Europa pass auf! Die Borussen kommen!
Der BVB gerät gegen Odds BK zwar erneut in Rückstand, walzt die Norweger aber im Anschluss derart überzeugend mit 7:2 nieder, dass sich die Frage aufdrängt, wer diese Mannschaft überhaupt noch stoppen soll. Dass das Ergebnis am Ende nicht zweistellig ausgefallen ist, lag nur am erneut verschwenderischen Umgang der Borussen mit den Torchancen.
Eigentlich war der Drops ja schon nach dem Hinspiel ziemlich gelutscht, weil die Schwatzgelben das Spiel in Norwegen trotz 0:3 Rückstand noch drehen konnten. Trotz dieser relativ eindeutigen Ausgangslage und des wenig klangvollen Gegners war das Stadion aber gut gefüllt. Wenn Borussia spielt, ist der Wettbewerb, der Gegner, das Wetter und die Anstoßzeit offensichtlich einigermaßen zweitrangig. Auf jeden Fall hatte jeder, der sich trotz Dauerregen ins Stadion begeben hatte, am Ende alles richtig gemacht. Die Borussen sorgten für bestes Entertainment, indem sie ein Offensivfeuerwerk vom feinsten abbrannten.
Kevin Kampl scheint wirklich auf dem Weg nach Leverkusen zu sein. Jedenfalls tauchte er nach den entsprechenden Gerüchten prompt nicht mehr im Kader auf. Nach seiner sehr durchwachsenen Leistung im Hinspiel wurde er allerdings auch nicht groß vermisst. Thomas Tuchel bestätigte nach dem Spiel auch, dass sich Kampl in Gesprächen mit einem anderen Verein befindet. Der Trainer warf erwartungsgemäß die Rotation an. Allerdings blieb er dabei moderater, als sein Ruf erwarten ließ. Neben dem bereits im Vorfeld angekündigten Weidenfeller, rutschten nur Hofmann und Sokratis in die Startelf. Letzterer ist aber dort ohnehin gesetzt. „Wenn Sokratis fit ist, dann spielt er auch“ hatte Tuchel in der PK vor dem Spiel schon keinen Zweifel an seiner Wertschätzung für den Griechen gelassen. Harte Zeiten für Neven Subotic, der anders als Matthias Ginter keine Zweit- und Drittposition hat, auf die er im Bedarfsfall ausweichen kann. Für Hofmann blieb Aubameyang draußen, der sich diese Pause nun wirklich mehr als verdient hatte.
Zu Beginn präsentierte sich die Südtribüne gut aufgelegt. Bereits nach zwei Minuten wurde der Europapokalsong angestimmt und alles hüpfte. Kurz darauf standen die restlichen Tribünen auch schon zum ersten Mal und stimmten Wechselgesänge an. Die Fans wollten hier keinen Zweifel lassen, dass auch ein Europapokalabend gegen einen eher kleinen Gegner wie Odds BK im Westfalenstadion ein Festtag ist. Die Norweger wurden von einem kleinen Häufchen in weiß begleitet, das den Gästeblock im Unterrang der Nord nicht einmal zur Hälfte füllte. Dafür hatten sie eine Trommel, ein paar Zaunfahnen und einige kleine Schwenker im Gepäck und versuchten so immer wieder auf sich aufmerksam zu machen. Meistens allerdings vergebens.
In der fünften Minute feuerte Reus einen ersten Warnschuss auf das Tor von Rossbach ab, doch der Norwegische Keeper konnte ohne große Probleme zur Ecke klären. Odds reihte bei Dortmunder Ballbesitz zwei dichte Viererketten vor dem eigenen Strafraum auf und der BVB ließ den Ball laufen. Von tiefstehenden Gegnern lässt man sich anscheinend unter Tuchel weniger aus dem Konzept bringen als zuletzt unter Klopp. Nach 8 Minuten wollte Reus einen Elfer, doch ob er da wirklich maßgeblich gehalten wurde, konnte ich von meiner Position aus nicht wirklich beurteilen. Jedenfalls war der Ball weit genug weg, dass der ukrainische Schiri bedenkenlos weiterlaufen lassen konnte. Anschließend machte der Mann in Schwarz sich allerdings nicht viele Freunde, weil er bei Odds eine sehr großzügige Herangehensweise wählte, während er nach Meinung des Publikums beim BVB genauer hinguckte.
