Spielbericht Profis

Das Spiel beginnt, wenn der Schiri pfeift!

17.05.2015, 19:02 Uhr von:  Redaktion

Zur Abwechselung mal im OberrangMontagmorgen, 8 Uhr. Die Klingel hat den Tag schon eingeläutet, während man noch immer schlaftrunken das Schulhaus betritt. Hausmeister oder Pausenaufsicht fuchteln mit den Armen und rufen so etwas wie „Jetzt aber schnell!“ entgegen, doch irgendwie hat man noch nicht so recht Bock auf Mathe – am Ende wird man ja doch nur abgefragt, wenn man pünktlich erscheint. Also schlurft man gemächlich in Richtung Klassenzimmer, ein kleiner Schlenker Richtung Toilette und Cola-Automat darf nicht fehlen, sackt auf seinem Stuhl zusammen und stellt fest: „Ach du kacke, heute ist ja Schulaufgabe!“ Die ersten fünf Minuten verpasst und schon ins Hintertreffen geraten – wie hat man sie doch immer gehasst, diese Zahlenwemmser, die selbst nach einem harten Wochenende ausgeruht und pünktlich loslegen konnten!

Ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber kann mir vorstellen, dass diese Worte zu den ersten gehören dürften, die Ilkay Gündogan, Erik Durm oder Neven Subotic beim Diktat ihrer Biographien ins Mikro sprechen werden. Wie so oft in dieser Saison hatten sie das Kunststück vollbracht, bereits in der ersten Minute einen Gegentreffer zu provozieren, der ebenso albern wie unnötig war. Zum vierten Mal in dieser Saison ging Borussia Dortmund mit einem Verbessert aber ohne KonstanzRückstand ins Spiel, dem man über 90 Minuten hinterherrennen sollte. Diesmal hatte Gündogan unbedrängt einen Fehlpass auf Daniel Caligiuri gespielt, der mühelos auf Kevin de Bruyne ablegen und dann zusehen konnte, wie dieser ungestört von Durm einen Flachpass mitten vors Tor spielte. Weil Subotic irgendwo zwischen Cola-Automat und Toilette aufgehalten worden sein musste, konnte Caligiuri seinen Schlappen hinhalten und aus kürzester Distanz zum 1:0 einschieben, vorbei am gleichermaßen überraschten wie verärgerten Mitch Langerak.

Aber klar, shit happens! Es fängt ja nicht nur der frühe Vogel einen Wurm. Manchmal muss man sich auch eingrooven, bis man den richtigen Flow gefunden hat und so richtig loslegen kann. Klar, dass man dabei ein paar Misstöne produzieren kann, wie in der sechsten Minute, als ein simpler Seitenwechsel Ivan Perisic mutterseelenallein auf der rechten Seite erreichte, ihn niemand so recht attackieren wollte und der nächste gefährliche Torschuss entstand. Manchmal regelt das ja auch die Abseitsfalle. Bloß nicht mit zu viel Hektik in den Tag starten!

Mats Hummels musste kurzfristig passenAußerdem gab es da ja immer die Jungs, die ihre Hausaufgaben gemacht hatten und einem sowieso noch einen Gefallen schuldeten, weil man ihnen ja neulich den begehrten Platz neben den beiden Klassen-Häschen überlassen hatte. Da wird man ja wohl mal einen Gefallen einfordern und ein bisschen abschreiben dürfen, oder? Kein Ding, dachte sich Pierre-Emerick Aubameyang und schob das Blatt in Richtung seiner lässigen Kollegen. Locker verlängerte er einen Ball in den Strafraum, wo das Frisurenverbrechen auf zwei Beinen Kevin Kampl formvollendet von den Beinen geholt wurde und einen Elfmeter zugesprochen bekam. Aubameyang trat an, links unten schlug das Leder ein.

