Testkick und mehr
Länderspiel-Kack-Pause. Vereinsfußball-Tristesse. EL-Kartenfehlerentschuldigung. Tabellenführerrausch-Unterbrechungstage. Diese abstrusen Wortneuschöpfungen als verquere Einleitung in die Berichterstattung über einen Testkick, der dann doch etwas mehr zu bieten hatte, als der bloße Name vermuten lässt.
Geschichten gibt es im Rahmen eines solchen Spieles genug zu erzählen. Zur Not saugt man sie sich eben aus den Fingern und erwähnt auch die größten Sinnlosigkeiten. Muss man hier aber zum Glück gar nicht, denn ein Dienstagabend im fast ausverkauften Millerntor bei fast schon exotisch gutem Anti-Hamburger Wetter kann dann eben doch ein bisschen mehr. Vor allem, wenn die sportliche Komponente in diesem Testspiel noch stärker in den Hintergrund rückt, als es sowieso schon der Fall ist, wenn knapp die Hälfte des Kaders mit den entsprechenden Nationalmannschaften on Tour ist. „Refugees Welcome“, so lautete das Motto, das von den Hamburgern ausgegeben und durch mehrere tolle Aktionen mit Leben gefüttert wurde.
„Say It loud, Say It Clear, Refugees Are Welcome Here!”
Über 1.000 Flüchtlinge waren im Stadion live dabei und konnten auch schon lange vor Anpfiff die sehr angenehme Atmosphäre im Herzen St. Paulis genießen – begleitet durch viele (ehrenamtliche) Betreuer, wurden die Flüchtlinge von Hamburgern in der Hansemetropole willkommen geheißen. Überall wurden Bilder geknipst, die größeren zusammenhängenden Gruppen glichen einem Schulausflug, der an jeder Ecke etwas Neues und Aufregendes zu bestaunen hatte. Schnell wurden mit St.Pauli Anhängern die wichtigsten Stadion-Schlachtrufe einstudiert, sodass es im Stadion mit der Fußballkommunikation direkt passte. Einige Flüchtlingskinder konnten sich das Geschehen auf den Rängen anfangs sogar vom Rasen anschauen, denn sie liefen mit den Spielern unter großem Applaus des Publikums ins Stadion ein.
Ein Highlight zu Beginn auch die Stadionsprecherin des Gastgebers, die beim Verlesen einiger Namen – Stichwort Weidenfelder – ihre liebe Mühe hatte. Neuzugang Januzaj/Jazuni/Januzi bereitete ihr dabei die größten Probleme. Dabei wusste eben jener Adnan Januzaj die auffälligsten Akzente innerhalb der ersten halben Stunde zu setzen. Dem Belgier mit der Rückennummer 9 fehlte zwar logischerweise noch die Bindung zu seinen neuen Mitspielern, aber wenn er offensiv am Ball war, sah das bisweilen hochkarätig aus. So auch in der 12. Minute, als er im Strafraum durch zwei braun-weiße Verteidiger hindurchglitt, den Abschluss aber leider verzog. Zu diesem Zeitpunkt führte der vor allem in der Vierkette neu zusammengewürfelte BVB bereits mit 1:0. Castro hatte vier Minuten zuvor aus zentraler Position genetzt. St. Pauli spielte munter mit und brachte die Außenverteidiger in unangenehme Situationen, weil doch die eine oder andere Flanke ihren Weg in den Strafraum fand. Routinier Bender leistete sich in der Frühphase ungewöhnlich viele Abspielfehler im Aufbau, stabilisierte sich dann aber schnell und gab zusammen mit Leitner und Castro den Takt im Mittelfeld vor. Auch Felix Passlack konnte sich in fast jeden Angriff einbringen und steuerte seinerseits gut getimte Pässe und geschickte Verlagerungen bei. Er orientierte sich stark an seinen älteren Mitspielern, auf dem Platz wurde viel gesprochen. Subotic, Bender, Castro und Schmelzer waren es dann auch, die nach dem Spiel explizit von Thomas Tuchel für ihre Leistungen gelobt wurden – vor allem natürlich, weil sie durch ihre Erfahrung die jungen Spieler durch die Partie führten. Entsprechend häufig wurden diese vier durch Anspiele gesucht und auch gefunden.
Die Kiezkicker fanden nach den ersten fünfzehn Minuten bis zum Halbzeitpfiff kaum noch statt, zu abgeklärt und druckvoll war die Spielweise des BVB. Die größte Chance, ein Elfmeter, wurde von Lennart Thy vergeben – er setzte den Strafstoß (dessen Verursacher Christoph Zimmermann in einem Pflichtspiel als letzter Mann nicht mit der gelben Karte davongekommen wäre) wuchtig an den Querbalken. Mehr oder weniger aus dem Nichts fiel dann jedoch der Anschlusstreffer zehn Minuten vor Halbzeitpfiff. Ausgerechnet Jeremy Dudziak schlug abermals eine präzise Flanke in den Strafraum, die am langen Pfosten eiskalt von Picault per Kopf verwandelt wurde.
Die Souveränität war in der Folge aber nur kurz verschwunden. Chancen, den alten Abstand wiederherzustellen, gab es einige, doch es fehlte die letzte Genauigkeit im Abschluss beziehungsweise das Auge für den besser postierten Nebenmann. Mit dem Halbzeitpfiff war das Spiel dann eigentlich auch gelaufen, denn dann wurde auf beiden Seiten fleißig durchgewechselt, sodass das Durchschnittsalter der U19/U23-Borussia im zweiten Durchgang von Keeper Weidenfeller und Castro doch arg angehoben wurde. Denn um diese beiden erfahrenen Säulen (sagen wir drei und zählen Neven in diesem Spiel auch zum alten Eisen) postierte Tuchel einige Perspektivspieler, die sich vor fast 26.000 Zuschauern austoben und beweisen durften. Tormöglichkeiten und Strafraumaktionen blieben so im zweiten Abschnitt Mangelware, ein richtiger Spielfluss wollte durch die vielen Wechsel nicht mehr aufkommen. Nach Abpfiff schnappten sich die Spieler beider Teams zwei große Banner, jeweils in den Vereinsfarben, und verdeutlichten noch einmal die klare Botschaft, die dieses Testspiel senden sollte und auch gesendet hat – in Hamburg und weit über die Stadtgrenzen hinaus: „Refugees Welcome!“
Borussia Dortmund: Weidenfeller – Fritsch (84. Flores), Subotic, Zimmermann, Schmelzer (64. Schumacher) – Bender – Leitner (80. Burnic), Castro – Januzaj (64. Serra), Ramos (46. Pulisic), Passlack (69. Larsen)
Tore: 0:1 Castro (7.), 0:2 Januzaj (18.), 1:2 Picault (35.)
Zuschauer: 25.731 im Millerntor-Stadion
Tim, 09.09.2015