Die erste richtig dicke Chance vergab Matze Ginter nach gut 11 Minuten. Immer wieder wurde der Ball flach durch den Strafraum der Norweger gepasst, bis Ginter schließlich frei vor dem Torwart zum Schuss kam. Doch er scheiterte zweimal aus kurzer Distanz und auch der anschließende Kopfball von Mchitarjan brachte nicht die erlösende Führung. Als sich die Fans aus Norwegen in einer Gesangspause der Dortmunder Ultras doch einmal laut vernehmbar zu Wort meldeten, ernteten sie von den Tribünen milden Applaus für ihren Einsatz. Ihre Mannschaft konnte sich allerdings kaum einmal aus der eigenen Hälfte befreien. Immer wieder spielte der BVB sich schön vor das Tor, blieb dann aber im letzten Pass zu unpräzise. Vielleicht wurde auch einfach der Torgarant Aubameyng vermisst und man spielte daher die Bälle dahin, wo man ihn normalerweise vermuten würde. Die nächste Chance hatte dann Kagawa, der es zweimal aus der Distanz versuchte.
Dann kam Odds irgendwie zu einer Ecke und plötzlich war es wieder soweit, der Fluch der Norweger schlug zu. Die Ecke flog in den Strafraum, beim BVB versuchte man es mit Raumdeckung und schon war es passiert und man lag wieder hinten. Wohl selten hat eine Mannschaft derart aus dem Nichts heraus getroffen. Der Ball segelte nah am Tor durch den Strafraum und auch der Kopfball schien innerhalb des Fünfmeterraums abgegeben worden zu sein. Neben der fehlenden Zuordnung in der Verteidigung muss man dem Torwart bei einem solchen Treffer sicher eine gewisse Mitschuld geben. Weidenfeller klebte auf der Linie, wie man es in seinen Dortmunder Anfangszeiten gewohnt war. Offenbar leidet seine Sicherheit doch deutlich unter seiner derzeitigen Reservistenrolle. So sammelt er jedenfalls eher wenige Argumente für eine dauerhafte Rückkehr zwischen die Pfosten.
Der BVB antwortete mit noch mehr Angriffspower. Ginter traute sich sogar ins Dribbling, aber die letzte Präzision bei der Hereingabe fehlte noch. Der BVB sezierte weiter die Abwehr der Norweger, aber es fehlte eindeutig ein Zielspieler, der die Dinger dann auch mal verwertet, die durch den Strafraum segeln.
Doch dann kam der Mann, der in dieser Saison bislang den Unterschied macht: Henrich Michitarjan wurde von Hummels angespielt, nahm den Ball einmal an und donnerte ihn dann trocken aus 18 Metern in den langen Winkel. Ist das wirklich noch der gleiche Spieler, der einst gegen Real den Ball nicht im leeren Tor untergebracht hatte? Da gab es jedenfalls auch für die Dortmunder Ultras kein Halten mehr und der Armenier wurde mit lautstarken Sprechchören gefeiert. Ehre, wem Ehre gebührt.
Kurz darauf waren die Verhältnisse dann auch endgültig wieder gerade gerückt. Gündogan dribbelte Richtung Grundlinie und legte überlegt zurück auf Reus und der vollstreckte trocken aus kurzer Distanz. Jetzt wurde aus dem Süden angekündigt, dass der schöne BVB nicht nur den U-UEFA-Cup holen wird, sondern auch noch die Meisterschaft. Vielleicht eine etwas gewagte Prognose so früh in der Saison, aber unmöglich ist das nicht. Wer hätte gedacht, dass die erste Saison unter Tuchel derart stark startet, so dass nach der zwischenzeitlichen Abstiegsangst der letzten Saison bei nur moderat verändertem Kader schon wieder solche Träume blühen können?
Das 3:1 war dann endgültig ein Treffer zum Zungeschnalzen, nach einer wunderbaren Direktkombination über Gündogan und Mchitarjan war erneut Reus zur Stelle. Gündogan wirkt im Vergleich zur letzten Saison ähnlich ausgewechselt wie Mchitarjan oder Schmelzer. Er war überall auf dem Platz zu finden, wirkte agil und beweglich und zeigte die Übersicht und Passsicherheit, die ihn einst in die Notizbücher aller europäischen Spitzenclubs brachte. Dieser Umschwung bei so vielen Spielern lässt sich auch nicht allein mit zurückgewonnener Fitness erklären.