Wieder bimmelte die Klingel, Ende der Bearbeitungszeit und die zweite Stunde begann. Gerade erst hatte man seinen Hintern mit einem Gewaltakt aus der Gefahrenzone geschleppt, dann kam Englisch. Englisch, was hatte man jetzt keinen Bock auf Englisch! Immerhin war ein paar Minuten kein Lehrer in Sicht und konnte man sich jetzt nochmal so richtig austoben. Irgendwo mussten doch Mandarinen oder nasse Schwämme zu finden sein, die man so richtig schön mit Wumms an die nächste Wand klatschen konnte? Dummerweise waren die ungeliebten Jungs aus der Parallelklasse wie immer schneller gewesen und hatten bereits zum Angriff geblasen! Gefährlich senkte sich der saftige Schuss Perisics und landete auf dem Tornetz, versuchte es Bas Bost mit einem Kopfstoß und wenig später einem mächtig verzogenen Torschuss, während man selbst nur Distanzschüsse Henrikh Mkhitaryans anzubieten hatte.

Kevin Kampl holte den Elfmeter zum 1-1 rausDoch auch in der Abwehr stimmte einiges nicht. Immer wieder stand Durm im Mittelpunkt, der gegen Caligiuri, de Bruyne und Maximilian Arnold heillos überfordert wirkte. Nur zwei gute Aktionen im ersten Durchgang, als er ein Laufduell gegen de Bruyne nach einem langen Pass von Ricardo Rodriguez gewinnen (28.) und einen Pass auf Caligiuri abfangen konnte (44.), reichten einfach nicht für ein ausreichendes Gesamtbild. Dass seinen Nebenleuten kaum mehr einfiel, machte es da kaum besser. Immer wieder musste Langerak die Kohlen aus dem Feuer holen, als Wolfsburg viel zu oft und viel zu leicht zu guten Torchancen gekommen war.

Immerhin stimmte der Zusammenhalt der Klasse Borussia. Je öfter die Wolfsburger angegriffen hatten, desto wütender fielen die Konter der schwarzgelben aus. Mkhitaryan, der sich vom unglücklichen Mobbing-Opfer über Nacht zu einem selbstbewussten Hoffnungsträger gewandelt hatte, drängte nun immer öfter in den Fokus. Ein großer Sprint rechts in den Strafraum und eine passgenaue Flanke auf Aubameyang waren schlicht und ergreifend Sahne, wurden aufgrund Aubameyangs überschaubaren Kopfballspiels aber leider nicht mit dem verdienten Tor gekrönt (36.). Auch Marcel Schmelzer, der einen Angriff Perisics kurz vor dem Tor unterbunden hatte, mischte sich nun stärker vorne ein – hartnäckig am Ball bediente er zunächst Kampl, dessen Flanke nur knapp am freigelaufenen Aubameyang vorbeisegelte (42.), bis er selbst eine Flanke in den Strafraum brachte und höchstens fünf Zentimeter an Aubameyang vorbeischoss (45.)

Alle Proteste von Mitch halfen nichts - der Treffer zählteEs folgte der Pausenpfiff. Jürgen Klopp konnte nicht zufrieden damit sein, wie sich seine Schützlinge bislang verkauft hatten. Mit viel Aufwand waren sie der eigenen Sorglosigkeit begegnet und mussten ein Handicap mit sich herumschleppen. Als sie es dann auch noch versäumt hatten, die Großchancen zum Führungstreffer zu nutzen, brodelte es in ihm wie in einem kleinen Vulkan. Bewusst schickte er seine Spieler als erste Mannschaft aufs Feld, um ihnen die Schlafmützigkeit des ersten Durchgangs auszutreiben. Genutzt hatte es allerdings wenig: Schon in der 49. Minute landete der Ball nach einer Ecke im Gewurschtel vor Langerak, als Naldo den Abpraller schlaksig zum 2:1 in die Maschen schob. Dass gleich zwei Wolfsburger rund zwei Meter im Abseits standen und dabei keineswegs ganz passiv blieben, passte ins Bild.

Wieder also lief Borussia einem frühen Rückstand hinterher und lag es an Aubameyang, etwas daran zu ändern. In der 51. Minute hätte es auch beinahe geklappt: Von der Wolfsburger Abwehr vergessen, marschierte er in Richtung Tor und legte zurück auf den mitgelaufenen Mkhitaryan – leider fiel dessen Torschuss aber ein wenig überhastet aus und ging links vorbei. Es sollte die letzte richtige Chance des BVB gewesen sein, der zunehmend den Antrieb verlor und sich seinem Schicksal ergab.

