinem Schal erkennen sie, dass ich aus Dortmund komme. Aubameyang ist ihnen natürlich ein Begriff, schließlich hat er für den großen Rivalen Saint Etienne gespielt. Das macht aber nichts: Ihr Lob ist überschwänglich! Sie werden heute natürlich zum Spiel gehen, Virage Nord – „Wir stehen ganz nah bei den Ultras“, sagt einer von beiden, der etwas besser Englisch spricht als sein Freund. Ich fahre dann noch einmal kurz zur Unterkunft, bevor es zum Stadion geht. In der Innenstadt treffe ich noch auf fünf Militärpolizisten(?), die in Tarnklamotten und mit ordentlichen Maschinenpistolen unterwegs sind. Ich frage, was sie für heute Abend erwarten. „Nichts Besonderes. Man kann beruhigt zum Spiel gehen.“ Gästefans werden heute nicht anwesend sein. Ihnen wurde die Anreise untersagt, was allerdings vornehmlich damit zusammenhängt, dass es in Gent ein wenig gekracht hatte und man für die Polizei keine weitere Baustelle aufmachen wollte.
Der Weg zum Spiel gestaltet sich ein wenig länger als gedacht. Statt die vom Morgen bekannte Route zu nehmen, schlägt mein Host eine schnellere Strecke mit dem Bus vor. Prompt fahren wir erstmal in die falsche Richtung. Trotzdem schaffen wir es irgendwie 25 Minuten vor Anstoß bei der Sicherheitskontrolle am Stadion zu sein. Diese erfolgt in zwei Schritten: Zunächst wird man darauf hingewiesen, wie alles abläuft: „Jacke öffnen, Taschen öffnen, Männer links, Frauen rechts, jeder nur ein Kreuz.“ Dann die eigentliche Kontrolle. Diese geht schnell, ist aber trotzdem genauer als in Hamburg! Etwas entfernt hört man einen Böller, der von allen schulterzuckend zur Kenntnis genommen wird. Keine zwei Minuten später sind wir im Stadion. Virage Nord Inferieure – Block B. Drei Reihen vom Spielfeld entfernt hinter dem Tor, gute Sicht, Nachbarblock der Ultras und natürlich stehen alle. Das bietet sich heute auch an, denn es ist saukalt und der einsetzende Regen macht es zumindest wettermäßig zu einem ungemütlichen Abend. Einen weiteren Tiefpunkt sollte Olympique dann noch mit einer miserablen Leistung setzen. Fünf Minuten vor Spielbeginn laufen die Mannschaften ein. Die Tribüne zeigt sich wach und sangesfreudig. Ein bisschen lauter könnte es sein, aber im Großen und Ganzen ist die Stimmung besser als erwartet. Es ertönt die Champions League Hymne und danach gedenkt man gemeinsam der Terroropfer, indem die Marseillaise gesungen wird. Viele französische Fahnen zieren die Tribünen. Die Nationalhymne erklingt laut und stolz. Nahezu alle singen mit, in den Gesichtern keine Trauer, sondern ein fokussierter, nach vorne blickender Ausdruck, als möchte man den Opfern zurufen, dass man den freiheitlichen Lebensstil nicht aufgeben wird und brüderlich zusammensteht. Eine Schweigeminute gibt es nicht. Dieser Moment und das Anstimmen der Marseillaise während der zweiten Halbzeit durch die Virage Nord sind das einzige, was mich irgendwie an die Ereignisse in Paris erinnert. Ansonsten denke ich während des gesamten Abends nicht ein einziges Mal an potenzielle Terroranschläge. Ich überlege mir keine Fluchtmöglichkeiten, ich spüre keine Angst, es ist einfach ein normales Fußballspiel. Auch im gesamten Stadion scheint niemand Angst zu haben. Man kann einfach das verbindende Element Fußball genießen. Wenn, ja, wenn da nicht der Fußball wäre: Lyon geht früh in Führung. Der Torjubel lässt das Stade Gerland, übrigens ein sehr sehenswertes, atmosphärisches Stadion, erbeben.
In Dortmund sollen nun also Metalldetektoren zum Einsatz kommen. Natürlich möchte sich niemand vorwerfen lassen, dass man nicht alles getan hat, um Sicherheit zu garantieren. Die Sinnhaftigkeit von Metalldetektoren darf prinzipiell dennoch angezweifelt werden, schließlich sollten die relevanten Gegenstände auch beim Abtasten gefunden werden. Die Frage bei Großveranstaltungen dreht sich im Allgemeinen mehr um die gefühlte Sicherheit als um die wirkliche. Es ist schlicht unmöglich, 100%ige Sicherheit zu garantieren. Das mag erschreckend sein, ist aber letztendlich Realität und in jeder Lebenslage so. Wem es zu gefährlich ist, der kann nur die Konsequenz ziehen, nicht hinzugehen. So bitter das klingt. Persönlich empfinde ich Situationen, in denen möglichst wenig Polizeipräsenz herrscht am sichersten. Das hat nichts mit Abneigung gegenüber der Polizei zu tun, sondern ich stelle mir eher die Frage „Warum steht hier so viel Polizei?“ Ich bin mir sicher, dass in Lyon im Stadionumfeld viel Bereitschaftspolizei im Einsatz war. Das Aufgebot war mit Sicherheit größer als erkennbar. Trotzdem empfand ich die geringe öffentliche Präsenz als Zeichen der Sicherheit.
Vielleicht sollte man sich in Dortmund noch einmal mit einem Alternativkonzept befassen als jetzt aktionistische Pseudomaßnahmen zu ergreifen. Die Ordner in Lyon wirkten zum Beispiel deutlich kompetenter. Die Mischung aus klaren Anweisungen, klarer Wegweisung der Besucherströme und guter Informationspolitik sowie extrem peniblen, aber zügigen Kontrollen (sogar mein Fotoapparat wurde auf Funktionalität geprüft!) ergaben ein stimmiges Konzept.