Dann kam es zu einigen ungewöhnlichen Szenen. Ginter wurde ein nach seinen Maßstäben völlig normales Kopfballduell im Mittelfeld abgepfiffen. Na gut, sein Gegenspieler blieb benommen liegen, aber das liegt halt nur an Ginters Masse, die einiges aus dem Weg räumen kann, wenn sie mal in Bewegung ist. Für das angebliche Foul holte Ginter sich dann ein Sonderlob vom Kollegen Sokratis ab, der solche Kompromisslosigkeit offenbar besonders zu schätzen weiß. Als er direkt im Anschluss selbst Opfer einer ähnlichen Attacke wurde, zeigte sich der Grieche weniger begeistert. Dabei war ihm nur der eigene Torwart in den Rücken gesprungen. Roman Weidenfeller hatte wohl nicht mitbekommen, dass der Schiri den Freistoß schon zurückgepfiffen hatte, als der noch in der Luft war. Es war auch weit und breit kein Norweger zu sehen, weshalb es komplett unklar blieb, was Weidenfeller bei der Aktion geritten hatte.
Egal, der BVB kombinierte und traf einfach weiter. Jetzt war Kagawa an der Reihe, sich in die Torschützenliste einzutragen. Erneut wurde der Ball über Außen flach in den Strafraum gepasst und diesmal war der kleine Japaner der dankbare Abnehmer. Für Odds BK wurde es nun ein wenig arg bitter und man wünschte sich schon fast, dass der Schiri die Partie aus Gnade bereits zur Halbzeit abpfeifen möge. Denn der Klassenunterschied zwischen den Mannschaften trat nun eklatant zutage.
Zur Pause gab es stehende Ovationen von den Rängen und die bedauernswerten Norweger torkelten in Richtung Kabine als hätten sie am Nachmittag bereits zu viel vom guten und günstigen Dortmunder Bier genossen. Dabei hatte der BVB sie schlicht schwindelig gespielt. Natürlich darf man Spiele gegen einen solch unterlegenen Gegner nicht überbewerten, aber inzwischen zeichnet sich beim BVB doch ein gewisser Trend ab und der zeigt steil nach oben. Wenn sich diese Entwicklung verstetigen sollte, dann werden noch ganz andere Mannschaften als Odds BK mit einem mulmigen Gefühl auflaufen, wenn es gegen die Borussen geht.
Zweite Halbzeit
Coach Fragermo hatte nun eingesehen, dass dieses Spiel auf rutschigem Geläuf nichts für den Brecher Olivier Occean war und brachte nach der Pause für ihn Ulrik Flo ins Spiel. Der war nun bemüht, etwas mehr Druck auf Hummels auszuüben, aber der schüttelte ihn ab wie eine lästige Fliege. Der nächste Dortmunder, der sich belohnen durfte, war dann Gündogan. Hofmann legte klug für ihn ab und Gündogan schoss direkt aus der Distanz. Rossbach hatte noch die Hand am Ball, konnte ihn aber nicht mehr entscheiden ablenken. Wohl der erste Gegentreffer, an dem er nicht ganz unschuldig war.
Dortmund machte einfach da weiter, wo sie in der ersten Halbzeit aufgehört hatten. Immer wieder zischte der Ball durch den Strafraum der Norweger, die mit den schnellen Stafetten völlig überfordert waren. Selbst mit 1:5 waren sie zu diesem Zeitpunkt mehr als gut bedient. Als sie sich dann doch einmal über die Mittellinie trauten, hieß es THIS IS SPARTA und bei Sokratis‘ Todesgrätsche war Endstation. Direkt im Gegenzug machte Reus nach toller Vorarbeit von Mchitarjan seinen Hattrick perfekt und so nahm das Debakel weiter Form an. Der tapfere Rossbach war nun endgültig angeknockt und irrlichterte durch seinen Strafraum.
Der BVB spielte nun sogar am eigenen Strafraum tiki-taka, wobei sich Weigl erneut mit seiner Ballsicherheit und Übersicht hervortat. Der Junge ist ein unfassbarer Rohdiamant. Vorne ging man jetzt etwas zu verschwenderisch mit den Chancen um. In dieser Beziehung kann sich unsere Mannschaft wirklich eine Scheibe von Odds abschneiden, denn die trafen auch mit ihrem zweiten Torschuss. Diesmal war Weidenfeller allerdings chancenlos.
Als dann Mchitarjan und Sokratis ausgewechselt wurden, erhoben sich die Tribünen und spendeten standing Ovations. Kurz darauf verließ auch Ilkay Gündogan den Platz und bekam auch den verdienten, warmen Applaus von den Rängen, den er sichtlich genoss. Der Riss zwischen Gündogan und den BVB-Fans wächst wohl auch langsam wieder ein wenig zu, wenn er weiter derart überzeugend spielt.
Dann wäre sogar Weigl fast ein Treffer gelungen, aber er konnte den Abpraller nach Schuss von Aubameyang leider nicht kontrollieren. Es wäre ihm so zu wünschen, dass auch er sich mal den hochverdienten Jubel der Süd abholen kann. Reus zwang die Norweger dann fast zum Eigentor. Bei Odds wusste man inzwischen wohl auch nicht mehr, warum man nicht zweistellig hinten lag. Aber so eine Abreibung wollten die Borussen den tapferen Norwegern dann doch nicht verpassen.
