In drei Akten in die Playoffs
Der BVB schlägt den Wolfsberger AC mit 5:0. Das ist der reine Fakt. Doch dieser zunächst mal laue Sommerkick bot dann doch noch ein wenig mehr. Ein Rückblick in drei Akten:
Erster Akt:
Bis zur 35. Minute hatte dieses Spiel alles, was Fan von einem müden Sommer-Testspiel erwarten darf. Für Unterhaltung sorgte lediglich die einzige Ecke der Gäste, bei der Wernitznig in bester Slapstick-Manier wegrutschte und die Kugel unmittelbar wieder ins Toraus beförderte. Ungefährlicher waren selbst die BVB-Ecken in der vergangenen Saison nicht.
Ansonsten verdiente sich Shinji Kagawa mit großem läuferischen Aufwand und wenig effektiven Ergebnissen die Einschätzung „stets bemüht", Ilkay Gündogan zeigte, dass er auch 2015/2016 Probleme haben kann, Bälle bei hohen Tempo anzunehmen und überhaupt wirkte das ganze Spiel recht fahrig: Stoppfehler, Abspielfehler, Ungenauigkeiten, das gegen einen Gegner der eigentlich genügend Raum bot, um daraus zählbares zu generieren. „Wir haben uns schwer getan, ins Spiel zu kommen, haben uns schwer getan, Tempo ins Spiel zu bringen", kritisierte deshalb auch Neu-Trainer Thomas Tuchel nach seiner Heimpflichtspielpremiere diese erste Phase des Spiels.
Entsprechend müde und gelangweilt präsentierten sich auch die Tribünen im sehr gut gefüllten Westfalenstadion. Bis, ja eben bis zu jener 35. Minute, in der Marius Avram seinen ersten großen Auftritt hatte. Was genau Anlass für die gelbe Karte gegen Marco Reus war, blieb bis heute unerklärt – jedenfalls war plötzlich Feuer drin. Auf dem Rasen und den Tribünen.
Zweiter Akt:
Was so ein grottenübler Schiedsrichter ausmachen kann. Plötzlich schienen die Unseren gewillt, die Pille doch endlich mal mit ordentlichem Zug in Richtung Wolfsberger Tor zu treiben. Das führte in den folgenden Minuten zu weiteren spektakulären Avram-Auftritten. Erst spielte Kagawa Marco Reus wunderbar frei, der zog alleine auf den Wolfsberger Keeper Kofler zu – und der verwechselte für einen Moment Fuß und Ball und holte Reus entsprechend konsequent von den Beinen.
Die ebenso konsequente Reaktion des Unparteiischen: kein Elfmeter. Zugegebenermaßen etwas besser schaute der nun im Fokus von fast 66.000 stehende Mann in schwarz dann beim unmittelbar folgenden Aufreger hin: Wieder spielte Kagawa den Pass, bekam den Ball mustergültig von Aubameyang wieder und der Japaner brachte die Kugel endlich im Tor unter. Was auf den Tribünen dabei nur schwerlich zu erkennen war: Der Batman des BVB stand beim Abtropfen der Murmel klar im Abseits. Jetzt war richtig Musik drin und der Halbzeitpfiff ging fast unter im Pfeifkonzert der Ränge. Besten Dank an Herrn Avram, der dem Dortmunder Publikum nach langer Sommerpause ausreichend Möglichkeiten gab, die Schimpf- und Pfeiforgane zu entstauben.
Dritter Akt:
Fußball! Endlich! Wieder! Fußball! Das hatte schon was von altem-neuem BVB-Offensivfußball. Was die Tuchel-Jungs in den zweiten 45 Minuten auf den Rasen legte: Konzentriert, couragiert und endlich auch im Abschluss erfolgreich. Den Auftakt machte Marco Reus gleich nach Wiederanpfiff nach feiner Vorarbeit von Mchitarjan über links. Den Deckel auf die Playoff-Dose machte dann Aubameyang. Ein Tor, das Norbert Dickel zu einer Lobeshymne auf Ilkay Gündogan und seiner Vorarbeit verleitete – zurecht! Solche perfekt getimten Pässe waren es einst, die den BVB-Spielmacher ins Schaufenster für die ganz Großen in Europa rückten.
Lange ist das her. Umso erfreulicher, dass Ilkay – wenn auch nur gegen extrem harmlose Kärntener – noch immer in der Lage ist, die perfekte Vorarbeit zu leisten.
Und dann wäre da noch dieser Spieler mit der Nummer 10. „Dieser Hattrick Mchitarjan? Kannte ich nicht, der muss neu sein", war nach dem Spiel ein oft gehörter „Scherz". Denn was hatte denn bitte dieser Auftritt mit dem Henrich Mchitarjan gemein, den wir über weite Teile der vergangenen zwei Jahren erleben mussten?
Voller Selbstbewusstsein, Agilität und – hier wird es jetzt wirklich ein wenig surreal – Torgefahr. Aus der Distanz! Wir sollten es tunlichst unterlassen, schon jetzt vom verspäteten Durchbruch zu sprechen, aber dieser Auftritt hat ohne Ende Mut gemacht, dass Mchitarjan sein nie bezweifeltes Potenzial endlich abruft. Drei Tore, eine Torvorlage, stets präsent und anspielbereit – gerne mehr davon.
Nach der 13-minütigen Show des Armeniers stand nach 90 Minuten also ein überzeugender, hochverdienter 5:0-Erfolg gegen einen Wolfsberger AC, der nie an die Gefährlichkeit des Hinspiels erinnerte und schlichtweg grausam schlecht war.
