Ein gelungener Pöbeltag
Die letzten Jahre waren ja schon irgendwie toll. Guter Fußball, Erfolge feiern – so lebt es sich gut als Fan. Aber so eine Saison wie jetzt ist ja auf seine Art auch mal wieder klasse. Endlich kann man den inneren Meckerkopp mal wieder ausführen und sich nach Herzenslust den Wochenfrust von der Seele pöbeln. Und für den passionierten Pöbler hat sich Hannover im Laufe der Zeit zu einem wahren Mekka gemausert. In GE stänkern kann jeder, aber die Niedersachsen haben es zur Kunstform erhoben.
Herzkasper an der Pommesbude
Eine gute Fußballpöbelei braucht natürlich eine anständige Grundlage. Leerer Bauch schwadroniert halt nicht gern. Der Friteusenschwenker auf dem Stadionvorplatz drängt sich dafür geradezu auf. Pommes – Currywurst, in zwei kleinen Schälchen. Macht dann zusammen stolze 6,20 €. Ein kurzer Blick und die Reaktivierung der mathematischen Grundschulkenntnisse ergibt: Die als Pommesschmiede getarnte Räuberhöhle verkauft jede einzelne Fritte für genau 20 Cent. Herrlich, wie da schonmal die Halsschlagader anschwillt.
Sexuelle Belästigung inklusive
Derart gestärkt geht es dann zum ersten Highlight der Tagestour. Der Einlass am Gästesteher hat in jedem mir bekannten Pöbelführer das Prädikat „besonders wertvoll“ erhalten. Und ganz ehrlich: es wird einem nicht zuviel versprochen. Es ist wirklich die ganz hohe Schule, wenn man mit einem Grüppchen von vielleicht 100 Leuten eine halbstündige Nervtortur herbeizaubern kann. In Kleingruppen schiebt man sich tröpfchenweise durchs erste Nadelöhr, verteilt ein paar gezielte Rempler mit dem Ellenbogen -man weiß ja, was sich in dieser Situation gehört- und kommt dann endlich zur Personenkontrolle. Die mitgebrachte Patriot-Abwehrbatterie schnell in der Sammelbox, wo sie dann konsequenterweise gar nicht mehr beachtet wird, verstaut und dann lässt mich sich erst einmal ausgiebig befummeln. Anerkennend denke ich mir: „Lass deine Pfoten da weg, du Penner“. Saubere Arbeit, nichts ausgelassen. Nach einer halben Stunde ist der Spaß dann viel zu schnell vorbei, die erste Wut verraucht. Aber man merkt sofort, dass hier echte Fachleute des Frustes, Hohepriester des Nervens, am Werk sind. Kurzer Blick auf die Uhr. Bedauerlicherweise ist es schon zu spät, um sich nochmal vorne anzustellen.
Recycling auf Ultra-Ebene
Die Zeit bis zum Anpfiff wird dann auch herzlich-nervig lang und vor allem -weilig. Dass so etwas wie Stimmung von Hannoveraner Seite nicht zu erwarten war, sollte jedem bewusst gewesen sein. Der aktive Teil der Fanszene protestiert gegen Kind, der andere Teil ist dann zwangsläufig der inaktive und kommt dieser Aufgabe eifrig nach. Der Gästeblock erstrahlt dafür satt in Schwarz und Gelb, da vermutlich die Reste der Choreoleibchen sinnvollerweise zu kleinen Fähnchen verwurstet wurden. Und weil man ja schließlich was zu meckern haben will, wird dazu auch noch ein Rauchtopf gezündet. Total sinnvoll. Sollte es für 96 zum Nichtabstieg reichen, heißt es dann wohl, dass nächste Saison Fahnen wieder zuhause bleiben. Ansonsten heißt es Stimme schonen für den Anpfiff. Die letzten drei Partien der Borussia lassen schließlich hoffen, dass es auch heute wieder ordentlich Grund zum Fluchen und Kopfschütteln gibt.
Und die ersten fünfzehn Minuten lassen das Herz auch gleich höher schlagen. Auf beiden Seiten kaum Ideen, kaum strukturierte Angriffe und etliche Ballverluste. „Sauber, Günni – Hauptsache Außenrist, woll“. Danach schnell die Notiz ins Handy, beim nächsten Kick ein katalanisches Wörterbuch mitzubringen. Mal gucken, ob er das schon versteht.
Nach zwanzig Minuten steht es dann auf einmal 1:0. Reus luchst einem Gegner den Ball ab, steckt durch zu Aubameyang und der lässt Ron-Rooooooooobert keine Chance. Ganz kurzer Jubel, schließlich ist man ja nicht hier, um gute Laune zu versprühen. So geht’s vermutlich auch den 41.000 Rothosen auf der Tribüne, die sich daraufhin auf eine Endteckungsreise zum absoluten Stimmungsnullpunkt begeben.
Auch Leo ist ein Dortmunder Jung
In der zweiten Halbzeit bewirbt sich Leonardo Bittencourt dann nachdrücklich für eine Rückholaktion nach Dortmund. Als Profi hat er natürlich schon längst erkannt, dass seine Borussia hier drauf und dran ist, das Spiel zu verlieren und greift beherzt ein. Kuba von hinten im Mittelfeld, Kehl von vorne im Mittelfeld. Doktor Brych bleibt gar nichts anderes übrig, als ihn mit gelb-rot vom Platz zu stellen. Gerne wäre ich jetzt einer der 96-Fans, die mit Puls von 200 den Pfeiffenmann beschimpfen. Herrlich hoher Meckerfaktor. Borussia spielt ja leider eher selten so, dass man Gefahr läuft, eine unberechtigte rote Karte zu kassieren.