Die Stimmung auf der Süd flachte leider trotz der überragenden Vorstellung der Mannschaft immer mehr ab. Der Stimmungskern wählte ein selbstreferenzielles Schalala-Lied nach dem anderen und riss damit verständlicherweise niemand sonst auf der Tribüne mit. Natürlich kann man bei so einem Spiel keine Endspielatmosphäre erwarten, aber zumindest ab und zu sollte man doch mal ein Liedchen einstreuen, das nicht nur dem harten Kern bekannt ist, wenn man nicht will, dass der Rest der Tribüne einschläft. Eine Viertelstunde vor Schluss versuchte man dann mit dem BVB-Walzer doch noch die Wende hinzukriegen, aber selbst dieser Klassiker wollte nicht mehr so wirklich zünden und so gab man den Versuch auch schnell wieder auf.
Der eingewechselte Piszczek weckte das Stadion dann nochmal kurz mit einem Pfostenschuss auf. Dann verflachte die Partie mal für ein paar Minuten, bis Aubameyang in seiner besten Szene wunderbar für Kagawa auflegte und der dann doch noch den siebten Treffer für Borussia erzielte. Dann war es vorbei und nach dem Schlusspfiff wurde es sogar nochmal richtig laut, als das Stadion seinem Stolz auf die Mannschaft Ausdruck verlieh.
Thomas Tuchel hat sicher nicht übertrieben, als er den BVB vor dem Spiel als einen Herausforderer auf den Titel bezeichnete, denn wenn die Mannschaft ihre bärenstarke Frühform auch nur ansatzweise konservieren kann, dann wird es wirklich schwer ein Team in der Europa League zu finden, das uns stoppen kann. Es macht einfach einen unfassbaren Spaß, dieser hochtalentierten Mannschaft dabei zuzusehen, wie sie ihre wiedergewonnene Spielfreude auf dem Platz auslebt. Morgen liegen dann für uns einige äußerst reizvolle Reiseziele im Lostopf und man darf gespannt sein, wo es uns in der Gruppenphase hin verschlagen wird. Momentan macht es wieder so richtig Spaß, Borusse zu sein.
Thomas Tuchel in der PK: Wir freuen uns sehr, dass wir den zahlreichen Zuschauern was bieten konnten. Wir wollen begeisternden Angriffsfußball spielen und das haben wir auch geschafft. Wir haben heute sehr hoch gestanden und haben es gegen einen tief stehenden Gegner viele spektakuläre und schön herausgespielte Tore zu erzielen. Deshalb bin ich sehr zufrieden. Ich freue mich, dass die Mannschaft mit so einer Wachheit und Lust auf dem Platz steht. Der Platz war heute sehr weich und nicht leicht zu bespielen. Aber wir haben das bis zum 6:1 sehr gut durchgezogen. Dann haben wir es verpasst, das 7:1 zu machen. Nach dem zweiten Gegentor war dann ein kleiner Bruch im Spiel, aber dabei hat sicher auch eine Rolle gespielt, dass wir am Sonntag schon das nächste Heimspiel haben. Es war sehr interessant gegen Odds zu spielen, denn das sind interessante und junge Spieler. Man hat gesehen, dass da eine Idee dahinter steht und alle Spieler diese Idee verinnerlicht haben. Sie haben uns mit ihrer wahnsinnigen Effektivität im Hinspiel überrascht, die sie auch heute wieder gezeigt haben.
BVB: Weidenfeller . Ginter, Hummels, Sokratis (64. Piszczek), Schmelzer – Weigl, Gündogan (66. Bender) – Hofmann, Kagawa, Mchitarjan (64. Aubameyang) – Reus
Odds Ballklubb: Rossbach – Hurme, Bergan, Hgen, Grogaard – Oldrup Jensen – Nordkvelle (65. Gashi), Borg – Halvorsen, Zekhnini (76. Akabueze) - Occean (46. Flo)
Tore: 0:1 Halvorsen (19. Grögaard), 1:1 Mchitarjan (25. Hummels), 2:1Reus (27. Gündogan), 3:1 Reus (31. Mchitarjan), 4:1 Kagawa (40. Ginter), 5:1 Gündogan (51. Hofmann), 6:1 Reus (57. Mchitarjan), 6:2 Berg (64. Halvorsen), 7:2 Kagawa (90. Aubameyang)
Gelbe Karte: Halvorsen
64.000 Zuschauer im Westfalentempel zu Dortmund
Web, 27.08.2015