Das fiel auf dem Platz auf:
Thomas Tuchel ließ zu Beginn in altbekannter Formation und auch mit weitestgehend altbekannten Namen antreten. Einzig Julian Weigl schaffte den Sprung in die Startelf und der 19-Jährige machte seine Sache gleich mal brillant. Er lief Räume zu, gewann Zweikämpfe, ließ sich in den richtigen Momenten nach hinten fallen und spielte gefühlt keinen einzigen Fehlpass. Hut ab!
Aubameyang irrte in der ersten Halbzeit des Öfteren im Nirgendwo herum, immer auf der Suche nach seiner Möglichkeit. Dabei wirkte er aber selten abgestimmt mit seinen Hinterleuten und agierte somit auffällig ungefährlich. Aber das änderte sich in der zweiten Halbzeit. Er ein wunderbar herausgespieltes Tor und im weiteren Verlauf viel bessere Koordination, was zu weiteren Chancen der Kategorie „mussa machen" führte. Schon am Sonntag gegen Chemnitz sollte der Gabuner solche Dinger unbedingt wieder verwerten.
Der BVB agierte wieder mit deutlich weniger Schnörkeln im Spielaufbau. Die Räume, die der WAC den Borussen bot, versuchten die Schwarz-Gelben durch schnelles Überbrücken des Mittelfelds auszunutzen, was in der zweiten Halbzeit, mit Anhebung des Tempos, dann auch von Erfolg gekrönt war.
Auch nach dem vorentscheidenden 1:0 drückte der BVB weiter aufs Gaspedal. Allzu häufig haben wir in der Vergangenheit schon erlebt, wie sich unsere Mannen nach einem Führungstreffer geruhsam zurücklehnten und auf Verwaltungsarbeit umschalteten. Dem neuen Trainer scheinen es jedoch alle beweisen zu wollen, und so spielten sich Gündogan, Mchitarjan und Co. in einen wahren Rausch.
Henrich Mchitarjan kann Torgefahr. Wie ansatzlos der Offensivspieler das 4:0 einnetzte, wie entschlossen er einfach mal den Abschluss aus der Distanz suchte und somit die folgenden Torwartpatzer provozierte - Miki, das kannten wir so bislang noch nicht von dir. Weiter so!
Das fiel auf den Tribünen auf:
Das Westfalenstadion schuf zehn Minuten vor Anpfiff eine würdige Atmosphäre, um zweien von uns einen würdigen Abschied zu bereiten. Laura und Martin, Mitglieder des BVB-Fanclubs Nordthüringer Borussen, kamen bei einem Unfall auf der Rückfahrt vom Hinspiel ums Leben.
Mit Schweigen, Applaus und einem besonders lautstarken You'll Never Walk Alone gedachten die bereits Anwesenden den beiden Borussen.
Leider waren zehn Minuten vor Anpfiff längst nicht alle Besucher auf ihren Plätzen. So wurde die Schweigeminute durch merklichen Betrieb unter den Tribünen ein wenig getrübt. Wieso der BVB auf eine Schweigeminute unmittelbar vor Anpfiff verzichtete, ist jedoch leicht zu erklären und gleichermaßen schwer zu glauben: Ab acht Minuten vor Anpfiff geht die Vorprogramm-Regie in die Hände der UEFA. Alles was ab diesem Zeitpunkt rund um das Spiel durchgeführt werden soll, muss in Absprache mit den wichtigen Menschen in der Schweiz abgesprochen werden – und die Erfahrung lehrt, dass solche oder ähnliche Anliegen nur mit großem Aufwand durchgebracht werden können. Irgendwie verständlich, dass der BVB diesem Affenzirkus umgehen wollte und gleichzeitig dramatisch, dass der europäische Fußballverband es hat soweit kommen lassen.
Um die Hinterbliebenen zumindest finanziell etwas unterstützen zu können, wurde ein Spendenkonto für Laura und Martin eingerichtet.
Kontoinhaber: Turn- und Sportverein 1914 Berlstedt/Neumark e.V.
IBAN: DE13 8204 0000 0458 7572 00
BIC: COBADEFFXXX
Verwendungszweck: Spendenkonto Martin und Laura
Der Sommer ist gelb und gelb steht dem Westfalenstadion noch immer am besten. Kramt eure Trikots und gelben Shirts raus, solange das Wetter es noch zulässt!
Die Stimmung passte sich dem Spiel an: Es brauchte erst die umstrittenen Schiedsrichterentscheidungen, um Süd- und die übrigen Tribünen aus ihrer Sommerlethargie zu reißen.
Eine neue Ultras-Zaunfahne im Block 13
Borussia Dortmund:
Weidenfeller - Piszczek, Sokratis, Hummels, Schmelzer - Gündogan, Weigl - Kagawa, Reus, Mchitarjan - Aubameyang
Reservebank:
Bürki (Tor), Ginter, Bender, Castro, Hofmann, Kampl, Ramos
Wolfsberger AC:
Kofler - Berger, Hüttenbrenner, Sollbauer, Palla - Standfest - Jacobo, Putsche, Weber, Wernitznig - Silvio
Reservebank:
Dobnik (Tor), Baldauf, Kobleder, Zündel, Tschernegg, Zulj, Trdina
Schiedsrichter: Marius Avram (Rumänien)
Wechsel:
Borussia Dortmund:
65. Castro für Kagawa
77. Hofmann für Reus
77. S. Bender für Gündogan
Wolfsberger AC:
67. Trdina für Putsche
74. Zulj für Wernitznig
Tore:
1:0 Reus (48.)
2:0 Aubameyang (64.)
3:0 Mkhitaryan (73.)
4:0 Mkhitaryan (82.)
5:0 Mkhitaryan (86.)
Chancen: 21:0
Ecken: 9:1
Fouls: 11:5
Zuschauer: 65.190 (Europa-League-Rekord in Quali-Runde 3)
Clemens, 07.08.2015