Naldo gegen AubameyangDass die Niederlage nicht höher ausfiel, lag dabei weniger am gelungenen Dortmunder Defensivspiel, als am Unvermögen der Hausherren. In der 59. Minute hatte Schmelzer klar das Laufduell gegen de Bruyne verloren, doch stoppte den Belgier ein Stockfehler vor dem Pass. In der 81. Minute verlor der schwache Gündogan den Ball an Vierinha, der zum Sprint durch das verlassene Mittelfeld ansetzte, sich beim Abspiel an die bereitstehenden Mitspieler Caligiuri oder de Bruyne aber verhaspelte. In der 92. Minute war Langerak bei einem Freistoß mit nach vorne gekommen und sah den Ball sogar auf sich kommen, als Wolfsburg den Zweikampf gewann und mit sechs Mann zum Konter in Richtung des verlassenen Tors startete. Doch statt aus der Entfernung draufzuhalten, versuchen es die Wolfsburger mit Ballstafetten – und spielten den letzten Pass ins Abseits.

So unterhaltsam das Spiel in der ersten Halbzeit gewesen war, so sehr hatte es in der zweiten Halbzeit nachgelassen. Von der Dortmunder Kreativabteilung war so gut wie gar nichts mehr zu sehen, immer öfter musste der Schiedsrichter das Spiel nach (vermeintlichen) Fouls unterbrechen und die gelbe Karte zeigen. Der Spielfluss auf beiden Seiten geriet ins Stocken, doch ging Wolfsburg mit der Situation insgesamt besser um. Ein Querschläger von Sokratis über das eigene Tor (64.), Gestocher nach der anschließenden Ecke oder die schon sehr freche Show von Perisic, als er Schmelzer vor seiner Flanke gleich mehrfach wie ein Kleinkind hatte aussteigen lassen (65.), waren nicht unbedingt die großen Glanzlichter. Wann immer Perisic, Arnold und Caligiuri einen Sprint anzogen, konnten sie machen, was sie wollen – bis Langerak sich ihnen in die Quere stellte.

Betretene Mienen nach SchlusspfiffErgebnis des Ganzen waren Gesänge der Wolfsburger, die sich bereits auf das Wiedersehen in zwei Wochen bezogen: „Im Finale schießen wir euch ab!“ Man wusste schon gar nicht mehr, auf wie vielen Ebenen diese Gesänge peinlich und doch irgendwie beängstigend waren – in keinem Fall wollte man sich jedoch vorstellen, wie das auch nach 18 Jahren Bundesliga noch immer armselige Wölfchen-Volk zwischen Spät- und Nachtschicht einen Pokal gewinnen könnte, während 70.000 feierwütige Borussen leer ausgehen sollten. Ein großer Kraftakt und eine um Längen bessere Leistung werden nötig sein, um dieses Szenario zu verhindern. Klassenleiter Klopp wird alle Hände voll zu tun haben, seine lässigen Abwehrspieler bis dahin zu pünktlichen und geistesgegenwärtigen Musterschülern zu machen.

Statistik:

Wölfi-Kurve: Benaglio - Jung, Naldo, Klose, Rodriguez - Guilavogui, Arnold - Perisic, de Bruyne, Caligiuri - Dost

Wechsel: Vieirinha für Rodriguez (77.), Hunt für Perisic (86.), Schürrle für Caligiuri (90.)

BVB 09: Langerak - Durm, Subotic, Sokratis, Schmelzer - Gündogan, Kehl - Mkhitaryan, Kagawa, Kampl - Aubameyang

Wechsel: Immobile für Kampl, Reus für Kagawa (beide 70.), Piszczek für Schmelzer (76.)

Tore: 1:0 Caligiuri, 1:1 Aubameyang (Elfmeter), 2:1 Naldo

Gelbe Karten: Benaglio, Perisic, Arnold, De Bruyne - Subotic, Gündogan

Noten:

Erlebte einen finsteren Tag. Fast alle Wolfsburger Angriffe in der ersten Halbzeit gingen über ihnLangerak: Machte ein ordentliches Spiel, ließ sich nicht viel zu Schulden kommen. Hinten ein ruhiger Pol, setzte am Ende alles auf eine Karte und riskierte damit ein drittes Gegentor. Note 3.