Und Borussia nutzt das eiskalt. Kuba in die Tiefe zu Reus, der legt in die Mitte zu Kagawa, der beim besten Willen nicht anders kann, als das Tor zu machen. Mühsam unterdrücktes Zucken der Mundwinkel. Da gibt’s leider gar nicht zu meckern. Ein halbherziges und pflichtschuldiges „Ach, bis jetzt war der Fußball trotzdem scheiße“, um wenigstens ein bisschen auf seine Kosten zu kommen.
Modetechnisch ist Hannover ne Katastrophe
Mitte der zweiten Halbzeit dann ein unerwartetes Highlight. Ein paar Hannoveraner Ultras zeigen, dass sie tatsächlich schon länger nicht mehr zu Bundesligaspielen gehen und eindeutig einen Modetrend verpasst haben. Während andere Szene schon längst Sturmhauben in stylischen Vereinsfarben tragen, joggte auf einmal eine Truppe von zehn Mann im altmodischen amish-schwarz auf den Gästeblock zu. Offenbar wurde weiter unten eine Zaunfahne präsentiert, die auf der Gegenseite für amtliche Empörung sorgte. Und da es im Stadion so still war, konnte man in der Folge jedes Centstück einzeln fallen hören. Pliiing - „da hinten ist ein Gitter vor dem Gästeblock“.... Pliiiing - „da stehen Cops vor dem Gitter“....Pliiing - „wir sind nur zu zehnt“. Und da es in jeder Gruppe einen gibt, der vom Teller der Intelligenz nur mit dem Eierlöffel gekostet hat, schafften es nur neun, auf den Hacken umzudrehen und wieder zurück zu laufen. Und jetzt mal ganz ernsthaft: Auch wenn die Aktion völlig albern war, war es auch seitens der Polizei absolut unnötig, die verbliebene Ein-Mann-Sturmtruppe aus nächster Nähe mit Pfefferspray einzunebeln. Für manche scheint auch dort „Distanzwaffe“ ein Wort mit zu vielen Buchstaben zu sein.
Autokorso in Hannover
Nach Abpfiff versöhnt nach dem Sieg dann wenigstens der Blick auf die Tabelle ein bisschen. Ist immer noch eine scheiß Saison und das Meckerpotential demzufolge weiterhin hoch. Insofern alles im grünen Bereich und das Gastspiel an der Leine ein voller Erfolg. Zum langsamen Runterkommen schiebt man sich dann in einer Blechkarawane knappe anderthalb Stunden lang in Richtung Autobahn. Man weiß dort einfach, wie man so einen Pöbeltag ordentlich abrundet. So kommt man dann nach Hause und schlummert glücklich mit einem „Gott, ist Hannover scheiße“ ein.
Die Spieler in der Kritik
Weidenfeller: Ohne die Möglichkeit sich besonders auszuzeichnen, stets konzentriert und bei beiden Gegentoren Machtlos. Note: 2-
Subotic: Agierte teilweise etwas unglücklich in den Zweikämpfen und leitete den 3:2 Anschlusstreffer durch einen missratenen Befreiungsschlag ein. Note: 4
Hummels: Wirkte sicher und rettete einmal auf der Linie. Ansonsten nur wenige Impulse für die Offensive. Note: 3
Sokratis: Solide mit der dicken Chance auf 4:1 zu erhöhen. Sehr flexibel was seine Position anging: Erst Rechtsverteidiger, dann Linksverteidiger. Note: 3+
Kirch: Ordentlich, wenn auch teilweise etwas orientierungslos in der Defensive und ohne Akzente in der Offensive. Note: 3
Gündogan: Zweikampf schwach, Kreativität gleich null und durfte immerhin bis zur 72. Minute spielen. Knüpft an seine Leistung der letzten Spiele nahtlos an. Note: 5
Kehl: Defensiv solide, auch wenn er beim 1:1 von Hannover wie viele andere Dortmunder nicht gut aussah. Note:3
Kuba: Wirkte zu Beginn etwas übermotiviert und leitete das 1:1 von Hannover ein, als er den Ball im Dribbling verlor und im Anschluss nur hinterherlaufen konnte. Mit zunehmender Spieldauer gewann er an Sicherheit und konnte auch den einen oder anderen Akzent setzen. Note: 3
Kagawa: Erste Halbzeit verschlafen, zweite Halbzeit aufgewacht und an frühere Tage erinnert. Note: 2-
Reus: Fiel lediglich als Vorbereiter auf. Zeigte gegen Hannover keine Vollstreckerqualitäten und hätte das 4:1 machen müssen, als er nur den Pfosten trifft. Note: 3
Aubameyang: Zwei Tore und somit alles richtig gemacht! Note: 1-
Dudziak: Lies nichts anbrennen bei seinem Bundesligadebüt. Note: 3
Die Spielstatistik
Hannover 96: Zieler - Sakai, Marcelo, Felipe, Schulz - Sané - Briand, Stindl, Kiyotake, Bittencourt – Joselu
Borussia Dortmund: Weidenfeller – Kirch, Subotic, Hummels, Sokratis – Kehl, Gündogan – Blaszczykowski, Kagawa, Reus – Aubameyang
Einwechselungen: 71. Albornoz und Prib für Schulz und Briand, 85. Andreasen für Sakai - 58. Dudziak für Kirch, 72. Bender für Gündogan, 90. Ramos für Reus
Tore: 0:1 Aubameyang (19.), 1:1 Stindl (31., 1:2 Kagawa (57.), 1:3 Aubameyang (61.), 2:3 Stindl (82.)
Schiedsrichter: Brych (München)
Gelb-Rote Karte: Bittencourt (55.)
Gelbe Karten: Sané - Subotic
Zuschauer: 49.000 im ausverkauftem Niedersachsenstadion
Sascha, 22.03.2015