Durm: Erlebte einen finsteren Tag. Fast alle Wolfsburger Angriffe in der ersten Halbzeit gingen über ihn, gegen Arnold, Caligiuri und de Bruyne fand er überhaupt kein Mittel. Zwei gute Aktionen im ganzen Spiel waren viel zu wenig. Note 5.

Subotic: Kam beim ersten Gegentreffer zu spät, machte ansonsten eine wenig auffällige Partie. Note 4.

Sokratis: Ein Querschläger vor dem eigenen Tor, eine vergebene Torchance in der zweiten Halbzeit – alles in allem ein durchwachsener Auftritt. Note 4.

Schmelzer: Vorne hui, hinten pfui. Gute Aktionen in der Offensive leiteten zwei Großchancen ein, die Aubameyang Ende der ersten Halbzeit aber nicht verwerten konnte. Mitte der ersten Halbzeit hinderte er Perisic wenige Meter vor dem Tor am Abschluss. Dem gegenüber standen verlorene Laufduelle und Zweikämpfe, die zu Gegentreffern hätten führen können. Note 3,5.

Gündogan: Schlechtester Mann auf dem Platz. Katastrophaler Fehlpass vor dem 1:0, entwickelte trotz der mit Abstand meisten Ballkontakte auf Seite des BVB zu keinem Zeitpunkt des Spiels Dynamik im Mittelfeld. Verstolperte in der zweiten Halbzeit eine der wenigen Kontergelegenheiten und wird sich für die beiden letzten Saisonspiele extrem steigern müssen, wenn er nicht eine sehr unangenehme Sommerpause erleben möchte. Note 5.

Stellte sich in der Defensive etwas besser an, als seine KollegenKehl: Stellte sich in der Defensive etwas besser an, als seine Kollegen, war aber weit von seiner besten Saisonleistung entfernt. Alles in allem ein eher unauffälliges Spiel. Note 4.

Mkhitaryan: Sehr gute erste Halbzeit mit starken Sprints, ordentlichen Ideen und dem Mut zu eigenen Abschlüssen aus der Distanz. In der zweiten Halbzeit komplett abgetaucht. Der grundsätzliche Aufwärtstrend bleibt aber bestehen. Note 3.

Kagawa: Wirkte wie ein Häufchen Elend. Ohne starke Aktionen fraß er sich in den gegnerischen Reihen fest. Er hatte sich das sicherlich ganz anders vorgestellt, doch derzeit fehlt ihm einfach so gut wie jedes Selbstvertrauen. Note 4.

Kampl: In der ersten Halbzeit emsig bemüht, in der zweiten Halbzeit deutlich unter seinen Möglichkeiten. Holte den Elfmeter raus und belebte die Offensive zumindest phasenweise. Note 3.

Aubameyang: Gute erste Halbzeit, in der zweiten Hälfte fast gar nicht mehr zu sehen. Tolle Vorarbeit vor dem 1:1 und den Elfmeter sicher verwandelt. Leider viele Großchancen vergeben, die er zur Not auch mit verbundenen Augen hätte machen müssen. Bester Feldspieler des BVB, Note 2,5.

Und dann war da noch die Pressekonferenz…

Wirkte äußerst aufgeräumtJürgen Klopp saß tiefenentspannt wie lange nicht auf dem Podium und wirkte mit sich selbst im Reinen. Innerlich natürlich angefressen über die Niederlage und den hohen Aufwand, den man so ergebnislos betrieben hatte, freute er sich auf die beiden folgenden Heimspiele in Dortmund und Berlin. Die Bild bekam eine heftige Ohrfeige ab, weil sie wider besseren Wissens den falschen Eindruck erweckt hatte, dass Klopp vor allem Spiele in Wolfsburg nicht großartig vermissen werde. Als Trainer bei Borussia Dortmund habe man sich nicht von Auswärtsspielen zu verabschieden (weder im langweiligen Wolfsburg, noch im stimmungsvollen Köln), sondern vom großartigen Publikum zu Hause – wenn die Bild zum Abschied des Jahres aber kein Interview haben möchte, sei sie herzlich dazu eingeladen, ihm auf den letzten Metern der Saison auch weiterhin die Worte im Mund umzudrehen. Das hatte gesessen – und die Gesichtsausdrücke des anwesenden Bild-Mitarbeiters schienen Klopp dann noch den Abend gerettet zu haben.

SSC, 17.05.2015

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